Название: H. C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck
Автор: Michael Horowitz
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783800082070
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Der dichta aus bradnsee erhält erstmals Honorare. Jeden Ersten 4000 Schilling – „am 10. hatte ich nur mehr 400, mit denen musste ich mich bis zum Monatsende durchg’ fretten …“ Und der plötzlich berühmt gewordene Bürgerschreck aus Breitensee bekommt eine Gemeindewohnung zugewiesen. Doch bereits nach einiger Zeit folgt die Delogierung – wegen permanenter nächtlicher Ruhestörung und massivem Mietrückstand.
Die schulterklopfende Anerkennung ufert aus. Es wird zu eng in Wien. Als Dialektdichter hier zu leben, wird immer belastender. Mit einer schwedischen Studentin flüchtet H. C. nach Stockholm. Später findet er in Berlin Asyl. Überall begleitet ihn seine „Olympia“-Reiseschreibmaschine. Manchmal auch eine Muse. Nach diesen wilden Zeiten reist der ruhe- und rastlose kuppler und zuhälter von worten durch ganz Europa. Befindet er sich gerade in Grönland, in Schottland oder in den Niederlanden? Für Elfriede Jelinek ist er ein „Gentleman mit einem Reisekoffer, ein Anarchist, garantiert wieder einmal mit Tausenden von nackten, wispernden Eskimomädchen unterwegs, die aus ihren Körpern Lieder bilden.“
Der Abenteurer Artmann lässt in seinen Büchern Figuren aus fremden Ländern, Lemuren, Vampire und Werwölfe auferstehen. Batman und Robin, Donald Duck und Robinson Crusoe. Seine Fantasie scheint grenzenlos. Wenn der chinesische Schurke Dr. Phoo Manchu brüllt, klingt das so: „Tsen wei wui ting örh bo ming hui!“ und auch die Sprache der blauen Wilden von Carpentaria in Nordaustralien beherrscht der sprachkundige Autor: „Oarrngh mmmflullwp ahrkpp nnnschnl!“
In „Nachrichten aus Nord und Süd“ schreibt er 1978: „Bitte bitte sagt mir doch, wer ich bin, damit ich mich wenigstens in Zukunft danach richten kann.“ Irgendwann findet er in einem kleinen Haus am Ende einer Allee mit schlanken, schönen Birken in Salzburg-Moos Ruhe. Zwischen Föhn- und Lodeneskapaden, aber Artmann genießt es, dass Hasen am frühen Morgen bis an sein Küchenfenster hoppeln. Hier lebt er mit seiner Frau, der Schriftstellerin Rosa Pock, die drei Jahrzehnte verlässlich an seiner Seite bleibt, und Tochter Emily Griseldis.
Der Poet aus Österreich wird längst auch international gewürdigt. Im deutschen Feuilleton schreibt Kritiker-Legende Gerhard Stadelmaier über den Wiener mit den größten lyrischen Kopfwelten: „Der Dichter als Erzieher. Zieht sich Masken übern Kopf. Und legt reimweise die Kinder, die in seinen Lesern stecken, übers Schreckensknie … H. C. (Hans Carl) Artmann, gelernter Schuhmacher und gewordener Poet, Wörtergerber und Dichtungsvernäher, Surrealitätsreimspieler und Fantasieraumvermesser, der kleingeschrieben die größten lyrischen Kopfwelten med ana schwoazzn dintn hintuschte.“
An seinem 60. Geburtstag wird ausgiebig gefeiert. In Berlin. Sechs Verflossene sind da. 60 Rosensträuße mit 60 Rosen. 60 Flaschen Champagner. Und 600 Flaschen Chianti. Zum 70. Geburtstag erhält der inzwischen vielfach ausgezeichnete Dichter aus Breitensee das Ehrendoktorat der Universität Salzburg: „Dr. h.c. H. C. Artmann“. Wie das klingt, das gefällt ihm.
Der Platz vor dem Salzburger Literaturhaus wird nach ihm benannt. Einem Rebellen im Ruhestand. Zu viele Jahre hat er pro Zeile eine Zigarette geraucht. Der Enthusiast, als der er auch immer wesentlich Jüngere mitgerissen hat, ist müde geworden. Er blickt zurück, erschöpft von einem Leben aus Euphorie und Einsamkeit, Tatendrang und Traurigkeit, barocken Allüren und tiefer Melancholie. Auf Erfolge und Exzesse, auch auf seine literarische Spurensuche vergessener Barockdichter, die er in sensiblen Übersetzungen zugänglich gemacht hat. Und auch seine „Asterix“-Nachdichtung ins Wienerische, die nicht nur in seiner Heimatstadt Kultstatus erlangt.
H. C. Artmann. Durch die Verbindung von Avantgarde und Volkstümlichkeit setzt er literarische Maßstäbe. Ein Herr mit Grandezza. Ein rastlos Reisender, der real, im Kopf und in der Sprache unterwegs ist. Ein Mann, der mit fünf Frauen fünf Kinder hat, der mit 40 zum ersten Mal heiratet, aber drei Monate später bereits wieder geschieden ist. Und in einem Gedicht schreibt: „ich bin kein jäger kein hasentöter sechzig kinder möchte ich zeugen keine hasen töten“. Das Leben ist ihm nur allzu bekannt. Aber „sein überschwang hatte niemals eine lächerliche note“ wie er selbst attestiert.
Er lässt sich nie blenden, von „leuten, die kommen und etwas in einer sprache sagen, die keiner außer ihnen versteht“. Er ist ein Exzentriker und Individualist, ein Schelm und Provokateur. Ein Dichter, der scheinbar ein Leben lang versucht, seine Biografie zu verschleiern, der sich hinter Masken und Synonymen von der Außenwelt abschirmt. Er sieht sich als Husar, Surrealist, „kurfürstlicher sylbenstecher“, chinesischer Hofdichter oder empfindsamer Lauscher an Nachtigallenschnäbeln. Er tritt auch als „Artmann Quirin Kuhlmann“, „Metro Goldwyn Artmann“ oder „Artmann of Arabia“ auf.
Lange Zeit fühlte er sich „für einen Philosophen noch zu knusprig. Ich bin ein elastischer Mensch!“ Doch irgendwann ist er müde geworden, vom Leben. Die Zeiten, als sein milchiger Mopedscheinwerfer die Abende erhellte, als ihn die Vision beflügelte, „den Lenker einfach auszulassen und in die untergehende Sonne hineinzurauschen“, sind vorbei. Auch die wilden Berliner Tage, als er beim Twist-Tanzen in Berlin Günter Grass die Mädchen ausspannte, als er grinsend in einem Sarg liegend sein „Dracula“-Buch präsentierte.
„Aus fernen augen hast du uns angesehen“, meint Ernst Jandl, „gluecklich, wessen zeit mit deiner zusammentraf. mit dir, uns allen voran, haben wir in unserer sprach eine neue dichtung gemacht.“
Er hat nie vernünftig gelebt. Die Wirklichkeit hat ihn eingeholt. Er leidet an seelischem Rheuma. Während der letzten fünf Jahre lebte H. C. Artmann wieder in Wien, in der Josefstadt. Flügeltüren. Parkettböden. Gediegene Atmosphäre.
In der Nacht von 4. auf 5. Dezember 2000 ist das Herz zu schwach, um weiterzuschlagen. H. C. Artmann stirbt in seiner Wiener Wohnung.
BONVIVANT UND BÜRGERSCHRECK AUS BREITENSEE
Begegnungen mit einem Menschen voller Tatendrang und Traurigkeit
Ich hatte das Glück, H.C. Artmann zu kennen. Wir arbeiteten gemeinsam an dem Buch „Menschenbilder“. Ich besuchte ihn immer wieder in seinem Haus in Salzburg, in der Wohnung in Wien, wir unternahmen gemeinsame Reisen. Manchmal auch nur spontane Ausflüge in schattige Wirtshausgärten. Oder Expeditionen in kleine Bars. Wir waren auch immer wieder außerhalb Österreichs, in Europa, unterwegs. Wo immer wir hinkamen, stellte mich H. C. als „mein Freund“ vor. Als ich ihn einmal fragte, ob er zur Präsentation meines Helmut-Qualtinger-Buches nach Hamburg mitkomme, fragte er nur: „Wann müss’ ma in Schwechat sein?“ – „Die Maschine geht morgen früh, um 7 Uhr“, „Ich freu’ mich schon …“ Pünktlich um 5.30 Uhr stand er vor seiner Haustür.
Er war ein Freund, der die Frage eines Magazins, was Glück für ihn bedeute, mit dem Satz beantwortete: „…wenn ich um einen Freund Angst gehabt habe und ich dann die Nachricht bekommen habe, dass alles wieder in Ordnung ist.“
H. C. hat sich immer wieder Zeit genommen, um mir aus seinem Leben zu erzählen. Es war zwischen uns vereinbart, dass ich „gegen Mittag, am besten um zwölf“ anrufe. Er würde mir dann sagen, ob wir uns sehen können. Wenn H. C. einen guten Tag hatte, arbeitete er bis zu seinem Ende mit seiner Frau Rosa, die drei Jahrzehnte verlässlich an seiner Seite war. In den letzten Monaten diktierte er ihr aus dem Gedächtnis. Frei, ohne irgendwelche Notizen. So entstanden noch vier Goldoni-Übersetzungen und ein Opernlibretto im Auftrag des Herbert-von-Karajan-Zentrums.
Rosa stammt aus der Südsteiermark. Sie ermöglichte H. C. viele gelebte Wünsche. Es freute ihn, dass sie selbst zu schreiben begann. Und schöne Gedichte veröffentlichte:
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