Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Es ist eine unselige Geschichte!« brach jetzt Franz von Aidey aus. »Mag nun mit ihrer Einwilligung oder ohne sie dieser unglückliche Student seine Erklärung gemacht haben, wir müssen endlich handeln, wir müssen Marien befreien, lieber heute noch als morgen!«
»Ganz richtig,« versetzte Ripperda, »aber ich habe keine Lust, mich von meinem gestrengen Gebieter hängen, rädern oder köpfen zu lassen, was sicherlich seine gnädigste Verordnung sein würde, wenn Sie bei der Unternehmung scheiterten und dabei ertappt würden; denn alsdann würde unser auffallend häufiger Verkehr in den letzten Tagen für Leute, die nicht halb blind sind, hinreichend auf meine Mitschuld deuten. Ich knüpfe meine Mitwirkung an die Bedingung: nur sacht, vorsichtig und besonnen, und vor allen Dingen nur so, daß weder auf mich, noch auf Sie irgend der Schatten eines Verdachts fällt. Ich habe meinen Plan. Ich will sie aus dem Schlosse befreien. Ich will sie nach Ihrem Gute Amelsborn bringen lassen, das, wie Sie sagen, außerhalb des reichsgräflich Ruppensteinschen Gebiets liegt. Sie soll dort eine Zuflucht finden, und Sie, Herr von Ardey, sollen bei der ganzen Geschichte nicht die mindeste Gefahr laufen – aber ich verlange dafür, daß Sie meinen Anordnungen folgen, und zum Lohne für meine Hilfe verlange ich nachher von Ihnen – – – Ihren vollen Undank!«
»Ich verstehe Sie nicht!«
»Es ist leicht erklärt. Ich verlange, daß Sie den Umgang mit mir abbrechen. Ich will nicht, daß man sage, Sie hätten tagtäglich mit mir verkehrt während der Zeit, wo Sie die Torheit begangen, ein armes bürgerliches Mädchen zu heiraten, oder was Sie sonst mit ihr vorhaben. Ist Gras über die Geschichte gewachsen, so können wir unsere Freundschaft, auf die ich in der Tat nur mit Schmerzen verzichten würde, wieder anknüpfen. Nehmen Sie diese Bedingungen an, so schlagen Sie ein.«
Franz von Ardey legte seine weiße schmale Hand in die breite gebräunte Faust Ripperdas. »Ich kann ja nicht anders«, sagte et.
»Nun wohl – also von diesem Augenblicke an unterwerfen Sie sich ohne Widerspruch meinen Anordnungen?« fuhr Ripperda fort.
»Ja.«
»Gut, so sage ich Ihnen denn, daß wir den Studenten aus Köln dazu benutzen werden, die gefährliche Rolle in dem Drama zu übernehmen. Er wird Marie aus dem Schlosse führen ...«
»Er?« fuhr Franz auf – »unmöglich, das kann ich nun und nimmer zugeben!«
»Und doch werden Sie es.«
»Ei, der sich für Mariens Verlobten hält ...«
»Possen!«
»Wenn er es nicht täte, würde er bereit sein zu dem, was Sie ihm zumuten wollen?«
»Dafür lassen Sie mich sorgen.«
»Ich kann nicht zugeben, daß dieser Student ...«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen; Ihr eifersüchtiges Herz empört sich gegen den Gedanken, daß der Student sich auf die unauslöschliche Dankbarkeit Mariens so große Rechte erwerbe. Aber ich kann Ihnen nicht helfen. Entweder so wird es geschehen oder gar nicht.«
Ripperdas Energie und Entschiedenheit hatten sich in der kurzen Zeit seines Umganges einen solchen Einfluß auf den Charakter des aufgeregten, zwischen den verschiedensten Empfindungen stürmisch hin und hergeschleuderten jungen Mannes errungen, daß der letztere beinahe verstummte. Er warf nur noch ein:
»Aber ob der Student oder ich selber Marien rettet, kann Ihnen das nicht einerlei sein?«
»Keineswegs. Der Student gilt in den Augen des Tollen als Mariens Verlobter. Er selbst ist gewaltsam unter das Militär gesteckt. Wenn er mit ihr flieht, so ist das kein Wunder, eine Tat, bei der man nicht lange untersuchen wird. Scheitert die Sache, so hat er die Folgen allein zu tragen – auf mich kann kein Verdacht fallen, der Mensch ist mir völlig fremd. Und dann habe ich noch einen Grund: der Student ist nicht verliebt wie Sie, also ist er kaltblütiger, ruhiger, besonnener –«
»Aber gewiß nicht mutiger und entschlossener!« fuhr Franz auf.
»Aber praktischer! Darum ergeben Sie sich darein«, versetzte Ripperda. »Und nun genug! Das Nähere bereden wir morgen vormittag. Jetzt begeben Sie sich in den Wiprechtsbau zur Gesellschaft zurück. Machen Sie Fräulein Helene von Wrechten den Hof.«
»Ich bin in der rechten Stimmung dazu!«
»So zeigen Sie sich wenigstens dort. Ihre lange Abwesenheit fällt auf. Ich folge Ihnen in einer Viertelstunde.«
Franz von Ardey nahm seinen Hut mit den schmalen Goldborten und dem Federsaum, der damals noch zur Tracht eines Kavaliers, welcher bei Hofe erscheint, gehörte, und schickte sich an, Ripperda zu verlassen; er ging jedoch erst einigemal in dem Zimmer auf und ab, sich zu fassen, und dann schritt er gesenkten Hauptes über den Schloßhof dem großen Portal zu, das in den Wiprechtsbau führte. In einer Flucht Zimmer im ersten Stockwerk dieses Baues war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft versammelt. Graf Philipp III. hatte einige Adelsfamilien der Nachbarschaft zu seinem heutigen Diner eingeladen. Die Gesellschaft hatte eben den Kaffee eingenommen und war jetzt in mehr oder minder lebhafter Unterhaltung begriffen; zerstreut in den einzelnen Räumen, hatte sie sich abgesondert zu verschiedenen Gruppen. Einige »Spitzen« der gräflichen Behörden hielten sich zumeist in dem vordersten Zimmer auf; sie politisierten ziemlich lebhaft untereinander, durch die drohenden Zeitereignisse und das immer näher kommende Kriegswetter zu einer Art der Unterhaltung angeregt, welche sonst, wie billig, in den Räumen, wo ein souveräner Herr weilt, vermieden wird. Aber man wußte, daß man Philipp III. nicht mißfiel, wenn man von den Mißgeschicken der österreichischen Waffen sprach. Österreich war die einzige Macht in Deutschland, welche in dem alten Reichskörper eine gewisse Widerstandskraft nach außen hin lebendig erhielt; ohne Österreich wäre das liebe Heilige Römische Reich eine moderige oder gallertartige Masse gewesen, die jedem Fußtritt, den ihr ein hochmütiger Nachbar versetzt, nachgegeben hätte. Solch ein Zustand aber war einem Souverän wie Philipp III. unendlich willkommener als das, was er die »österreichischen Intrigen« nannte, um die Mitglieder des Reichskörpers in ewiger Unruhe und Not und Aufregung zur Bekämpfung des Franzosen zu erhalten. Auch hatte Philipp III. seit Jahren schon manches Hühnchen zu rupfen bekommen mit einem paar ganz fataler, chikanöser und in jeder Beziehung verderblicher und unmoralischer Institute, die Österreich, seiner Ansicht nach bloß aus Tücke und Frevelmut, zur Unterdrückung der Souveränitätsrechte der deutschen Reichsstände aufrecht erhielt. Dies waren das Kammergericht und der Reichshofrat. Der Reichshofrat und das Reichskammergericht waren so etwas wie eine letzte Zuflucht für alle, welche unter dem Zepter irgendeines kleinen Reichstyrannen keine Hilfe und keinen Rechtsschutz mehr fanden. Sie waren die Organe, wodurch sich von Zeit zu Zeit zeigte, daß noch immer eine schirmende Kaisergewalt da sei, welche den Unterdrückten beisprang und die Kleinen gegen die Großen in Schutz nahm.
Die österreichischen »Kostbeutel« also, wie man damals sich ausdrückte, waren dem regierenden Landesherrn in der Seele zuwider, und er hätte nichts gegen das gehabt, was seine Beamten, diese arme, vielgeplagte Menschenrasse, politisierend und kannegießernd wider sie vorbrachten, wenn er es hätte hören können. Das jedoch war ihm unmöglich, denn zwischen dem Raum, in welchem sie sich aufhielten, und dem, worin die höchsten Herrschaften sich befanden, lag ein zweiter Salon, in welchem einige mehr oder minder junge Damen, ein paar »Hofchargen« und ein paar Offiziere sich sehr lebhaft unterhielten.
Im Vorübergehen streift unser Blick eine dieser Damen, die auf einem Taburet in einer Fensternische ruht; ein blühendes, von Gesundheit und Fülle strotzendes Geschöpf. Es ist Hedwig von Wrechten, die Nichte des Hofmarschalls und des gräflichen Adjutanten. Sie СКАЧАТЬ