Название: Der Countertenor Jochen Kowalski
Автор: Jochen Kowalski
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783894879358
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Und mit wem waren Sie dann auf Rügen?
Mit meiner Mutter natürlich. Sie fuhr immer mit uns drei Kindern in den Sommerurlaub, wir mussten jedes Jahr mit ihr an die Ostsee, das brauchte sie einfach. Sie hatte Verkäuferinnen im Laden, die sie in der Zwischenzeit vertraten und alles regelten; die gehörten fast zur Familie, bis heute übrigens. Und so konnte meine Mutter für ein paar Tage ausspannen. Sobald wir in Wachow ins Auto stiegen, fing sie an zu singen und hörte erst wieder auf damit, als wir angekommen waren, vier oder fünf Stunden ging das also – es gab noch keine Autobahn, und so nahm die Fahrt kein Ende, wie eine Weltreise kam sie mir vor. Heute schaff ich das mit meinem Flitzer in zwei Stunden! Aber irgendwie haben diese frühen Urlaube abgefärbt, mich zieht es noch immer an die Ostsee, mehrfach im Jahr. Das gehört zum Sommer wie der Weihnachtsbaum zu Weihnachten. Ich liebe die Ostsee, besonders die Insel Usedom, und ich verbinde meine Stippvisiten oft mit Konzerten. Viele Musiker aus der Staatskapelle haben dort ihre Datschen, wir treffen uns dann und machen Musik, aus Lust und Laune heraus. Das gibt zwar kein Geld, macht aber viel mehr Spaß als die »offiziellen« Auftritte.
Haben Sie von Ihrer Mutter die Musikalität geerbt?
Ja, das denke ich. Sie hatte eine unglaublich schöne Stimme, so klar und jubelnd. Wenn sie in der Kirche anfing zu singen, dann hat sie alle übertönt – als Kind war mir das manchmal so peinlich, dass ich mich zwischen den Kirchenbänken verkroch … Dabei sang sie überhaupt nicht schrill oder ätzend, eher so wie Elisabeth Grümmer, mit Inbrunst und Innigkeit – vielleicht liebe ich diese Sopranistin auch deshalb so besonders.
In der Kirche habe ich übrigens auch selbst zu singen begonnen und habe bei den Krippenspielen jahrelang den Josef gesungen, noch über den Stimmbruch hinaus, bis ich fünfzehn oder sechzehn war. Und als es gar nicht mehr ging, hab ich wenigstens noch die Weihnachtsgeschichte vorgelesen.
Eine »Rampensau« waren Sie also damals schon?
Wahrscheinlich, dabei ist es etwas paradox, denn eigentlich hat mir nie jemand zugehört. In geselligen Runden falle ich nicht besonders auf und bin eher still. Aber als ich da vorne im Altarraum stand, fand ich plötzlich eine Beachtung, die ich sonst nicht erhielt. Das ist übrigens bis heute so geblieben: Mir hört doch nur jemand wirklich zu, wenn ich neben einem Klavier oder vor einem Orchester stehe.
Wie sah es bei Ihnen in der Familie aus: Wurde da Hausmusik gespielt?
Es gab ein Klavier, das extra für meinen ältesten Bruder angeschafft worden war, und er hat auch hervorragend gespielt. Reinhard und ich sollten es dann dem Großen nachtun. Aber wie habe ich das gehasst! Zunächst musste ich Akkordeon lernen, musste immer nach Nauen zu einem Musikdirektor, jeden Montagnachmittag – ein echter Alptraum! Diese Etüden und der ganze Kram haben mich so zur Verzweiflung gebracht, dass ich schließlich die Stricknadeln meiner Mutter nahm und den Blasebalg durchlöcherte. Aber das Teil spielte immer weiter! Irgendwann haben auch meine Eltern gemerkt, dass sie sich das Geld für den Unterricht sparen konnten. Mein Verhältnis zum Akkordeon ist jedenfalls bis heute ziemlich belastet: Wenn Gerhard bei irgendwelchen Familienfeiern nur mit diesem Ding ankommt und es auspackt, werde ich schon aggressiv.
Wie sind Sie dann zur Musik gekommen? Hatten Sie Radio und Plattenspieler?
Wir hatten alles, Radio, Plattenspieler und auch ziemlich früh schon, seit Anfang der sechziger Jahre, einen Fernseher. Meine Eltern hatten ja Geld, es war alles da: Wir besaßen ein Auto, wir waren die ersten, die eine vollautomatische Waschmaschine bekamen …
Kam man denn da so einfach ran als »normaler« DDR-Bürger?
Ach, die Handwerker der DDR kannten doch alle ihre Tricks! Meine Eltern hatten Schinken, Wurst und Fleisch, und da wurde dann einfach ein bisschen umgeschichtet. Die privaten Geschäftsleute haben sich untereinander alle geholfen, das war das perfekteste Netzwerk, das man sich vorstellen kann. Wir waren einfach Jäger und Sammler. Jeden Samstag kamen die Freunde meiner Eltern zu Besuch: Der eine hatte ein Lebensmittelgeschäft, der nächste war Kfz-Mechaniker, und dann haben sie ihre Schätze ausgetauscht. Damit haben sie ganze Wochenenden zugebracht.
Welche Fernseh- und Radioprogramme wurden bei Ihnen eigentlich gesehen und gehört? West oder Ost?
Fast ausschließlich West. Viele der DDR-Fernsehfilme habe ich in den letzten Jahren, bei den Wiederholungen im MDR, zum ersten Mal überhaupt gesehen. Zum Beispiel WEIHNACHTSGANS AUGUSTE, der als großer DDR-Hit gehandelt wird – so einen Schwachsinn haben wir uns nie angeguckt, und ich muss sagen: Wir haben nichts verpasst. Der Ostsender wurde bei uns nur montagabends angeschaltet, weil da die alten UFA-Filme liefen. Und eine Musiksendung wurde angedreht, Die goldene Note, das DDR-Pendant zu Anneliese Rothenberger lädt ein. Und diese beiden waren dann auch meine absoluten Lieblingssendungen, später kam noch Theo Adam lädt ein dazu.
Was hat Ihnen bei Anneliese Rothenberger so gut gefallen?
Sie war immer so elegant! Dieses Ambiente! Ihre Kleider, und dann der Köter auf ihrem Schoß! Ich war einfach begeistert … Wir waren ja auch die ersten in Wachow, die einen Farbfernseher hatten, und dann sogar noch einen, mit dem man West-Sendungen sehen konnte. Der normale DDR-Farbfernseher sowjetischer Bauart war technisch nämlich so präpariert, dass darauf nur die beiden DDR-Programme eingespeist werden konnten; wir aber hatten einen Apparat, der sowohl PAL- als auch SECAM-fähig war, der kostete damals die Kleinigkeit von 4.000 Mark. Durch irgendwelche wunderbaren Beziehungen stand der eines Tages bei uns im Wohnzimmer, und so konnte ich Anneliese Rothenberger mit ihren prächtigen Abendroben und Kulissen sogar in Farbe sehen. Und dann, sehr viel später, stand sie eines Tages leibhaftig vor mir …
Haben Sie ihr erzählt, was sie für Sie bedeutete?
Ja, das hab ich, und ich besitze noch heute einen ganz wunderbaren Brief von ihr. Als ich sie kennenlernte, in München, da wirkten wir beide an einer Benefizgala im Nationaltheater mit. Ich war noch ganz jung, und sie hat mich wohl gleich gemocht. Wir haben uns dann lange unterhalten. Anneliese Rothenberger hatte kein leichtes Leben, sie kam aus einem schwierigen Elternhaus und hat sich alles hart erarbeiten müssen. Heute machen sich viele Leute über sie lustig, aber man darf nicht vergessen, welche Pionierleistungen sie vollbracht hat, gerade in der Vermarktung der Klassik – es war ja noch eine ganz andere Zeit. Ich habe die Stars, die sie präsentierte, allesamt geliebt: Hermann Prey, Josef Metternich und Rudolf Schock, der war der Allergrößte! Auch Rudolf Schock weiß heute keiner mehr richtig zu würdigen, er ist durch seine Heimatfilme aus den fünfziger Jahren etwas in Verruf geraten, und darüber vergisst man leicht, was das für ein Sänger war! Seine klassischen Aufnahmen sind hinreißend.
Sind Sie damals, als Sie Die goldene Note und Anneliese Rothenberger gesehen haben, auf die Idee gekommen, selbst Sänger werden zu wollen?
Ja, das war die Initialzündung. Ich war wie verrückt, vor allem nach Rudolf Schock, und habe bei seinen Platten immer mitgesungen. Und dann waren da noch meine ersten Theaterbesuche. Ich war zwölf oder dreizehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal ins Theater ging, in Brandenburg an der Havel. Und dort habe ich etwas später auch meine СКАЧАТЬ