Thomas Mann. Die frühen Jahre. Herbert Lehnert
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Название: Thomas Mann. Die frühen Jahre

Автор: Herbert Lehnert

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783835344822

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      Wie Heine betrachtete Thomas Mann die deutsche literarische Landschaft als protestantisch geprägt. Heine pries Kant als den »große[n] Zerstörer im Reich des Gedankens«,[101] der aus Güte für seinen Diener Lampe die Existenz Gottes durch die praktische Vernunft verbürgen lässt.[102] Diese Ironie Heines führt Thomas Mann in den Betrachtungen eines Unpolitischen an (13.I, 632).[103] Obwohl Heine die romantische Lyrik schätzt – produzierte er doch selber Lyrik in romantischem Stil –, kritisiert er ihre reaktionären Tendenzen. Heine denkt in Widersprüchen – wie Thomas Mann.

      Heinrichs Aneignung Goethes, Heines, Fontanes, Storms und Brandes’ ist in seinen Briefen an Ewers dokumentiert. Thomas orientierte sich lange an dem großen Bruder. Er war ebenso wie Heinrich von den Gedichten Heines und Storms angetan. Die Gedichte August von Platens liebte er »von jung auf« (GW X, 887; 1926) wohl mehr als Heinrich, der die Homoerotik verachtete. Er besaß eine zweibändige Ausgabe von Platens Werken von 1895 (Essays III, 446).

      Schon in Thomas Manns erster überlieferter Erzählung Gefallen sind die Szenen der Gespräche des Ich-Erzählers mit seinem Kollegen Rölling in der Art von Fontanes leichtem Konversations-Stil geschrieben. Effi Briest hat Thomas Mann 1895 im Jahr des Erscheinens der Buchausgabe gelesen (21, 73).[104] Er blieb lebenslang ein Verehrer Fontanes, über den er einige Essays schrieb.[105]

      Erst aus dem Vorwort zu Conrad Ferdinand Meyers Der Heilige von 1930 erfahren wir, dass Liebe und Bewunderung für den Schweizer Dichter in Thomas Manns früher Jugend (GW XIII, 425) begonnen hat. Meyers Prosa vereinigt greifbare Vergegenwärtigung mit Eindringen in die Psyche seiner Figuren, ein Schreibstil auch Thomas Manns. In Meyers Lyrik gibt es Stellen, von denen man vermuten kann, dass sie den jungen Thomas Mann angesprochen haben: die Michelangelo-Gedichte, darunter In der Sistina, oder die Todessymbolik in Im Spätboot. Auf Gottfried Keller wurde er erst später aufmerksam (21, 403).

      Thomas Mann hat in der Jugend viel Lyrik gelesen. In der Zeit seines autodidaktischen Studiums in den 90er-Jahren wird er sich mit der deutschen Lyrik der Moderne bekannt gemacht haben. Stefan George erwähnt er in seinen Essays aus Distanz. Von Aufmerksamkeit schon für die frühe Dichtung Rilkes zeugt ein Brief vom 10. April 1905 an Richard Schaukal. Der Exil-Germanist Wolfgang Michael hat mir erzählt, dass Thomas Mann, als er ihn in Kalifornien besuchte, eine Reihe von Rilke-Gedichten auswendig rezitierte. Hugo von Hofmannsthal schickte Thomas Mann die Sammlung seiner Gedichte zu Weihnachten 1908, nachdem dieser Hofmannsthal in Rodaun besucht hatte (21, 401, 746).

      Ibsen und Wagner nennt Thomas Mann 1928, in einem kleinen Aufsatz unter diesem Titel, »die beiden großen Kundgebungen, die der nordisch-germanische Kunstgeist« dem französischen, russischen und englischen Roman und der französischen impressionistischen Malerei als »ebenbürtige Schöpfungen« an die Seite gestellt habe, beide seien kennzeichnend für die Größe der Epoche des 19. Jahrhunderts, »ihrer titanischen Morbidität« (GW X, 227).

      Das Lübecker Theater war dem Senatoren-Haus benachbart. Erinnerungen Thomas Manns aus dem Jahr 1930 sprechen davon, dass er häufig das Theater besuchte, »erlaubter- oder unerlaubterweise« (GW XI, 418). Ein Brief von 1917 erzählt von dem Eindruck, den Schillers Don Carlos sowie eine französische Ehebruchs-Komödie auf den Sechzehnjährigen machte.[106] Die Lübecker Aufführung von Ibsens Nora oder Ein Puppenheim durch eine Gastspiel-Truppe wird er besucht haben. Nora gehört zu einer Gruppe von gesellschaftskritischen naturalistischen Dramen von Ibsen, zusammen mit Stützen der Gesellschaft, Gespenster und Ein Volksfeind, die alle 1877–1881 entstanden, oft in deutscher Übersetzung aufgeführt wurden und einen großen Eindruck hinterließen. Thomas Mann spielte 1895 die Rolle des alten Werle in der deutschen Erstaufführung des Dramas Die Wildente mit dem »Akademisch Dramatischen Verein«, einer ehemaligen Studentenverbindung. Er hatte die Wahl des Dramas »warm befürwortet« (21. 43).

      Jens Peter Jacobsens Roman Niels Lyhne (1880) wurde in den 90er-Jahren in Deutschland rezipiert. Eine Übersetzung erschien 1889 im Reclam Verlag. Thomas Mann hat Niels Lyhne sehr wahrscheinlich in den 90er-Jahren gelesen, vielleicht schon in Lübeck, vielleicht auf der Reise nach Dänemark.[107] Die Beschreibung einer homoerotischen Liebe in Niels Lyhne dürfte Thomas Manns Interesse geweckt haben:

      Gibt es wohl in allen Gefühlsverhältnissen des Lebens ein zarteres, edleres und innigeres, als die leidenschaftliche und doch schüchterne Liebe eines Knaben zu einem anderem? Solch eine Liebe, die niemals spricht, sich niemals in einer Liebkosung, einem Blick, einem Worte Luft zu machen wagt, solch eine sehende Liebe, die tief trauert über einem Mangel oder einem Fehler bei dem, den sie liebt, die Sehnsucht und Bewunderung und Selbstvergessen, Stolz, Demut und ruhig atmendes Glück ist![108]

      Dieses Gedicht in Prosa musste Thomas Mann ermutigen, von homoerotischen Freundschaften wie derjenigen zwischen Kai Graf Mölln und Hanno Buddenbrook und zwischen Tonio Kröger und Hans Hansen zu erzählen. Niels Lyhne dürfte Thomas Mann zudem angesprochen haben aufgrund der ambivalenten Gottlosigkeit des Dichters: Niels »nahm Partei – so weit er es konnte – gegen Gott, aber wie ein Vasall, der gegen seinen rechtmäßigen Herrn zu den Waffen greift, denn er glaubte noch und konnte den Glauben nicht forttrotzen.«[109] Niels’ »Idee«, dass der Mensch ohne Furcht vor der Hölle und ohne Hoffnung auf das Himmelreich seine wahre Freiheit gewinnen und liebend für die Erde sorgen wird, stellt sich die Einsicht entgegen, das Ergebnis des Atheismus sei »eine desillusionierte Menschheit«.[110] Am Ende bleibt Niels gottlos: Schwer verwundet im deutsch-dänischen Krieg von 1864 und unter Schmerzen hält er an seiner Überzeugung fest.

      Die psychologische Einsicht einer Figur zitiert Thomas Mann in Tonio Kröger: »Wo Menschen lieben […] da muss immer der sich demütigen, der am meisten liebt.« (2.I, 246) Das ist ein fast wörtliches Echo aus Jacobsens Erzählung Frau Fönß.[111] 1903 schrieb Thomas Mann einem dänischen Autor, der eine Einleitung zu Buddenbrooks schreiben sollte: »vielleicht ist es J. P. Jacobsen, der meinen Stil bis jetzt am meisten beeinflusst hat« (21, 233). Er meint wohl den Stil einer skeptischen Moderne.

      In seinem Aufsatz über Knut Hamsun Die Weiber am Brunnen schrieb Thomas Mann Ende 1921: »Ich habe ihn immer geliebt, von jung auf. Ich fühlte früh, dass weder Nietzsche noch Dostojewski im eigenen Land einen Schüler dieses Ranges hinterlassen haben.« Schon der junge Thomas Mann war empfänglich für Hamsuns Romane Hunger (1891), Mysterien (1894), Pan (1895) und Victoria (1899) (15.I, 472 f.). Diese Texte handeln alle von Außenseitern, die sich nicht in die Gesellschaft der anderen einpassen wollen.[112]

      Seit 1890 hatte Heinrich sich für Edgar Allan Poes Erzählungen interessiert.[113] Dieses Interesse hat er an seinen Bruder weitergegeben, der in Buddenbrooks Kai, den Schulfreund Hannos, sich für die Erzählung von dem Untergang des Hauses Usher begeistern lässt (1.I, 789). Außer für die Erzählungen Poes hat Heinrich, soweit ich sehe, sich wenig für englischsprachige Literatur interessiert. Auch Thomas scheint lange keine englischen Autoren studiert zu haben, allerdings abgesehen von Shakespeare. Anfang 1901, Buddenbrooks war im Druck, schrieb er »Dickens, Thackeray« in sein Notizbuch 4 (Nb.I, 195 f.) wahrscheinlich als Autoren, die er kennen sollte. 1922 nannte er Charles Dickens und William Thackeray unter den Autoren, die Einfluss auf Buddenbrooks genommen hatten, zusammen mit den Norwegern Kielland und Lie, Tolstoi und dem Roman Renée Mauperin der Brüder Goncourt (15.I, 510). Ihm lag wohl an stilistischer Ähnlichkeit, ein gründliches Studium von Thaceray beweist diese Äußerungen nicht.

      Mindestens ein Roman von Charles Dickens hat Eindruck auf ihn gemacht: Verkehr mit der Firma Dombey & Sohn, Engros, Detail und Export, Reclam 1896, eine Übersetzung von: Dealings with the Firm of Dombey and Son: Wholesale, Retail and for Exportation (1848), gewöhnlich »Dombey and Son« genannt. Dieses Buch ist in Thomas Manns Nachlassbibliothek erhalten. Sein Thema ähnelt dem der Buddenbrooks: Im Mittelpunkt steht ein stolzer Geschäftsmann, der seine Umwelt mit seinem Geld regieren will, jedoch endet seine Firma im СКАЧАТЬ