Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury
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Читать онлайн книгу Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury страница 261

СКАЧАТЬ schlafe, das ischt für dich, Faultier, halt das beschte«, zog ihn Annemarie, seine Sprache getreu nachahmend, auf.

      Hans amüsierte sich gottvoll. Ein Tausendsassa das Nesthäkchen, wie es mit den beiden Schwaben umsprang. Freilich, zuerst war der große Bruder von dem ungezwungenen kameradschaftlichen Ton, der im Schwäbischen Wanderbund herrschte, als zurückhaltender Norddeutscher, doch ein wenig befremdet. Besonders, da die eigene Schwester darin tonangebend war. Aber nachdem er sich davon überführt, wie harmlos kindlich diese Studentenfreundschaft war, tat er selbst nur zu gern mit. Der steife Stadtmensch gehörte nicht hinein in diese herzerfrischende, natürliche Ursprünglichkeit.

      Zu Rudolf Hartenstein war Nesthäkchens Ton ein ganz anderer. Auch mit ihm war sie gut Freund. Dem ersten Spaziergang über Berg und Tal war noch so manch einer gefolgt. Auch zwischen ihnen gab es oft Neckereien und scherzhafte Wortgefechte. Und trotzdem, es fiel dem Bruder auf, daß in Nesthäkchens Art, wenn es auch noch so keck auftrat, stets eine kaum merkbare Scheu mitklang. Für Fremde gar nicht bemerkbar, nur für ihn, den großen Bruder, der die Annemarie von klein auf in all ihren Regungen kannte. Das lag wohl daran, daß sie in Rudolf Hartenstein einen reiferen, fertigen Menschen respektierte.

      Im Gänsemarsch ging es durch Reutlingen, durch das Tübinger und durch das Gartentor. Der wundervolle gotische Lindenbrunnen mit seiner kunstvollen Steinmetzarbeit erregte allgemeine Begeisterung. Ilse Hermann war wieder mal total »hops«, wie Annemarie ihren Kunstenthusiasmus benannte. Marlene schwelgte in historischen Erinnerungen – alles Blut, was die kleinen Erker und verschnörkelten Giebel jemals im Laufe der Jahrhunderte in den Gassen hatten fließen sehen, ward pflichtschuldigst aus der Vergessenheit hervorgekramt. Annemarie, die dritte der Grazien im Dirndlkleid, suchte nach dem malerischsten Stadtwinkel, weniger aus Kunstverständnis, als wegen des schwarzen Knipskastens in ihrer Hand, dem treuen Begleiter auf jeder Wanderfahrt. Überall machte sie Aufnahmen, um die Eltern an dem Schönen, das sie genoß, wenigstens im Bilde teilnehmen zu lassen und gleichzeitig für später eine sichtbare Erinnerung an das schwäbische Studienjahr zu haben.

      Auch Rudolf Hartenstein trug seinen Kodak an der Seite umgeschnallt. Aber er war weniger »gemeingefährlich« als Nesthäkchen. Er konnte an einem schönen Plätzchen auch Freude haben, ohne gleich zu überlegen, wie es wohl am besten in den schwarzen Kasten hineinzuzaubern sei.

      Auf Schritt und Tritt malerische Bilder vergangener Jahrhunderte. Sollte Annemarie die alte Stadtmauer mit dem Storchturm in ihren Kasten sperren, oder war der alte Wehrgang am Zeughaus mit seinen Schießscharten und Steintreppen nicht noch malerischer? Eine Abstimmung entschied über diese wichtige Frage. Die Mehrheit war für Stadtmauer und Storchturm.

      Annemarie entledigte sich ihrer Bürde. Der Rucksack war umfangreich und schwer. Das lag nicht daran, daß sie zu viel Toilettengegenstände oder gar zu viel Mundvorrat mitgenommen hätte. Nein, weißes Mehl hatte sie in Tübingen erstanden, zwanzig Pfund. So zart und weiß, wie man’s in Berlin nicht bekam. Das mußte sie unbedingt der Mutter mitbringen. Hans hatte räsoniert und protestiert. Die Freundinnen hatten sie ausgelacht. Rudolf Hartenstein wollte ihr das schwere Gepäck abnehmen. Alles vergebens.

      »Das Mehl schleppe ich selber, einen andern mag ich nicht zu meinem Packesel machen.« Dabei blieb’s.

      »Ein Esel bist du wirklich, wenn du einen schweren Sack Mehl bei dieser Hitze tagelang auf dem Rücken schleppst und dir damit die Freude an dem Ausflug verdirbst«, stellte Hans ihr brüderlich vor.

      Auch dieser Ehrentitel verfing nicht. Nesthäkchen schleppte sein Mehl auf dem Buckel durch das schöne Schwabenland.

      Die Gesellschaft war postiert. Auf den Steinstufen, der rissigen Stadtmauer hockend, über die Mauer herüberlugend, Krabbe und Neumann sogar auf dem Treppengeländer reitend.

      Annemarie in ihrem Eifer, den Apparat richtig einzustellen, merkte nicht, daß Rudolf Hartenstein auch sein Mordinstrument heimlich vorgezogen hatte. Knips – machte es – Nesthäkchen war im Kasten drin.

      »Recht freundlich, meine Herrschaften, nur eine kleine Sekunde – es tut nicht weh«, rief Annemarie. »Ilse, du hast gewackelt; Neumann, mußt du denn gerade deine Karpfenaugen zum Himmel aufklappen, wenn’s losgeht? Ich kann nichts dafür, wenn’s nicht geworden ist. Sagt mal, Kinder, was macht ihr denn alle für spitzbübische Gesichter?«

      »Halt Photographiergesichter«, wollte Rudolf sie beruhigen.

      »Nee, nee, da stimmt was nicht!« Nesthäkchen war so leicht nicht dumm zu machen. »Ilse kichert, Viehmuse macht ein schadenfrohes Gesicht – Fräulein Ola, sagen Sie mir, was los ist. Habe ich irgend etwas Komisches an mir?« Sie fuhr sich übers Haar und sah prüfend an ihrem geblümten Dirndlkleid herab.

      Jetzt brachen sie wirklich alle in lautes Gelächter aus.

      »Ihr seid ja dämlich, alle miteinander«, entschied Nesthäkchen. Und von dieser schmeichelhaften Kritik nahm es keinen aus.

      »Neschthäkche«, die Viehmuse pirschte sich auf dem Weg nach Pfullingen an Annemaries Seite. »Neschthäkche, was krieg i, wenn i dir halt verrate tu’, weshalb mer g’lacht habe?«

      »Gar nix – interessiert mich absolut nicht mehr.« Das schlaue Nesthäkchen tat möglichst gleichgültig, trotzdem es darauf brannte, das Geheimnis zu ergründen.

      »Also guet, weil du ‘sch bischt, da sag’ i dir ‘sch halt so: Der Hartenstein hat di in sein Käfig ‘neing’sperrt.« Er lachte spöttisch.

      »Was hat er? Du bist wohl hops, Viehmuse?«

      »In sein schwarzen Käfig da bischt drin, Neschthäkche! Während du uns knipscht hascht, bischt halt selber knipscht worde.« Er lachte triumphierend.

      »Schwindel!« rief Annemarie empört.

      »Auf B. E. – frag’ ihn doch halt selber.« So – das war ein kalter Wasserstrahl auf Nesthäkchens warme Freundschaftsgefühle für den Fremden.

      Still und in sich gekehrt ging Nesthäkchen seiner Wege. Auf »B. E.« hatte die Viehmuse gesagt. Da war nichts dran zu deuteln und zu drehen. Wenn ein Student sein Wort auf »Bier – Ehre« gab, war jede Flunkerei ausgeschlossen.

      Also war’s Tatsache! So eine Gemeinheit, so eine heimtückische! Sie vor allen lächerlich zu machen. Wenn er sie knipsen wollte, konnte er es ihr doch sagen, da hatte sie doch wohl vor allem ihre Einwilligung dazu zu geben. Einfach links liegen lassen wollte sie ihn, da würde er schon merken, was er verbrochen.

      Rudolf Hartenstein aber merkte nichts. Der ging mit Hans Braun voran, und beide machten Pläne für den Winter. Der junge Mediziner beabsichtigte zum 1. September nach Berlin zu gehen und sich dort um eine Assistentenstelle in einem der Krankenhäuser zu bewerben. Das war nicht so einfach. Aber Annemarie hatte gemeint, daß sich ihr Vater gewiß dafür interessieren würde.

      Auch Hans glaubte, daß es für seinen Vater ein leichtes sein würde, ihn durch seine vielen Beziehungen zu Ärzten in einem Berliner Krankenhause anzubringen. »Sie werden ihn ja in Ulm kennen lernen, Hartenstein, unsern alten Herrn, da können wir ihn gleich dazu keilen.«

      Die Schwestern der beiden folgten in ziemlichem Abstand. Annemarie hatte zu der um einige Jahre älteren Ola großes Zutrauen gefaßt. Und für diese, welche das Leben ernster gemacht hatte, war Annemaries übermütige, lebensprühende Art geradezu herzerquickend.

      Von ihrer Kindheit erzählte Ola. Wie sie zwei, der Bruder Rudi und sie, schon in jungen Jahren beide Eltern in kurzem Zwischenraum an einer Epidemie verloren hatten. Die Geschwister, die so zärtlich aneinander hingen, mußten sich СКАЧАТЬ