Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury
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Читать онлайн книгу Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury страница 16

СКАЧАТЬ tagelang quälte, war, sich an den Spielen der lustig singenden Kinder beteiligen zu dürfen.

      »Ich muß nur noch Mutti schnell Gutenacht sagen, Fräulein, dann bin ich gleich wieder da!«

      Dies ließ sich hören. Aber an der Schwelle zum Wohnzimmer, das sie durchschreiten mußte, um ins Eßzimmer zu kommen, blieb die Kleine unschlüssig stehen.

      Es war schon so dunkel darin, so schrecklich dunkel, das dumme kleine Mädchen fürchtete sich.

      »Fräulein,« rief sie, zurücklaufend, »liebes, gutes einziges Fräulein, komme doch, bitte, mit mir mit.«

      »Warum denn?« sagte diese. »Mußt du von hier bis ins Eßzimmer Reisegesellschaft haben?«

      »Nein, aber –« die Kleine schämte sich jetzt doch ihrer dummen Furcht.

      »Dann gehe nur so ins Bett«, sagte Fräulein, welche die schwache Seite der Kleinen kannte und löste ihr bereits die Haarbänder aus den Rattenschwänzchen.

      »Nein, das geht doch nicht,« ereiferte sich Nesthäkchen, »wenn man seiner Mutti keinen Gutenachtkuß gegeben hat, kann man überhaupt nicht einschlafen – nicht wahr, Gerda?« Annemie trat an ihr Gitterbett. Aber Gerda hatte die Augen bereits fest geschlossen und antwortete nicht mehr.

      »Bitte, liebes, allerbestes Fräulein, geh doch mit mir mit«, bat die kleine Schmeichelkatze aufs neue, kletterte auf den Stuhl, schlang die Arme um Fräuleins Hals und schmiegte ihr süßes Gesichtchen an Fräuleins Wange.

      Da war es schwer, Klein-Annemarie etwas abzuschlagen.

      »So sag’ wenigstens, warum du nicht allein gehen willst«, verlangte Fräulein.

      »Es ist so gräßlich dunkel im Wohnzimmer und – ich graule mich so toll!« gestand das Angsthäschen.

      »Du graulst dich – ja, aber vor wem denn bloß?«

      »Vor – vor – Klaus könnte am Ende wieder als Rotkäppchen-Wolf hinter einem Sessel sitzen und mir Angst machen.«

      Fräulein öffnete die Tür zum Jungenzimmer.

      »Klaus sitzt hier ganz artig bei seinem Abendbrot, siehst du, der denkt gar nicht daran, dir einen Schreck einzujagen. Du kannst ruhig gehen, Annemie, zeige, daß du ein großes, verständiges Mädel bist.«

      Aber Annemie wollte nicht groß und verständig sein. Fräulein sollte lieber mitkommen.

      »Denn am Ende – am Ende ist der schwarze Mann drin im Wohnzimmer!« flüsterte die Kleine scheu und verbarg das Gesicht hinter den Händchen.

      »Aber Annemie« – jetzt wurde Fräulein wirklich böse – »wie kommst du denn auf solchen Unsinn! Es gibt keinen schwarzen Mann!«

      »Nein, bloß einen braunen!« gab Nesthäkchen bereitwilligst zu.

      »Auch keinen braunen, du Dummchen; woher hast du denn nur diesen Unfug?«

      »Frida hat es doch gesagt – neulich, als du abends im Theater warst, Fräulein, und ich gar nicht einschlafen wollte, sondern immerzu im Bett mit Gerda umhertobte, da drohte sie mir: ›Der schwarze Mann kommt!‹ Er wäre schon im Wohnzimmer, sagte sie.«

      »Das ist sehr unrecht von Frida, dir sowas vorzureden, aber von meiner kleinen Annemie ist es ebenso unrecht, solch dummes Zeug zu glauben. Du weißt doch, daß der liebe Gott überall bei dir ist und dich beschützt.«

      »Ja, aber vielleicht hat er an dem Abend schon geschlafen.«

      »Der liebe Gott schläft nie, der beschirmt die Menschen auch in der Nacht, Herzchen.«

      »Kommt denn der Sandmann gar nicht zum lieben Gott?«

      »Nein, Kind.« Fräulein mußte lächeln.

      »Na, da möchte ich auch lieber Gott sein und niemals abends in das olle Bett gehen müssen!« sagte Nesthäkchen mit einem tiefen Seufzer.

      Aber sie hatte es doch durchgesetzt, daß Fräulein ein Licht anzündete, um dem dummen, kleinen Mädchen zu beweisen, daß es im Wohnzimmer nichts, aber auch rein gar nichts gab, wovor man sich fürchten konnte. Und nachdem Annemie nun endlich ihren Gutenachtkuß von Mutti erhalten hatte, und in ihrem Bettchen lag, da war sie doch eigentlich schrecklich froh, daß sie nicht der liebe Gott war und die ganze Nacht auf die vielen, vielen Menschen aufpassen mußte. Denn die Augen fielen ihr fast zu, so müde war sie.

      Am nächsten Tage ging Fräulein mit der Kleinen auf den Spielplatz, wo die Kinder Kreis zu spielen pflegten, wie sie es versprochen. Nachdem sie sich noch überzeugt hatte, daß keins von den singenden Kleinen irgendwie verdächtig hustete, bekam Annemie endlich die Erlaubnis, teilzunehmen.

      »Frag’ du, ob sie mich mitspielen lassen wollen, Fräulein«, bat sie schüchtern.

      »Nein, Kind, du hast ja selbst einen Mund, wenn du Lust hast, mitzuspielen, mußt du auch allein darum bitten.«

      »Ich schoniere mich so«, flüsterte Annemie und senkte den Blondkopf fast bis zur Erde.

      »Du brauchst dich nicht zu genieren,« verbesserte Fräulein, »geh nur, Herzchen.«

      Aber dazu konnte sich Annemie nicht entschließen. Sie stand mit ihrer Gerda dicht neben dem herumhopsenden Kreis, und alle beide machten sie sehnsüchtige Augen. Man sang gerade »Es ging ein Bauer ins Holz«. Ach, wie gern wären die zwei auch das »Kürbisweib« gewesen, oder wenigstens Knecht oder Peitsche.

      Doch, als jetzt gespielt wurde »Wollt ihr wissen, wie der Bauer«, da fand Annemie das so wunderschön, daß sie ihre Schüchternheit überwand.

      »Du, darf ich vielleicht mitspielen?« fragte sie, rot werdend ein Kind, das ihr zunächst stand.

      Das aber sang, statt zu antworten, mit plärrender Stimme: »Sehet so – so fährt der Bauer, sehet so – so fährt der Bauer, sehet so – so – fährt der Bauer seine Garben vom Feld.« Und dann fuhren sie alle als Erntewagen im Kreise umher, und fuhren die sehnsüchtig danebenstehende Annemarie sogar über.

      »Au!« schrie diese, rieb sich ihr getretenes Füßchen und fing an zu weinen. Aber sie weinte nicht vor Schmerz, sondern weil man sie nicht mitspielen ließ.

      Da wurde ein größeres Mädchen auf das weinende kleine Ding aufmerksam.

      »Komm, weine nicht, Kleine,« sagte sie tröstend, »spiele lieber mit uns«, und sie nahm Annemie an die Hand.

      Die strahlte, trotzdem ihr noch immer die Tränen über die Bäckchen kullerten, sofort vor Glückseligkeit. Mit der rechten Hand faßte sie das nette Mädchen an, mit der linken Puppe Gerda, die ihre Hand wiederum einem kleinen Jungen reichte, der ebenso dick wie lang war.

      So ging es ausgelassen im Kreise umher, während sie sangen: »Wenn wir fahren auf der See, wo die Fischchen schwimmen …«

      Annemarie war Goldfisch, und Gerda war Tintenfisch. Aber als der Tintenfisch jetzt den anderen Fischlein folgen und die Vorihrgehende hinten am Kleid anfassen sollte, da zeigte es sich, daß Gerda noch zu dumm dazu war. Annemie nahm sie auf den Arm und sagte entschuldigend: »Die Kleine ist noch nicht mal ein Jahr alt, es ist nämlich mein Nesthäkchen!«

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