Название: Der Countertenor Jochen Kowalski
Автор: Jochen Kowalski
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783894879358
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Aber natürlich, meine Großeltern haben miteinander nur polnisch gesprochen! Es war für sie gewiss nicht ganz einfach hier. Stellen Sie sich nur vor: Der einzige Sohn, der geliebte Franz, heiratet eine Deutsche, und diese Deutsche ist zu allem Überfluss auch noch evangelisch – ganz im Gegensatz zu den erzkatholischen Polen. Auch meine Mutter wiederum hatte es nicht leicht, in eine Familie zu heiraten, die, wenn man unter sich war, nur polnisch sprach.
Mein Vater allerdings hatte schon früh den Drang, sich selbstständig zu machen und etwas Eigenes aufzubauen. Er ist mit vierzehn von zuhause fortgegangen, abgehauen mit dem Fahrrad, denn er wollte um keinen Preis in die Landwirtschaft. Deshalb hat er sich in die nächstgrößere Stadt aufgemacht, nach Rathenow an der Havel, und hat dort Fleischer gelernt. Und da hat er dann auch meine Mutti Katharina kennengelernt, 1934/35 war das: Sie war damals noch blutjung, Jahrgang 1919. Wenig später, 1936, haben sie schon gemeinsam in Berlin die Olympischen Spiele besucht. Als ich sie einmal fragte: Und habt ihr denn in Berlin auch zusammen übernachtet, da hat sie nur gelacht …
Geheiratet haben die beiden allerdings erst 1941, und das war eine reichlich komplizierte Geschichte. Denn mittlerweile befanden wir uns im Zweiten Weltkrieg, Deutschland hatte zwei Jahre zuvor Polen überfallen, und mein Vater galt als Staatenloser, er hatte ein »P« in seinem Pass: »P« wie »Pole«. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber meinem Vater ist es noch 1941 gelungen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dadurch konnten meine Eltern zwar vor den Traualtar treten, aber anschließend ist mein Vater gleich in den Krieg eingezogen worden. Da er Fleischer war, hatte er wiederum Glück und wurde für die Versorgung eingesetzt: Er war in Kiel in einer Küche tätig. Meine Mutter blieb zunächst in Rathenow, wo 1942 mein ältester Bruder Gerhard zur Welt kam, wechselte dann aber auch nach Kiel. Und nach Kriegsende sind sie zu dritt wieder zurückgekehrt, aus dem Westen freiwillig in die Ostzone! Aus Heimweh!
Da noch alles am Boden lag und mein Vater anfangs keinen Job hatte, arbeitete er eine Zeitlang als Privatchauffeur für den Architekten Hermann Henselmann, der später die Stalinallee, die heutige Karl-Marx-Allee, bauen sollte. Bis er schließlich erfuhr, dass in einem kleinen Dorf, in Marzahne bei Rathenow, ein Fleischerbetrieb zu verpachten war. Da hat er dann zugegriffen, 1947 muss es gewesen sein, und fing ganz klein an – mit einem Handwagen ist er in der ersten Zeit noch über die Dörfer gezogen. Immerhin hatte er sich dadurch etwas ansparen können, und als er 1950 hörte, dass in Wachow bei Nauen ein größerer Fleischerladen zum Verkauf stand, hat er diesen Betrieb übernommen.
Ging das damals so einfach in der DDR, eine Fleischerei zu kaufen? Konnte Ihr Vater denn als freier Unternehmer arbeiten, oder war er in irgendeine genossenschaftliche Struktur eingebunden?
Damals war das noch nicht so, die eigentliche Bodenreform, die Kollektivierung fand erst 1960 statt, im sogenannten sozialistischen Frühling, als die Landwirte reihenweise in die LPGs getrieben wurden. Das führte dazu, dass damals diverse Wachower Bauern einfach in die S-Bahn gestiegen sind und nicht mehr wiederkamen – es war ja nicht weit nach Berlin. 1950 sah das noch anders aus: Die Großbauern waren zwar schon weg, aber der Mittelstand funktionierte noch, es gab Handwerker aller Arten, Bäckereien, Fleischereien. Insofern konnte auch mein Vater als selbstständiger Fleischer tätig werden. Ich erinnere mich allerdings an einige Diskussionen in meiner Kindheit, als meinen Eltern ans Herz gelegt wurde, doch besser in eine PGH, eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks, einzutreten. Das wäre dann eine Verstaatlichung gewesen, meine Eltern wären zu Betriebsleitern degradiert worden. Aber meine Mutter sagte: »Nur über meine Leiche!«
Sie hat auch im Geschäft mitgearbeitet?
Ja, sie war die Chefin, überhaupt von allem. Und hat den Laden mit ihrem Optimismus und Elan geschmissen.
Und heute existiert die Fleischerei Kowalski noch immer …
Die gibt’s noch immer, die leitet mein mittlerer Bruder Reinhard. Und die Wurst von meinem Bruder ist wirklich unvergleichlich, das kann ich beurteilen, denn ich habe ein fast krankhaftes Verhältnis zu Wurstwaren, ich kann kaum an einem Wurststand vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen. Aber sehr oft bin ich enttäuscht, denn so etwas Tolles wie bei meinem Bruder kriegt man nicht mal im KaDeWe: Alles ist selbstgeräuchert, mit ausgewählten Hölzern. Sie müssen nur diese verschiedenen Schlackwürste probieren oder die Leberwurst – ich schicke das bis nach München, und alle kriegen strahlende Augen, wenn es Kowalski-Wurst gibt. Alle zwei Jahre gebe ich in Wachow ein Konzert, nur für die Wachower, die Einheimischen. Das steht auch nicht im Internet, sondern wird ausschließlich über die Kirchengemeinde angekündigt. Als Gage erhalten die Mitwirkenden, also zum Beispiel die Musiker der Staatskapelle Berlin, jeweils ein Wurstpaket, Leckerli von Kowalski. Die ganze Kirche hat danach geduftet, und anschließend waren alle zum Schwein am Grill eingeladen. Sogar Manfred Stolpe war einmal dabei und hat sich gar nicht mehr eingekriegt.
Zwischen den drei Brüdern im Hause Kowalski: Wie war da das Binnenverhältnis? Gab es eine bestimmte Rollenverteilung oder spezielle Etiketten, die den drei Jungs jeweils angeheftet wurden?
Na klar. Der große war immer der Star, der ging nach Leipzig, um dort Sprachen zu studieren, Französisch und Russisch und was weiß ich nicht alles. Wenn er am Wochenende nach Hause kam, haben wir uns zwar zunächst gefreut, aber dann versuchte er immer, die Erziehungsmaßnahmen, die meine Eltern bei mir nicht so furchtbar wichtig fanden, durchzusetzen. Weshalb ich manchmal dachte: Hoffentlich ist der nur bald wieder in Leipzig! Im Alter hat sich das allerdings gegeben, und er ist inzwischen nicht nur ein gefragter Raumfahrtjournalist, sondern auch mein treuester Konzertbesucher.
Es lag zwischen uns natürlich auch ein gravierender Altersabstand, wir kamen im Turnus von jeweils sechs Jahren zur Welt, Gerhard war also zwölf Jahre älter als ich. Und Reinhard als der Mittlere hatte es naturgemäß am schwersten: Für ihn war von Anfang an vorgesehen, den Betrieb zu übernehmen, auch wenn er ursprünglich wohl lieber etwas anderes gemacht hätte. Er musste einfach in den sauren Apfel beißen, weil die Fleischerei erhalten bleiben sollte.
Von solchen Ambitionen blieb ich glücklicherweise verschont, ich war das Nesthäkchen, der Liebling, der kleine Prinz. Und hatte es sicher am besten von allen Dreien, darüber witzeln wir noch heute.
Wer war in der Familie Ihre wichtigste Bezugsperson?
Das war Lotti, mein Kindermädchen Charlotte Wulsche. Nach dem Krieg kam sie als Flüchtling mit Mutter und Bruder aus Schlesien nach Wachow. Dort bewohnten die drei zwei Dachkammern in der Fleischerei, die meine Eltern 1950 kauften, und noch im gleichen Jahr fing Lotti als »Mädchen für alles« bei uns im Haushalt zu arbeiten an. Nach und nach wurde sie immer unentbehrlicher und gehörte bald fest zur Familie. Das ist bis heute so geblieben, und ich hoffe, dass es noch viele Jahre weitergehen wird.
Ansonsten war ich eher ein Vatersohn. Mein Vater war viel emotionaler als meine СКАЧАТЬ