Michael Unger . Ricarda Huch
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Название: Michael Unger

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066388799

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СКАЧАТЬ den Zaun nach dem Walde zu blickte. Es war braun und mager, und das dunkle Haar hing ihm in Strähnen um das Gesicht; mit dunklen Augen blickte es unentwegt über die Wiesen hin, die damals lachten und leuchteten vom Goldgelb der Blumen, zum Walde, der die Welt für sie abschloß. Es schlängelte sich ein bleicher, steiniger Weg durch die Wiesen in die Tannen hinein, auf dem zuweilen ein schwerer Wagen langsam vorüberächzte und morgens und abends der Briefbote in das Dorf kam, und wo an Sonntagen Herren und Damen in lichten Kleidern auf Rädern hinflogen, deren Plaudern und Lachen flüchtig wie Vogelgezwitscher ins Ohr klang. Das kleine Mädchen sah aus, als ob sie wartete, daß einmal etwas Wunderbares aus dem Walde herausträte und den blassen Wiesenpfad her auf sie zukäme; was mochte sie schon gesehen haben, wenn sie heimlich bei Nacht herausschlüpfte und der Mond dahin schien, wo der Tann sich öffnete?

      Dies braune Kind erinnerte Michael jedesmal an Verena, so wenig es der hohen schlanken Dame mit der weißen durchsichtigen Gesichtsfarbe, dem mattblonden Haar und den vornehmen Gewändern ähnlich sein konnte. Es zog ihm das Herz zusammen, wenn er die Kleine sah, und einmal, als er mit Rose Hand in Hand über die Wiesen auf den Garten zukam, wo sie am Zaune stand, war es ihm, als sähen ihn ihre weitgeöffneten Augen schmerzhaft erwartend und vorwurfsvoll an, was ihn so quälte, daß er Mühe hatte, die Empfindung vor Rose zu verbergen.

      Dennoch liebte er Verena nicht mehr; ja er konnte sich fast nicht vorstellen, daß er sie jemals liebgehabt hatte. Als sie einander das erstemal nach Michaels Abreise wiedersahen, fanden sie eine Kluft zwischen sich liegen, über die sie sich nicht die Hände reichen konnten; aber er hatte das vorausgesehen, während sie es ganz anders erwartet hatte. War sie auch ihm gegenüber nur die große Dame, kühl und überlegen, so hatte sie doch, solange er fort war, oft wie die braune Kleine am Gartentor gestanden und sehnsüchtig hinausgehorcht, ob er käme und sie liebhätte.

      Ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, erkannte sie an seinem Lächeln und seiner Haltung, wie er zu ihr stand, und ihre ganze Seele spannte sich darauf, viel kälter und fremder zu erscheinen, als er sein konnte. Sie hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, das ihn zu verhöhnen schien, und suchte ihn dadurch zu kränken, daß sie den kleinen Mario mit dem Dienstmädchen spazierengehen ließ oder sonst von Michael entfernte, alles aber so, daß es mit der Gleichgültigkeit, die sie gegen ihn zur Schau trug, nicht in Widerspruch stand.

      Als Michael fort war, sagte ihre stolze, hochfliegende Seele: Du sollst nicht weinen, du sollst nicht ohnmächtig klagen. Wenn er dich nicht mehr lieben kann, soll er doch sehen, daß du der Liebe wert wärest. Du sollst frei werden und den Kampf mit dem Schicksal auskämpfen; hat dich doch immer nach einer Krone gelüstet. Aber die andere Seele, die in ihr war, die feige, schwächliche, machte sich schwer und wollte sich von dem weichen Kissen, auf das sie sich geduckt hatte, nicht wegziehen lassen. Es hätte jetzt nichts mehr im Wege gestanden, daß Verena sich in der Malerei ausbilden ließe, was von jeher ihr Wunsch gewesen war, und sie erwog es auch häufig in Gedanken. Was sie zurückhielt, war hauptsächlich die Voraussicht, daß sie es niemals so weit bringen würde wie Rose. Ja, würdest du ihr auch gleichkommen oder sie übertreffen, sagte ihre feige Seele, würde er es doch nicht gelten lassen, und schon dem beständigen Vergleich sollst du dich nicht aussetzen. Ebenso fiel es ins Gewicht, daß sie die unverdrossene Anstrengung scheute; denn sie hatte niemals dauerhaft gearbeitet, und obwohl sie wußte, daß auch in der Kunst ohne strenge Arbeit nichts Großes erreicht wird, versuchte sie doch immer wieder auf Schleichwegen in das heilige Gebiet einzudringen und war stolz auf diese kleinen, geschickt hingeworfenen Malereien und Kunstfertigkeiten, die ihre Umgebung entzückten und ihr den Ruf der Genialität eintrugen.

      Inzwischen, bis sie etwas anderes gefunden hätte, woran sie ihre Kraft erproben könnte, warf sie sich auf die Pflege der Geselligkeit, wobei ihr Schwager Raphael ihr zur Seite stand. Solange sie mit Michael glücklich war, hatte sie zwar auf ihn als auf einen tief unter ihm Stehenden herabgesehen; denn sie war ein eifriger Anbeter ihres Gottes und schlachtete ihm gern alle Götzen und Idole, deren sie habhaft werden konnte; aber im Grunde war er ihr nie unsympathisch gewesen, und nun sie sich mehr mit ihm beschäftigte, fand sie sich ihm sogar in mancher Hinsicht verwandt. Auch näherte sie das einander, daß sie sich als Unglücksgefährten betrachten konnten, die ein wütendes Gestirn jählings aus ihrer Bahn geschleudert hatte. Im Grunde zwar kam Raphael erst jetzt recht zum Genusse seines Künstlerberufes; früher hatte er stets darunter gelitten, daß er keine Werke aufzuweisen hatte, da er doch den Künstlernamen führte, jetzt aber machten es ihm die widerwärtigen Verhältnisse unmöglich, etwas Handgreifliches zu leisten, und er konnte sich in den Stunden, die das Geschäft ihm freiließ, unbehelligt und ungekränkt als Dichter fühlen. Wie er selbst sein Poetentum zuversichtlicher als sonst betonte, fand er auch in weiteren Kreisen mehr Glauben; auch Verena neckte ihn nicht mehr, seit sie für sich selbst das große tüchtige Schaffen immer weiter hinausschob und sich mit dem Seifenblasenschimmer mühelos vorgespiegelter Möglichkeiten befreundete. Eine hübsche Gabe besaß Raphael wirklich: den Augenblick mit netten, launigen und auch empfindungsvollen Versen zu schmücken, besonders wenn Zuhörer da waren, denen er gefallen wollte und die seine Eitelkeit rege machten, und wenn der Wein und fröhliche Stimmung ihn angefeuert hatten.

      Ohne ihn mochte Verena bald nicht mehr in Gesellschaft erscheinen, denn seine anmutige Huldigung ersetzte ihr den Leuten gegenüber, daß ihr der Mann fehlte. Es schmeichelte ihr, daß der umworbene junge Mann sie sichtlich allen anderen vorzog, und von den jungen Mädchen, denen er flüchtig den Hof machte, immer wieder zu ihr zurückkehrte. Schließlich lag ein besonderer Reiz darin, sich der lockenden Süßigkeit, die zuzeiten von ihm ausströmte, hinzugeben, und doch sicher zu sein, daß sie ihn niemals lieben würde. Gefahren drohten ihnen keine, weder ihm von ihr noch ihr von ihm, dazu kannten sie einander zu genau; nur an der Oberfläche berührten sie sich mit schmeichelndem Gefühle. Begegneten sie sich auf einem Balle in einem Figurentanze, so legten sie ihre Hände mit ganz feinem Druck ineinander, und ihre Augen begrüßten sich mit einem zarten, liebgeheimen Verständnis, das in einem letzten Schleier, mochte er noch so dünn sein, verhüllt blieb. Ihre Seelen näherten sich einander in manchen Augenblicken, aber sie traten nie ganz über die Schwelle und wichen wie auf Verabredung geschwind wieder in das Innerste zurück.

      Raphael war nicht Verenas einziger Verehrer, es verstand sich von selbst, daß die schöne, von ihrem Manne preisgegebene junge Frau, die das Gesellschaftswesen mit solcher Leidenschaft betrieb, Männer aller Art an sich zog. Bei anderen Frauen konnte man etwa den Gatten beleidigen, junge Mädchen konnten durch Heiratspläne gefährlich werden, bei Verena hingegen wagte man nichts, als plötzlich einmal, wenn es ihre Laune wollte, übersehen und beiseite geworfen zu werden. Ihr den Hof zu machen, gestattete sie jedem, ja es war ein unersättlicher Hunger in ihr, den nur Schmeichelei stillte, die immer stärker werden mußte, je häufiger sich die Berauschung wiederholte. Wenn sie allein war, kamen Stunden, wo ihre stolze, hochfliegende Seele die Hände rang und zürnend zu ihr sagte: Ich leide! Siehst du denn nicht, wie ich leide? Du hast mich Hochgeborene auf den Markt gebracht und in die Sklaverei verkauft. Du gehst in gestickten Kleidern, und Toren und Gecken begaffen und betasten dich, und ich bücke meine Stirn in den Staub, ich, die ich nach den Höhen wollte und eine Krone suchte.

      Michael sah bei seinem nächsten Besuche mit Verwunderung den freundschaftlichen Verkehr, der sich zwischen seiner Frau und seinem Bruder angesponnen hatte, und so sehr ihn alles erfreute, was sie beschäftigte und gewissermaßen von ihm ableitete, konnte ihm doch nicht ganz wohl dabei werden. Das stattliche Haus lag im tiefen Schatten, und nichts, was darin vorging, konnte man mehr leichtnehmen. Er fühlte Verenas inneres Leiden lebhafter, als sie selbst es sich zugestand, und grübelte darüber, wie ihr eine Bahn zu eröffnen sei, wo sie ihre Talente üben und ihren Ehrgeiz befriedigen könnte. Das Nächstliegende mußte auch für ihn die Malerei sein, und obwohl er den Gegenstand scheute, fing er doch eines Tages davon an, indem er sie zu überreden suchte, daß sie jetzt ihre alten Pläne ausführte. Sie lächelte spöttisch und fragte, ob jetzt in seinen Augen nur Malerinnen liebenswerte oder achtenswerte Frauen wären. Er machte sie ruhig darauf aufmerksam, daß es von jeher, wie sie ihm früher oft gesagt hätte, ihr sehnlicher Wunsch gewesen sei, sich auszubilden, worauf sie rasch, um das Gespräch damit abzubrechen, entgegnete: »Das war früher, jetzt aber СКАЧАТЬ