Nur der See sah zu. Herbert Dutzler
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Название: Nur der See sah zu

Автор: Herbert Dutzler

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783709939499

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СКАЧАТЬ dass Herrmann, der Numismatiker, längst genüsslich mit einem Schweizermesser filetiert wurde und tot über der Schale mit den Münzen liegt. Den Bommelmützenmann vermute ich erschlagen unter einem Steinhaufen. Fröhlich rufe ich: „Und wir gehen weiter!“

      „Bitte aufschließen!“, rufe ich an der nächsten Station, weil wieder ein paar ins Bummeln geraten sind. Mir liegt aus verschiedenen Gründen wirklich viel daran, dass die Gruppe als solche zusammenbleibt.

      „Ach, wie herrlich!“, tönt die Seniorin. Wir sind an die Pension Dienmut gelangt, einen Holzverschlag mit Ruhebank. „Hier mache ich eine kleine Pause.“ Sie setzt sich und packt ein Käsebrot aus. Ich sage nichts, obwohl wir ohnehin gleich bei der Rodlhütte sind. Jeder hat schließlich ein Recht auf eine letzte Einkehr. Und die schwerhörige Alte wird mir ganz gewiss nicht abgehen.

      Auf dem Schild vor der Hütte steht: Fünf waren geladen, zehn sind gekommen. Andersrum wird bei uns ein Schuh draus. Zwanzig waren gekommen, nicht ganz zwei Handvoll sind jetzt noch übrig.

      „Und weiter!“, rufe ich.

      „Also, ich bin jetzt sicher, dass da welche fehlen!“, erklärt die Lehrerin, hager und grauhaarig und spitzmündig. Sie schaut sich um.

      „Möglich. Es biegen immer ein oder zwei an dem Schild ab, wo es zur Bärenbadalm hochgeht. Das ist ein Weg von etwas über einer Stunde, und samstags gibt es dort handgetriebene Zillertaler Krapfen, das verlockt manch einen.“ Das habe ich heute früh in der Morgenpost meines Hotels gelesen und mich jetzt Gott sei Dank daran erinnert.

      „Was ist ein Zillertaler Krapfen?“, will die Seniorin mit vollem Käsebrotmund wissen.

      Hm. Ich habe keine Ahnung. Da ich kein Pokerface beherrsche, sieht man mir das auch an.

      „So, das wissen Sie gar nicht. Wissen Sie überhaupt etwas?“, lästert die Alte.

      Ehrlich, um die wird es nicht schade sein.

      „So langsam kriegen wir auch Appetit“, erklären die beiden Blumenmädchen unisono und schielen auf das Käsebrot der Seniorin.

      „Wir haben es gleich geschafft“, verspreche ich und schiebe die Mädels vom Pensionsverschlag weg, bevor es hier zu einer Meuterei kommt und die Seniorin mit ihrem Käsebrot die Fütterung der Fünftausend nachstellt. „Und wir gehen weiter!“

      Der Lift öffnet Höhen, Dienen den Himmel! Zwei meiner Schäflein wollen stehenbleiben und den Blick ins Tal fotografieren, wo gerade die Karwendelbahn heranrauscht. „Weitergehen!“, dränge ich. „Wir haben es gleich geschafft. Dort oben über die Kuppe, dann rechts bei den drei Steinen sammeln wir uns.“ Die Gruppe schreitet brav voran. Gut erzogen!

      Aus dem Tal nähern sich weiter fast lautlos die fünf Kabinen der Karwendelbahn. Aus der letzten Kabine wird, als sie direkt über mir ist, ein Seil mit einem Haken herabgeworfen. Ich fange es und hake das Eisen in den Rucksack des stylischen Dreißigjährigen im atmungsaktiven Sportsweardress. Er läuft nämlich zuhinterst. Seinen Designer-Rucksack hat er außerdem mit einem Gurt über seiner Brust befestigt, das wird gut halten. Er will verschreckt aufrufen, aber da stopfe ich ihm schon flugs mein geblümtes Halstuch in den Mund. Mit einem Ruck fährt er in die Höhe. Ich winke Adewale dem Nigerianer und Ilija dem Bulgaren oben in der Gondel zu. Sie winken grinsend zurück. Der Rucksackwanderer strampelt mit Armen und Beinen.

      Die Gruppe merkt nichts.

      Bei den drei aneinandergelehnten Steinen, die ein bisserl an Stonehenge erinnern, hole ich die anderen ein. Im Faltblatt steht für diese Station: Unser Weg ist nun zu Ende. Wir durften die Herrlichkeit der Schöpfung schauen.

      Der Schöpfung und der Vergänglichkeit, denke ich.

      „Schreit da nicht wer?“, fragt die hagere Lehrerin.

      „Ist das mein Herrmann?“, fragt die Numismatikergattin.

      Wir legen alle die Köpfe schräg und lauschen.

      Ja, definitiv, da schreit wer. Der stylische Rucksackler muss sich mein Halstuch aus dem Mund gezogen haben.

      „Das ist der berühmte Karwendeljodler“, improvisiere ich kühn. „Die Einheimischen jodeln aus purer Lebenslust und alter Tradition immer um …“ Ich schaue auf meine Uhr. „… um zwanzig nach elf.“

      „Ich finde, das klingt nicht nach Jodeln“, sagt mein Pastellhemdträger, der dem Akzent nach offenbar aus der Schweiz kommt. „Das ist doch eine völlig falsche Atemtechnik.“

      „Bei Ihnen mag man anders jodeln“, erkläre ich streng, „aber jeder darf doch wohl bitte schön jodeln, wie er mag, da wollen wir doch tolerant sein.“

      „Natürlich“, sagt er rasch, weil er gut erzogen und Gast in diesem Lande ist.

      „Weitergehen!“, befehle ich, was meine Schäfchen auch hurtig tun. Bis auf die Lehrerin.

      „Machen Sie sich nichts draus, dass so viele abspringen“, raunt sie mir zu, allerdings in Bühnenflüstern, weswegen es alle hören. „Sie lernen schon noch, wie man eine Gruppe fesselt.“

      „Ich finde, sie macht das sehr ordentlich“, erklärt eines der Blumenmädchen.

      Das muss das Stockholm-Syndrom sein. Wenn man lange genug jemandem ausgeliefert ist – und aufgrund der Umstände keine Chance zur Flucht hat –, dann stellt sich Zuneigung ein. Man kennt das von Entführungsopfern. Und jetzt von meiner Besinnungswegwandergruppe.

      „Danke“, sage ich gerührt und rufe: „Und wir gehen weiter!“

      Und dann haben wir es geschafft. Vorbei an dem knallroten Rodlhütten-Transfer-Bus erreichen wir die Hütte. In weiser Voraussicht habe ich nur einen einzigen Tisch direkt vor der Hütte reservieren lassen, mit Blick auf den See. Der reicht lässig für uns paar Hansel. „Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, es war sehr nett mit Ihnen. Jetzt können Sie noch ein wenig die Seele baumeln lassen. Es ist mir ein Vergnügen, Sie auf ein Getränk einzuladen. Holunder-Prosecco für die Damen, ein Bier für die Herren? Gern!“

      Meine stark dezimierte Schafherde setzt sich und genießt die Aussicht. Dieser Friede hier oben, diese Stille. Man hört nichts als den Wind, der mit der Fahne spielt, Vogelgezwitscher, das Knirschen von Kies unter den Rädern der Mountainbiker, die vorbeifahren, ein Schiffshorn von unten am See, den Zwölf-Uhr-Alarm und das Ave-Maria und das Schnaufen der Flachländer, die den breiten Weg aus Pertisau heraufkommen.

      Ich mustere meine Gruppe. Es ist nichts Persönliches. Wir haben sie nicht mit Bedacht ausgewählt. Es war einfach Zufall. An diesem Samstag gab es diese Führung hier auf dem Besinnungsweg, und da kamen wir auf die Idee, uns gegenseitig Arbeitsproben zu zeigen, und ich habe, wie gesagt, beim Streichholzziehen verloren, und die richtige Besinnungswegführerin liegt seit zwei Stunden tot in meinem Kofferraum auf dem Parkplatz unten.

      Ja, genau, wir sind Auftragsmörder: Adewale und Ilija aus der Karwendelbahn, Sandy und Mandy, die sächsischen Killerzwillinge, Augusto, der Professor und ich, um nur einige zu nennen. Wir morden normalerweise nur im Auftrag und für viel Geld. Aber СКАЧАТЬ