Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Sie muß einmal sehr schön gewesen sein, sagte Heinz, um doch etwas zu sagen.
Und wird ihren Landsleuten noch jetzt dafür gelten. Sie hat auch sonst treffliche Eigenschaften, ist großherzig und ohne Falschheit. Nie hat sie mich's fühlen lassen, daß ich nicht ihr rechtes Kind war, nie stand sie mir beim Vater im Wege, nie hat sie aus mir etwas anderes machen wollen, als nach meinen Anlagen aus mir werden mochte. Vielleicht wär's ihr lieb gewesen, wenn ich mich dem geistlichen Stande gewidmet hätte, aber dann sicher mehr aus einem anerzogenen Hange der Frömmigkeit, als aus der Berechnung, daß ihre Tochter den Grundbesitz erben könne. Es ist wahr, der Grund von alledem geht wenig in die Tiefe; sie lebt gern leicht fort und läßt den Dingen aus einer Art von Gleichgültigkeit ihren Lauf, die ich doch lieber Sorglosigkeit nennen möchte; denn sie kann auch recht leidenschaftlich wünschen und handeln, und wen sie haßt, der mag sich vorsehen. Eine Mutter ist sie mir doch nie gewesen, immer nur – die polnische Frau, deren Sprache ich erst lernen mußte. Die Polin ist sie auch geblieben. Sie hat nicht deutsche Sitte angenommen in dem deutschen Hause, sondern das deutsche Haus nach polnischer Weise eingerichtet und meinen Vater daran gewöhnt, sich wohl darin zu fühlen. So ist er nun vielleicht noch mehr als die anderen Bündischen geneigt, die eigene Herrschaft geringzuschätzen und sich nach der fremden zu sehnen. Das hat mir schon recht schwere Stunden gemacht.
Heinz drückte ihm die Hand. Bleibe du nur treu, so kommt in Zukunft doch wieder alles ins Rechte, antwortete er.
Sie gingen einige Schritte schweigend weiter. Es war nun eine Stelle auf dem Hügel erreicht, von der aus man in den Garten und auf den Tanzplatz blicken konnte; die Musik war hier deutlich zu hören. Was denkst du von meiner Schwester, Heinz? fragte Hans plötzlich.
Sie ist das reizendste Geschöpf, was der liebe Herrgott auf die Erde gesetzt hat, rief der Freund ohne Besinnen, aber freilich –
Aber freilich? Sprich nur aus.
Es ist schwer zu sagen. Sie zieht mich an und stößt mich auch wieder ab. Nein, das trifft's nicht, sie stößt mich nicht ab, aber ich habe in ihrer Nähe das Gefühl, als müßte ich absterben. Es ist lächerlich, aber wenn ich ganz wahr sein soll, muß ich bekennen, daß mich etwas wie Angst und Furcht in ihrer Nähe befällt, als wäre ich meiner nicht mehr sicher wie sonst, und müßte tun und leiden, was ihrer Laune gefällt. Nur daß mir sehr wohl dabei ist! Sie hat so merkwürdige, zwingende Augen –
Die sind von der Mutter, fiel Hans ein, und das heitere, helle Lachen hat sie wieder vom Vater. Es treiben sich zwei Geister in ihr um, und meist tauchen sie immer neckisch auf und ab, so daß bald der eine, bald der andere in raschem Wechsel sein Gesicht zeigt. Du sprichst mit ihr ganz ernst, und im nächsten Augenblick fliegen ihre Gedanken davon wie eine Schar Spatzen. Du hörst sie über ein Nichts ausgelassen lachen, und gleich darauf fragt sie dich etwas, das kein Professor beantworten kann. Stundenlang sitzt sie auf einem Stühlchen zu den Füßen ihrer Mutter und läßt sich geduldig das Haar kämmen, was Frau Cornelia angenehm beschäftigt, und dann wieder ist ihr das schnellste Pferd nicht schnell genug; sie spielt zärtlich mit dem kleinen Reh und befreit mitleidig eine Fliege aus dem Spinnennetz, ihre Dienerinnen haben aber fast täglich rot geweinte Augen. So ist sie wie ein rechter Kobold, den man stets fangen möchte und nie halten kann. Ich bin in das närrische Zwitterding von Polnisch und Deutsch so verliebt, als es nur ein Bruder sein kann; aber manchmal habe ich mir schon im stillen Glück gewünscht, daß ich der Bruder bin. Ihr Mann … Wie denkst du dir ihren Mann? Ich fürchte, wie sie einmal ist, wird sie einen Deutschen nicht glücklich machen und mit einem Polen nicht glücklich werden. Man zerbricht sich über so etwas den Kopf, wenn das Herz beteiligt ist.
Heinz mochte wohl diese Frage zu schwierig finden. Er gab darauf nicht Antwort, dachte vielleicht auch gar nicht darüber nach. Er wies aber mit der Hand nach dem Tanzplatz und sagte: Brechen die Tänzer nicht auf?
Hans meinte, sie würden in die Halle ziehen und dort ihr Vergnügen fortsetzen. So früh trenne man sich hier nicht.
Sie stiegen hinab, dem Rasenplatz zu, der sich allmählich leerte.
Ich muß noch einmal mit ihr tanzen, sagte Heinz; dann weise mir die Lagerstelle an, ich will morgen früh aufbrechen.
Die Musikanten spielten schon in der Halle. Wo bleibt ihr denn? rief Natalia den Freunden zu. Ist der Junker von Waldstein schon so bald müde?
Er umfaßte sie und drehte sie so rasch im Kreise um, daß sie nach einer Weile selbst rufen mußte: Es ist genug!
Es ist genug, wiederholte er. Lebt wohl, Fräulein, morgen schlaft Ihr noch, wenn ich schon auf der Landstraße reite!
Sie lachte dazu.
Hans brachte den Freund nach dem alten Hause, das jetzt nicht mehr gesperrt war. Er selbst ging ebenfalls nicht mehr nach der Halle, sondern legte sich mit ihm zur Ruhe, nachdem er ihm noch ein seltenes Buch mit schönen gemalten Buchstaben gezeigt hatte.
Oft mußte der Gast sich von der einen Seite auf die andere werfen, ehe er einschlafen konnte. Die Töne der Zigeunermusik schwirrten in seine Träume hinein.
Aber nicht viel später, als er sich's vorgenommen hatte, war er am nächsten Morgen auf und zu Pferde. Hans gab ihm den Abschied bis aus dem Hoftor hinaus und entließ ihn mit einem herzlichen Händedruck.
Als er in allerhand Gedanken vertieft an der Heide vorüberkam, hörte er von den hohen Steinen her ein helles Lachen. Er schaute um und sah den Kobold zu Pferde. Guten Morgen, Junker! rief ihn die bekannte neckische Stimme an.
Heinz wollte seinen Augen nicht trauen. Seid Ihr schon so früh auf, Fräulein? fragte er verwundert.
Euch das Geleite zu geben. Aber in Wahrheit: Ich bin lieber gar nicht zu Bett gegangen, um nicht zu verschlafen. Ich hatte mir's nun einmal vorgenommen, Euch zu überraschen. Reitet nur im Trabe weiter, wenn Ihr wenig Zeit habt, ich folge bis zum Kreuzwege. Rechts geht's nach Lessen und Christburg.
Sie trabte neben ihm hin. Plötzlich lenkte sie ihren Braunen mit einem scharfen Ruck dicht an seinen Gaul heran, schlug ihn mit der Hand auf die Schulter und rief: Angeschlagen! Ihr habt den letzten – gebt ihn mir bald wieder!
Damit jagte sie in Windeseile davon.
12. DES ORDENS HAUPTHAUS
Da steht die Marienburg auf dem hohen Ufer der Nogat und spiegelt sich mit ihren hochragenden Türmen, spitzen Giebeln, mächtigen Strebepfeilern und zackigen Zinnen im Abendscheine in den klaren Fluten des breiten, langsam hinziehenden Flusses. Viel wird überall in deutschen Landen und weit über seine Grenzen hinaus im ganzen römischen Reich an Fürstenhöfen und in Ritterburgen von ihrer Herrlichkeit gesagt und gesungen; ein Wunder der Christenheit nennt man sie. Aber wer sie mit Augen sah, bekannte gern, daß keine Beschreibung genügte, ein volles Vorgefühl von ihrem majestätischen Ernst und von der Mächtigkeit des Eindrucks auf die Seele des Schauenden zu geben. Das ist das Haupthaus des Deutschen Ordens, das ist die Wohnung des Hochmeisters, den die mehr als tausend Brüder nah und fern, die Blüte des deutschen Adels, zu ihrem obersten Gebietiger erkoren haben, und der ein Fürst ist über Burgen und Städte, Land und Leute, den mächtigsten Herren gleich.
Und da steht sie noch, hoch und hehr, wie vor hundert Jahren jener Meister Siegfried von Feuchtwangen sie fürstlich СКАЧАТЬ