Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber
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Название: Fritz und Alfred Rotter

Автор: Peter Kamber

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783894878313

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СКАЧАТЬ ihr ganzes Denken und Wollen nur der puren Kunst zu verschreiben. Es kann allmählich wieder das beste Geschäft werden. Vorläufig freilich sind sie nicht so weit.“99

      Zielstrebig bringen die beiden Brüder auch 1922 weiterhin Stücke mit unkonventionellen Frauenrollen, als hätten sie sich den Satz aus Ludwigs Fuldas Der Lebensschüler (1915) ganz zu eigen gemacht: „Sprich vom Mann, und dir antwortet ein Gähnen; sprich vom Weib, und die ganze Welt horcht auf. Ja, glaube mir, Gert, dies ist ein weiblich gewordenes Jahrhundert.“100

      Oscar Wildes bereits ältere Komödie Eine Frau ohne Bedeutung101 charakterisiert Emil Faktor als „Roman vom schuftigen Lord und seiner verlassenen Geliebten“ – doch es „riss das Publikum unaufhaltsam hin“. Ironisch fügt der Kritiker hinzu: „Man verging vor Spannung und Wonne. […] Die Regie des Herrn Kanehl, der als Lyriker ein Radikalinski ist, war pflaumenweich.“102

      Im Kleinen Theater führt Altmann Das Weib auf dem Tiere auf103, ein neues Drama von Bruno Frank, in dem eine „vielbegehrte, dem Mittelstand entstammende Stadtkokotte eines Tages den Geliebten“ erschießt. „Das für alle anderen Männer käufliche Weib fühlte sich von dem einen, dem zuliebe sie Geld zusammenraffte, schmählich hintergangen. […] Der Hinrichtung entzieht sie sich durch Gift […].“104

      In der Nachwirkung bedeutsam ist Das kleine Schokoladenmädchen von Paul Gavault105, wiederum ist Oskar Kanehl der Regisseur. Ralph Benatzky macht aus dem Stück 1932/33 für die Rotters eine Operette, Bezauberndes Fräulein, die dann aber – der noch zu schildernden Ereignisse wegen – nicht mehr aufgeführt wird: Die Uraufführung wird am 24. Mai 1933 in Wien sein, am Deutschen Volkstheater. Zu dem Zeitpunkt haben die Rotters keine Bühne mehr; Alfred ist tot und Fritz inkognito im Exil in Frankreich.

      Über Das kleine Schokoladenmädchen schreibt die Vossische Zeitung, sie sei „die Tochter des Schokoladenkönigs, Millionenerbin, launisch, verwöhnt“. Hans Albers tritt in der Rolle eines armen Malers auf, „der mit allen Prachtgewändern der Rotter’schen Kleiderschränke garniert“ ist. Dass er sich „neckisch mit Lieblingsallüren vor seinem Publikum aufgebläht“ habe, missfällt dem Kritiker. „Wie er versucht, durch Exzentrikbeine Laune zu erzwingen, das ist schon nicht mehr Auflösung des Ensembles. Das ist schon mehr Untergang des Abendlandes.“106 Jhering dagegen ist milder gestimmt und versteht auch die Komik des Schauspielers Albers besser, die er vom Film beeinflusst sieht: „Und Hans Albers? Die Reklame hat ihn zum deutschen Chaplin gemacht. Man sieht bei jeder Bewegung, wie der Regisseur ihm auf den Proben zugerufen hat: ‚Mehr Chaplin! […] Sie müssen an Chaplin denken.‘“107 Jhering weiter:

      „Also gegen die Rotters ist diesmal nichts zu sagen, nur gegen die allgemeine Berliner Theatersituation. Die Rotters haben eine gewisse Geschlossenheit des (kitschigen) Repertoires. Aber soll es an den anderen Theatern auf diesem Wege weitergehen? […] man ruiniert sich die Zukunft. Nicht nur dadurch, dass man mit der Jagd nach dem Erfolge die Zugkraft der Reißer erschöpft und sich der Gefahr aussetzt, plötzlich vor dem Nichts zu stehen […]. Das Repertoire der Berliner Bühnen beschäftigt im Übermaß den Konversationsschauspieler, den Pointenbringer, den Nuancenjäger und legt den großen heroischen Schauspieler lahm. […] Ich weiß, dass die Theater schwer zu kämpfen haben. […] Heute aber, wo das Theater nur auf den Erfolg gestellt wird, reißt es in den Taumel auch die Künstler hinein, die in sich den Drang zum Kampf und zur Kompromisslosigkeit tragen.“

      Ist es das, was den Rotters vorgeworfen wird: die Abwesenheit heroischer Stoffe auf ihren Bühnen? Angekreidet werden kann ihnen vieles – doch nicht, dass sie keine Gegenwartsthemen aufgreifen würden. Noch bevor es Tonfilm oder gar das Fernsehen gibt, sind sie auf Breitenwirksamkeit bedacht. Nicht zum Film zu gehen, sondern mit filmischen Mitteln Theater zu machen, das ist im Grunde der Kernvorwurf, den Jhering ihnen macht, und es ist ein Paradox, dass erst Brecht das von Jhering vermisste heroische Theater erneuert, im Spiel der Brechungen und der Distanzierung. Die Rotters stehen für Antiheroismus, der ganz rechts verpönt war, und auch ganz links – trotz Kanehl, der über seine Bühnenarbeit gesagt haben soll, er gehe „wie ein Fabriksklave in den Betrieb“, „um das nackte Leben zu fristen“, „seinen revolutionären Geist“ verkaufe er nicht mit, und er stelle „sein ganzes Denken in den Dienst der sozialen Revolution“.108

      In der Spielzeit 1922/23, als die Inflation in die Hyperinflation übergeht und es auch im übertragenen Sinn nur noch wenig gibt, das wertbeständig ist, wagen die Rotters noch mehr. Gleich zum Auftakt erregen sie größeres Aufsehen mit der Erstaufführung von Lissi des Autors Siegfried Geyer,109 wieder mit Hans Albers.

      Selbst der sonst zu Lob gern bereite Berliner Lokal-Anzeiger wettert: „[…] eine widerliche Häufung von Zoten, und die Erinnerung müsste schon in die schlüpfrigen Niederungen der Linienstraße herabsteigen, um im Berliner Theaterspielplan letzter Jahre ein Stück ähnlich starken Kalibers zu finden. Also verbietet es sich von selbst, auf den Inhalt näher einzugehen. Es genügt, dass besagte Lissi eine ‚Dame‘ ist, die in mehr oder weniger unbekleidetem Zustand allerlei dufte Abenteuer erlebt, und der Neid muss es Herrn Siegfried Geyer lassen, dass er die Welt, in der sich solche ‚Damen‘ bewegen, recht intim zu kennen scheint: […] Ein Schritt weiter, und die Bühne wird … na, lassen wir das!“110 „Es war ein platter Abend, ausgezeichnet durch Eindeutigkeit, veredelt durch darstellerischen Schmiss – die Qualität lag in der Durchsichtigkeit der Seidengewebe. […] Lissi ist eine Kokotte, die unglücklich liebt […]. Erika Gläßner gab jene Lissi, mauzend, mit Weibchentönen, mit Quatschtönen, mit Hüftenspiel und kallipygischem [schön geformten] Überschlag über das Messingbettchen. […] Hans Albers war Jonny, ein Frackmann mit moralischem Kater und schlaksigen Bewegungen. Beide gut im Zusammenspiel.“111

      Die Rotters sind nicht die Einzigen, die solche Stücke auf die Bühne bringen – im Lustspielhaus, das ihnen erst ab 1929 gehört, wird am 1. September 1922 Die Schule der Kokotten von Paul Armont und Marcel Gerbidon gegeben. Die Figur der Kokotte, das heißt einer Dame der Halbwelt, die sich selbst in ganz bürgerlichem und zugleich ganz unbürgerlichem Sinn als Kapital einsetzt – ist die Obsession einer Gesellschaft, die noch nicht wirklich von ihren Konventionen lassen will und den Frauen die berufliche Gleichstellung überwiegend verweigert. Zur selben Zeit beschreibt Proust in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit den Aufstieg von Odette, die trotz oder vielleicht wegen einer solchen Vergangenheit als stets auf große Selbstständigkeit bedachte Frau von Monsieur Swann einen liberalen Salon erhält und nach Swanns Tod durch erneute Heirat zu einem Adelstitel kommt.

      Doch die Rotterbühnen geben auch immer noch Hermann Sudermann. Sein Stück Es lebe das Leben112 aus dem Jahre 1902 um „Parteipolitik und Gesellschaft“113 wird von Oskar Kanehl im Januar 1923 inszeniert. Es geht um zwei alte kompromittierende Briefe einer Gräfin, die einem Baron mit Reichstagsmandat gefährlich werden könnten. Dieser hält im Parlament eine begeistert aufgenommene Rede „über die Unverletzlichkeit der Ehe“, während sein Sekretär aufgrund der Briefe zu der Erkenntnis gelangt, „dass in der Politik eine völlig weiße Weste unmöglich ist“.114

      Die Theaterkritiken zu dieser Aufführung zeigen auf verblüffende Art, wie weit Berlin sich innerlich schon von der Kaiserzeit entfernt wähnt – eine schwerwiegende Selbsttäuschung, wie spätestens mit der Wahl Hindenburgs 1925 als Reichskanzler deutlich wird, und der in gewisser Weise auch die Morgenpost unterliegt: „Derweilen ist einiges vorgegangen in der Weltgeschichte, und es hat sich vielleicht in den Proben ergeben, dass man diesen Stützen der konservativen Gesellschaft, diesen Prinzen, Baronen und Landjunkern […], kein neues Leben einzuhauchen vermag. Sie zeigten die Symptome der Leichenstarre schon zu Lebzeiten; heute sind sie ein Stück Mittelalter auf dem Eis; Petrefakten [Versteinerungen], Stalaktiten aus dem wilhelminischen Zeitalter.“115

      Der Regisseur СКАЧАТЬ