Название: Deutsche Geschichte
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Sachbücher bei Null Papier
isbn: 9783962817725
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Dem kirchlichen Gesetz standen die Gesetze des wirtschaftlichen Verkehrs mit solcher Gewaltsamkeit entgegen, den Klerus selbst in den Strom hineinreißend, dass, wenn nicht eine Lösung des Widerspruchs, doch ein Ausweg gefunden werden musste; er fand sich darin, dass die Handhabung der Geldgeschäfte den Juden übertragen wurde, die dem christlichen Gesetz nicht unterstanden. Eine gewisse Neigung und Begabung der Juden für das Geldgeschäft kam dieser Regelung entgegen, die aber, wenn nicht hervorgebracht, doch dadurch unterstützt wurde, dass sie auf das Wohnen in den Städten und Erwerb durch Handel angewiesen waren. Im vermehrten Sachsenspiegel heißt es, von Gottes Recht solle kein Jude Wucher nehmen, doch sei ihre Ordnung anders als bei den Christen, weil sie hierzulande nichts Eigenes haben könnten, darum seien sie von Kaisern und Königen begnadet, dass sie sonderliches Recht hätten. Sie müssten wuchern, weil sie erblich Land und Boden nicht haben dürften und weil die Handwerker sie nicht in ihre Zünfte einließen. Man sagte auch geradezu, Juden müssten wuchern, weil die Christen es nicht dürften.
Die Übernahme der Geldgeschäfte durch die Juden hatte für Juden und Christen verhängnisvolle Folgen. Indem die Juden zu Gläubigern, die Christen zu Schuldnern wurden, entstand ein gespanntes Verhältnis mit der Neigung zu gewaltsamen Entladungen. Während der Glaubenshass eigentlich nur von der Kirche ausging, betraf der Schuldnerhass fast alle Kreise des Volkes, und der letztere war viel grimmiger, weil er auf der Not des Ausgepressten zu seinem Dränger beruhte. Die Klage der Christen, dass die Juden hohe Wucherzinsen forderten und sie dadurch erdrückten, war nicht unberechtigt. Es war üblich, Geld auf kurze Frist und zu erstaunlich hohen Zinsen auszuleihen. Die Höhe des Zinsfußes betrug im Jahre sechzig und siebzig Prozent; in Österreich stieg der Zins infolge besonderer Verhältnisse auf 174, sogar auf 304 Prozent im Jahr. Wenn nun aber die Juden gelegentlich auch über den gesetzlich erlaubten Zins hinaus ihre Schuldner auspressten, so waren sie dazu fast gezwungen durch die Forderungen, die an sie selbst gestellt wurden. Je spärlicher die regelmäßigen Einkünfte der Kaiser wurden, desto mehr nützten sie die Quellen aus, die ihnen zur Verfügung standen, und das waren außer den Abgaben der Reichsstädte die der Juden, die für die Gewährung des kaiserlichen Schutzes gewisse Zahlungen zu leisten hatten. Zu den regelmäßigen Leistungen kamen außergewöhnliche, wenn sich eine Gelegenheit bot. Waren die Judenerträgnisse vom Kaiser den Fürsten oder Städten übertragen, die Ansprüche an sie hatten, so wurden sie von diesen ausgesogen. Je mehr die Juden zu zahlen hatten, je mehr sie selbst ausgebeutet wurden, desto mehr mussten sie ihre Schuldner ausbeuten: es war ein hässlicher, unheilvoller Kreislauf. Bei dem ungeheuren Geldbedürfnis und Geldmangel des Mittelalters, hervorgerufen durch die steigenden Ansprüche auf der einen und den noch unentwickelten Verkehr auf der anderen Seite, waren alle Stände den Juden verschuldet: die Kaiser, die Päpste, der hohe und niedere Adel, die Handwerker. Wenn die Verschuldung einen bestimmten Grad erreicht hatte, so suchten die Schuldner sich aus der Schlinge, die sie erwürgte, gewaltsam zu befreien.
Es leuchtet ein, dass Hochgestellte eher die Möglichkeit hatten, sich Einnahmequellen zu verschaffen oder den Ansprüchen der Gläubiger sich zu entziehen, als das niedere Volk. Daraus erklärt es sich, dass dies die gerechte Handhabung des Judenschutzes durch Kaiser, Fürsten und Stadträte so beurteilte, als wären sie von den Juden bestochen. Sie waren es, insofern sie auf die hohen Gebühren, die sie von den Juden erzielten, nicht verzichten wollten; trotzdem geschah es auch aus Bildung, Einsicht und Pflichtgefühl, dass sie bei Judenverfolgungen durch den Pöbel hindernd und strafend einschritten. In dieser erhitzten Stimmung verschärfte sich teils der Glaubenshass, teils wurde er Vorwand. Ohnehin nahm im 13. Jahrhundert der Fanatismus der Kurie zu, sowohl in Bezug auf die Ketzer als auf die Juden. Innocenz III. erließ ein Gesetz, das den Juden eine bestimmte Tracht vorschrieb, die sie kenntlich und zugleich lächerlich machte. Die spitzen gelben Hüte gaben sie dem Hohn der Gasse preis.
Die Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wühlten auf, was an bestialischen Trieben in den Untiefen des deutschen Volkes sich verbarg, und offenbarten den Heroismus, dessen die Juden fähig waren. So pflegt die ewige Gerechtigkeit Gewinn und Verlust zwischen Verfolgern und Verfolgten zu verteilen. Die Einsicht, dass die Deutschen in Bezug auf das Geldgeschäft oft schlechter als die Juden handelten, ohne dieselben Entschuldigungen zu haben, machte niemanden in seiner Wut wankend. Der Mönch von Winterthur, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Geschichte seiner Zeit niederschrieb, erzählt einmal, in Lindau sei bei den meisten Menschen Gottesfurcht und Nächstenliebe so verschwunden, dass sie gegen das ausdrückliche kanonische Gebot, verworfener als die Juden, hohen Zins verlangten. Sie wären in der Gewissenlosigkeit СКАЧАТЬ