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СКАЧАТЬ klar, dass sie die Tochter – oder zutreffender: die Enkelin – war, die er nie gehabt hatte. Sie liebte ihn ebenfalls. Weder er noch sie hatte das Wort Liebe je ausgesprochen. Ihre Beziehung beruhte auf Dingen, die nie gesagt worden waren und auch nicht gesagt werden mussten.

      Ava trank ihren Kaffee aus und überlegte, ob sie noch einen trinken oder mit ihrem Workout beginnen sollte. Zu Beginn ihrer zweiten Woche im Norden hatte sie ihr Training wiederaufgenommen. Sie hatte mit einem Morgenspaziergang begonnen, war dann dazu übergegangen, im Wechsel zu gehen und zu laufen, dann zu joggen, und inzwischen war sie in der Lage, eine ziemliche Strecke in fast ihrem alten Tempo zurückzulegen. Jeden zweiten Tag beschränkte sie ihren Lauf und ging zum Seeufer hinunter, um in langsamer Abfolge Bak-Mei-Bewegungsformen zu absolvieren, wie sie es gelernt hatte. Nur eine Handvoll Menschen in Kanada übten diese Kampfkunst aus. Sie wurde eins zu eins gelehrt, traditionellerweise vom Vater an den Sohn weitergegeben oder, in ihrem Fall, vom Lehrer an die Schülerin. Bak Mei war nicht schön anzusehen, aber sehr effektiv – es war darauf angelegt, größtmöglichen Schaden anzurichten. Ava war eine Expertin darin geworden.

      »Ava, darf ich mich zu dir gesellen?«

      Die Stimme ließ sie zusammenfahren. Sie blickte hoch und sah ihre Mutter mit zwei Tassen neben sich stehen.

      »Ich habe dir noch einen Kaffee gemacht«, sagte Jennie Lee.

      »Danke. Ich bin überrascht, dass du so früh auf bist.«

      »Ich konnte nicht schlafen.«

      »Bedrückt dich etwas?«

      Jennie reichte ihrer Tochter einen Kaffee und ließ sich dann ungeachtet der Feuchtigkeit in dem zweiten Muskoka-Stuhl nieder. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte sie, den Blick auf den See gerichtet.

      Jennie ging auf die Sechzig zu, aber selbst ohne Make-up und im Licht der Morgensonne sah sie aus wie eine Frau in den Vierzigern.

      »Worum geht’s?«, fragte Ava.

      »Ich möchte, dass du mich um drei Uhr zum Casino fährst.«

      »So früh, Mummy? Maria kommt erst um halb sechs dort an.«

      »Ich weiß, aber ich möchte, dass du dort mit jemandem redest.«

      »Mit wem?«

      »Mit Theresa Ng.«

      »Wer ist Theresa Ng?«

      Jennie Lee holte eine Schachtel du Maurier extra mild Kingsize Zigaretten aus der Tasche ihres Morgenmantels, zündete sich eine an und blies den Rauch in Richtung See. »Sie arbeitet als Baccara-Dealerin im Rama.«

      »Warum sollte ich mit einer Baccara-Dealerin sprechen?«

      »Sie hat ein Problem.«

      »Ich bin keine Lebensberaterin.«

      Jennie nahm zwei weitere tiefe Züge von ihrer Zigarette und warf sie dann auf den Boden. »Sie hat ein Geldproblem.«

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe sie gefragt, warum sie so bedrückt aussieht.«

      Avas Mutter schloss schneller Freundschaften als andere Menschen ihre Kleidung wechselten. Es gab kein Geschäft, das sie betrat, kein Restaurant, das sie besuchte, in dem sie die Bedienung oder die Verkäuferin nicht nach ihrem Namen und ihrem Befinden fragte.

      »Was hat das mit mir zu tun?«

      Jennie legte den Kopf an die Rückenlehne des Stuhls und wandte ihn dann langsam ihrer Tochter zu. »Nur weil wir nie darüber reden, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst, heißt das nicht, dass ich es nicht weiß.«

      »Wirklich?«

      »Ja, wirklich. Ich hatte immer schon den Verdacht, dass du all das Geld, das du verdienst, nicht machst, weil du eine gute Wirtschaftsprüferin bist. Ich fand es auch seltsam, dass du mit Onkel zusammenarbeitest, aber ich habe all die Gerüchte über seine Triaden-Verbindungen ignoriert und mir gesagt, dass er ein alter Mann ist, der inzwischen zu anderen Dingen übergegangen ist. Doch alle Zweifel, die ich hatte, waren ausgeräumt, nachdem du in Hongkong und Macao warst und das Leben von Michaels Partner und ihr Unternehmen gerettet hast.«

      »Michael war nicht in Macao.«

      »Ava, bitte behandele mich nicht wie eine Idiotin oder als könnte ich die Wahrheit nicht verkraften.«

      Ava trank in kleinen Schlucken ihren Kaffee und schaute auf das Wasser hinaus, das mit Menschen getüpfelt war, die von Kanus und kleinen Booten aus angelten. Die Jetskis bevölkerten den See gewöhnlich erst nach dem Mittagessen, und sie verschwanden wieder vor dem Abendessen und überließen den See bis zum Einfall der Dämmerung wieder den Angelnden. »Macao war emotional wie physisch sehr hart für mich«, sagte sie. »Ich rede nicht gern darüber.«

      »Andere Mitglieder der Familie, einschließlich Michael, haben genug geredet, so dass alle wissen, was passiert ist.«

      »Und ich bin sicher, dass es übertrieben ist.«

      »Wie – hast du Michaels Partner und das Unternehmen etwa nicht gerettet?«

      »Ich hatte Hilfe.«

      Jennie machte eine wegwerfende Geste. »Du hast die Hauptrolle gespielt. Das wissen wir alle. Als dein Vater von der Geschichte erfuhr, konnte er seine Gefühle nicht beherrschen. Es war das erste Mal, dass ich ihn habe weinen sehen. Und dann habe auch ich geweint, weil ich wusste, dass du nicht nur Michael gerettet hast, sondern die gesamte Familie. Wenn du nicht das ganze Geld zurückgeholt hättest, dann hätte dein Vater seine Bankkonten geleert, um Michaels Verluste abzudecken. Und wo stünden wir dann? Seine Arbeit all die Jahre wäre verloren, und meine Absicherung und die der anderen Frauen und Kinder wäre gefährdet gewesen.«

      »Ich habe getan, was ich tun musste.«

      »Du meinst, du hast getan, wozu du dich entschieden hattest, und deshalb bin ich sehr stolz. Als ich dich und Marian großgezogen habe, habe ich genau darum gebetet – dass meine Mädchen zu Frauen heranwachsen, die sich selbst treu sind.«

      »An manchen Tagen ist das schwerer als an anderen«, sagte Ava. »An solchen Tagen denke ich oft an dich und wie unbeirrbar du bist.«

      »Ava, du brauchst nicht –«

      »Ich meine es, wie ich es sage.«

      »Nun, es stimmt, dass die Beziehung zu deinem Vater eine Prüfung für mich war. Als ich ihn geheiratet habe, wusste ich, worauf ich mich einlasse: die zweite Frau eines Mannes, der seine erste nicht verlassen würde. Ich dachte, ich könnte damit umgehen, aber wir alle zusammen in Hongkong – das ging nicht. Also bin ich mit euch nach Kanada gezogen. Das war meine Entscheidung, Ava, nicht seine. Und als wir erst einmal hier waren, habe ich meine Ehe auf eine neue Basis gestellt, die mir genehm war und mir den Raum ließ, mich um euer Wohlergehen zu kümmern. Ich hätte alles für euch Mädchen getan.«

      Ava beugte sich hinüber und legte ihre Hand kurz auf die ihrer Mutter. »Das wissen wir.«

      »Und euer Vater und ich haben es inzwischen für mehr als dreißig Jahre hingekriegt.«

      »Ich weiß, dass das nicht einfach СКАЧАТЬ