Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury
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Читать онлайн книгу Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury страница 262

СКАЧАТЬ für Fräulein Anneliese gewiß auch?« warf ihre Begleiterin forschend ein.

      »Ja, natürlich, für Anneliese auch. Wir sind ja wie Geschwister miteinander aufgewachsen.«

      »Warum – warum ist denn Fräulein Anneliese diesmal nicht mit uns gekommen?« Die Frage, die Annemarie schon den ganzen Tag auf der Seele brannte, trotzdem sie Annelieses Abwesenheit ganz und gar nicht bedauerte, brach sich Bahn.

      »Das hat halt einen ganz bestimmten Grund.« Ola machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Ihnen kann ich’s ja wohl anvertrauen, Fräulein Annemarie, sie ist heimlich verlobt – – –.«

      »Mit – mit Ihrem Bruder?« Die Sonne in Annemaries strahlend blauen Augen schien plötzlich zu erlöschen.

      »Mit dem Rudi? Hahahaha – ich bitt’ vielmals um Entschuldigung, wenn ich lach’, aber das kommt mir doch zu komisch vor. Die beiden sind ja wie Schwester und Bruder. Nein, einem jungen Privatdozenten, der von Tübingen nach Freiburg gegangen ist, hat sie’s angetan. Mein Onkel fährt mit ihr nach Titisee, damit die zwei öfters zusammen sein können.«

      »Da wünsche ich Ihrer Cousine alles erdenkliche Glück!« Aus vollstem Herzen kam Annemarie dieser Wunsch. Die Abneigung, die sie von Anfang an Anneliese gegenüber gefühlt, und der Druck, der sie befallen, wenn sie nur an sie dachte, war plötzlich von ihrer Seele gewichen.

      »Eifersucht – lächerliche Eifersucht ist’s gewesen – schäme dich«, sagte Nesthäkchen ehrlich, und war trotz dieser wortlosen Strafpredigt plötzlich unsagbar froh.

      »Nein, der Rudi, der darf mir noch nicht ans Heiraten denken. Als Kinder haben wir es uns immer schon ausgemalt, wie wir später wieder beisammen wohnen werden, wenn er erst Arzt sein wird. Denn das war schon als Bub sein Wunsch. Sobald er sich einmal niedergelassen hat, ziehen wir zusammen, und ich mach’ mir ein gemütliches Heim mit dem Rudi.«

      »Was redet’s von mir?« Der Vorangehende, der seinen Namen gehört, blieb neugierig fragend stehen.

      »Denk mal, Rudi, Fräulein Annemarie hat g’meint, daß du und – – –.« Ola, die mit harmlosem Lachen die falsche Mutmaßung berichten wollte, kam nicht weiter.

      Annemaries Hand legte sich ihr beschwörend auf den lachenden Mund. »Nicht verraten – bitte, bitte, versprechen Sie’s mir. So – Herr Doktor, jetzt hab’ ich auch mein Geheimnis.«

      »Also, da sind wir quitt von vorhin,« scherzte Rudolf.

      »Quitt – jawoll! Ihr Verbrechen wird noch geahndet.« Aber gar so bös sah die Annemarie dabei nicht aus, trotzdem sie doch zuerst ärgerlich genug auf ihn gewesen war.

      Die Sonne stand schon schräg, als man nach Reutlingen zurückkehrte. Auf dem Marktplatz herrschte lebhaftes Treiben. Ein Wanderzirkus hatte inzwischen seine Pforten geöffnet. Aber trotzdem mit großen Lettern zu lesen stand: Eröffnungsspiel der berühmten Wanderkünstler »Nimmer da gewese«, trotzdem der Hanswurst auf der kleinen Bretterbühne das Programm in den lockendsten Farben anpries, war der Besuch nur recht schwach. Wenigstens innerhalb der gezogenen Barrieren. Draußen drängten sich die Zaungäste. Barfüßige Buben und Mädel hockten auf dem Gitter, auf allen Steintreppen und Brünnle.

      »Eine kunstbegeisterte Stadt«, lachte Hans, auf die leeren Plätze weisend.

      »Als Fremde haben wir die Verpflichtung, mit gutem Beispiel voranzugehen«, schlug Marlene vor.

      »Fahrendes Volk ischt’s, wie wir, unterstütze wir die Kunscht!« Neumann warf sich in die Brust. »Ich nehm’ halt für uns alle Eintrittskarte.«

      »Hascht denn noch so viel im Säckle?« erkundigte sich Krabbe verständnisinnig.

      Neumann würdigte ihn gar keiner Antwort. »Erschten Platz, anders tun mer’s nit. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht – Krabbe, pump’ mir mal drei Mark, ‘s reicht halt nit ganz.«

      »Das hab’ i im voraus schon g’wußt.« Die Karten wurden erstanden.

      »Aber Kinder, wir werden doch nicht so viel Geld für so’n Jux ausgeben«, begann Nesthäkchen zu protestieren. »Wenn Neumann nobel sein will, soll er’s auf eigene Kosten tun, nicht auf unsere. Ich klettere hier auf den Briefkasten, da seh’ ich besser als vom ersten Platz.« In der Tat, das lose Mädel thronte plötzlich zum Gaudium der Umstehenden droben auf dem blauen Kasten.

      »Aber, Annemie, komm’ doch, wir können doch den armen Neumann nicht mit den acht Billetten sitzen lassen«, stellte Ilse vor.

      »Ist mir ganz wurscht, dann soll er ein andermal vorher fragen.«

      »Annemie, benimm dich doch nicht so auffallend, komm’, wir gehen alle hinein.« Marlene versuchte sie herabzuziehen.

      »Viel Vergnügen, ich genieße das Schauspiel vom hohen Olymp herab. Schenk meine Eintrittskarte einem von den Buben, Hans. Da machst du wenigstens noch jemand damit glücklich.«

      Das erste Schauspiel war, daß sich sämtliche Büble und Mädle, welche Annemaries Worte gehört hatten, um den vornehmen Platz zu prügeln begannen. Dann begann die Vorstellung auf den Brettern.

      Eine traurige Hanswurstlustigkeit. Das armselige Elend der so schmuck aussehenden grünen Fensterwagen offenbarte sich. Eine nicht mehr junge Frau, verhärmt, mit bunten Flittern behangen, trat auf und sang mit ausgeleierter Stimme und traurigen Augen lustige Verse zu Volksweisen. Die Zitherbegleitung dazu klappte nicht ganz, da verschiedene Saiten reparaturbedürftig waren.

      Da – glockenreine Töne, eine Laute erklang von irgendwoher und übernahm mit übermütigem Blim-blim die Begleitung. Köpfe wandten sich den Klängen nach. Vom Briefkasten her kamen sie. Dort oben thronte ein bildhübsches, goldhaariges Dirndl und ließ die Zupfgeige munter mitsingen.

      »Bravo – bravo!« Der Beifall nach Beendigung des Liedes galt mehr der jungen Lautenspielerin, als dem gutgemeinten Gekrächze auf dem Podium.

      Nesthäkchen sprang von seinem erhöhten Sitz herab. Es griff nach seinem weichen Filzhut, »Bibi« genannt.

      »Bitt’ schön, für die arme Frau!« Sie begann für die traurige Künstlerin, die ihr warmes Mitleid erregt hatte, zu sammeln. Da war nicht einer, der nicht in die Tasche griff und der liebenswürdigen Fürsprecherin gern sein Scherflein zusteuerte. Der »Bibi« füllte sich. Annemarie hatte die Freude, nachdem Hans und Rudolf Hartenstein etwas tiefer als die anderen in die Tasche gegriffen – den Studenten war dies leider beim besten Willen nicht möglich –, ja, da hatte Doktors Nesthäkchen die Genugtuung, der Frau Direktorin der berühmten Wanderkünstler »Nimmer da gewese« eine recht beträchtliche Summe, die freudestrahlend in Empfang genommen wurde, einzuhändigen.

      Das Kunstbedürfnis des Schwäbischen Wanderbundes war nun befriedigt. Man überließ die Plätze den glücklichen jugendlichen Eroberern und zog weiter zum Bahnhof, um noch das Zügle ins Lichtensteingebiet zu erreichen.

      »So, Annemie, ich hoffe, das war dein erster und dein letzter Schwabenstreich!« sagte Hans, die Schwester an das rosige Ohrläppchen nehmend.

      »Was du denkst, jetzt geht’s erst los.« Nesthäkchen lachte den Bruder einfach aus.

      »Fräulein Annemarie, ich hätt’ Ihnen halt was abzubitten«, begann Rudolf Hartenstein auf dem Wege zum Bahnhof, als sie allein gingen. »Ich war Ihnen bös’, daß Sie die Extratour auf den Briefkasten СКАЧАТЬ