Название: Flusenflug
Автор: Peter Maria Löw
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783955102395
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45Fred war übrigens wirklich Bankräuber, aber offensichtlich ein erfolgloser. Nachdem ein Banküberfall in Manchester gescheitert war, hatte er sich nach Guatemala abgesetzt und vermietete jetzt für »kleines Geld« Pferde.
Das 11. Abenteuer Flusenflug
Ein weiteres, diesmal größeres Industrieunternehmen mit hoher Wertschöpfung sollte uns im Herbst 1997 Thomas Güntzer antragen, der unser Wirken als Geschäftspartner des East German Investment Trusts (EGIT) bereits bei der TEK Dach und Wand GmbH und dem erfolgreichen Ausgang unseres dortigen Engagements erlebt hatte. Er war es, der den Kontakt zur börsennotierten Kolb & Schüle AG herstellte, einer der ältesten Aktiengesellschaften Deutschlands mit Gründungsdatum 1780. Die beiden Vorstände Herr Mahler46 und Herr Holt47 schienen bei dem ersten Treffen wie aus der Zeit gefallen. Herr Mahler, eine lange, dürre Erscheinung, stets mit Anzug und Weste bekleidet, und Herr Mahler, augenscheinlich ein Gentleman der alten Schule mit Goldknöpfen, verwalteten ein kleines Imperium im Niedergang. Der Konzern hatte sich auf die Textilindustrie fokussiert, eine Branche, deren Betriebe die Bundesrepublik bekanntlich bereits scharenweise verlassen hatten oder ihren Betrieb ganz einstellen mussten.
Im Portfolio der Kolb & Schüle befand sich auch die über einhundertsechzig Jahre alte GG Langheinrich GmbH & Co. KG in Schlitz, die, von DM 60 Mio. Umsatz kommend, inzwischen bei rund DM 28 Mio. angelangt war. Die Gesellschaft war 1832 von Ernst Langheinrich als Leinenweberei geründet worden. 1997 war sie im Grunde ein vollstufiger Textilhersteller für Tisch- und Flachwäsche, ausgestattet mit über einhundert Webstühlen, die im Jacquard-Verfahren weiße Tuche produzierte. Die Firma war zu diesem Zeitpunkt bereits defizitär, jedoch musste der Vorstand von Kolb & Schüle damit rechnen, dass sich die Ertragssituation nochmals verschlechtern und im schlimmsten Falle den ganzen Konzern mit in den Abgrund reißen konnte. Wir trauten uns eine Sanierung der Geschäfte zu, ohne einen wirklichen Sanierungsplan in der Tasche zu haben. Wir einigten uns mit den Herren Holt und Mahler auf einen Kaufpreis von DM 700 000 und schon gehörten uns fünf Produktionsstätten mit ca. 200 Mitarbeitern verteilt auf über 10 000 m2 Betriebsfläche.
Als wir uns beim alten Geschäftsführer als neue Gesellschafter vorstellten, wurde uns als erste Amtshandlung eine Mohrrübe vorgelegt. Diese sei vom Betriebsgärtner in dem Betriebsgarten eigens für die Geschäftsführung vorgesehen. Jeden Morgen würde die Geschäftsführung eine solche Mohrrübe um halb elf auf einem silbernen Tablett mit einer weißen Serviette serviert bekommen. Der arme Gärtner war der Erste, den wir entlassen mussten, obwohl er ja eigentlich gar nichts dafür konnte.
Auch sonst strotzte die Gesellschaft vor personellen Überkapazitäten, was auf eine nicht sehr effiziente Geschäftsführung hinwies. Um die kritische Profitabilität der Gesellschaft und die anhaltend negativen Cashflows in kürzester Zeit zu stoppen, war eine umfassende Restrukturierung unausweichlich. Doch die Widerstände gegen jede Form der Modernisierung waren beträchtlich. Bereits am zweiten Tag ließ ich mir von dem Produktionsleiter die Abläufe in der Produktion erklären. Nachdem die Tuche auf den Jacquard-Webstühlen fertig gewebt waren, wurden sie, soweit sie gefärbt werden mussten, in die Lohnfärberei Winterthur in der Schweiz verbracht, ein der Tatsache geschuldeter Aufwand, dass unsere Textilfabrik, anders als alle unsere größeren Wettbewerber, keine eigene Färberei auf dem Betriebsgelände besaß. Das führte zu der misslichen Situation, dass fertig gewebtes Tuch in einem aufwändigen Transport nach Winterthur versandt werden musste, dort gefärbt wurde, um anschließend wieder per LKW zur Konfektion in die Fabrik zurückgebracht zu werden. Ein extrem zeitaufwändiges Verfahren, das nicht nur sechs Wochen lang zusätzlich Working Capital band, sondern auch bei Qualitätsmängeln in der Färberei zu einer Wiederholung des ganzen Prozesses führte, auch wenn die Lohnfärberei uns dann zumindest die Materialkosten ersetzen musste. Ich fragte also den Produktionsleiter, ob es denn nicht sinnvoller wäre, den Färbevorgang nach vorne zu verlagern, das heißt bereits vorgefärbte Garne in die Webstühle einzuspannen und dadurch den Transport zur Lohnfärberei vollends zu vermeiden.
Und hier setzte ein Lamento ein, das ich bei meinen zukünftigen Akquisitionstätigkeiten in ähnlicher Form immer wieder hören sollte. »Lieber Herr Dr. Löw. Man sieht schon an Ihrer Fragestellung, dass Sie von Textilwirtschaft überhaupt keine Ahnung haben. Wären Sie Textilit und hätten Sie das Lebensgefühl eines Textilarbeiters mit der Muttermilch eingesogen, dann würde sich Ihre Frage doch vollends erübrigen.« Was ich denn glauben würde, weswegen alle Wettbewerber in der Industrie das sogenannte Stückfärbeverfahren anwenden würden, also die Tuche erst nach dem Webvorgang färbten? Die angewendeten Verfahren würden auf jahrelanger, ja, jahrhundertelanger Erfahrung beruhen und da käme jetzt ich, der Dr. Löw, daher. Es gäbe nichts Besseres und dabei solle man es doch belassen, basta. Dass mich diese Antwort nicht im Entferntesten zufriedenstellte, kann man erahnen. Auf mein Nachbohren, was es denn nun im Einzelnen genau sei, das gegen ein Garnfärbeverfahren48 sprechen würde, gab mir der Betriebsleiter, inzwischen sichtlich genervt, folgende Antwort: »Flusenflug«. Er starrte in mein erstauntes Gesicht. »FLUSENFLUG«, brüllte er, jeden einzelnen Buchstaben betonend, als ob er mit einem Idioten sprechen würde. »Was ist Flusenflug?«, flüsterte ich bescheiden. Nun wurde sein Ton väterlicher: »Ich will es Ihnen erklären. Stellen Sie sich zwei Webstühle vor, die nebeneinander ihre Arbeit verrichten. Die Schiffchen sausen von links nach rechts, die Webstühle erhitzen sich, warme Luft steigt auf. Und nun stellen Sie sich folgenden Fall vor: der eine Webstuhl webt vorgefärbtes rotes Garn, der andere Webstuhl daneben weißes Garn. Aufgrund der Thermik, die unweigerlich entsteht, steigen hin und wieder leichte Flusen mit dem Luftsog nach oben und fallen durch Abkühlung wieder nach unten, und dies links und rechts des webenden Webstuhls. Und webt dann der Webstuhl daneben eben weißes Garn, so ist es ein Naturgesetz, dass immer mal wieder eine rote Fluse sich auf das weiße Tuch setzt und durch die Schiffchen eingewebt wird, sodass das weiße Tuch mit gelegentlichen roten Flusen durchzogen ist. Und diese weiße Charge ist dann Ausschuss und kann weggeworfen werden. Das sind die schrecklichen Folgen des Flusenflugs.« Er starrte mich aus großen Augen an, als sei ich von einer anderen Welt. Sichtlich erschüttert nickte ich. Doch was vom Produktionsleiter als Zustimmung gewertet wurde, war nur eine mechanische Bewegung, die die Denkleistung erhöhen sollte. Um den ganzen Prozess abzukürzen: Ich habe daraufhin den Betriebsleiter entlassen, bin in den nächsten Baumarkt gefahren, habe zwischen die Webstühle Plastikfolien von der Rolle gehängt und die Anweisung ausgegeben, ab nächster Woche würden gefälligst nur noch gefärbte Garne in die Webstühle eingespannt.
Der Erfolg dieser Maßnahme war unglaublich. Das Märchen vom Flusenflug erwies sich, jedenfalls dank meiner einfachen Folienbahnen als reines Luftgespinst. Keine Fluse landete jemals dort, wo sie nicht sollte. Die Qualität der Stoffe erhöhte sich dramatisch, denn bei einem stückgefärbten Stoff, also einem Stoff der erst nach dem Webvorgang gefärbt wird, kann die Farbe das Gewebe nicht perfekt und gleichmäßig durchdringen. Insbesondere an den Stellen, wo die Garne übereinanderliegen ist die Farbdurchdringung geringer. Beim Garnfärbeverfahren ist das Garn schon vor dem Webvorgang perfekt durchgefärbt, das heißt, auch das Gewebe nach dem Webvorgang ist bzw. bleibt perfekt gefärbt.
Der Qualitätsvorsprung gegenüber allen Wettbewerbern, die auf die Stückfärbung vertrauten und ihre alten Färbereien nicht abschreiben wollten, war gewaltig. Denn unsere Kunden waren überwiegend Fluggesellschaften, Hotels oder Mietwäscher, die Tischwäsche in hoher Qualität für ihre Kunden СКАЧАТЬ