Nachdenken über Corona. Группа авторов
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nachdenken über Corona - Группа авторов страница 5

СКАЧАТЬ lauten, dass die Demonstranten eben gegen anstrengende Maßnahmen demonstrieren, die oft drastische Einschnitte in ihrem Leben zur Folge haben. Ließe sich Corona durch Klicks in den sozialen Medien bekämpfen, würden Demonstrationen wohl ganz ausbleiben. Andererseits überrascht aber die Vehemenz des Protestes, vor allem wenn er über die bloße Bekundung, ›man wolle nicht mehr mitmachen‹, hinausgeht und sich an einer Rechtfertigung versucht. Und dieser überraschende Aspekt hat etwas mit dem dritten Merkmal der Corona-Krise zu tun.

      Wenn die Demonstrantinnen nämlich ihr Misstrauen zu begründen versuchen, machen sie nicht selten darauf aufmerksam, dass SARS-CoV-2 nicht so gefährlich sei, wie die meisten Menschen denken, dass Covid-19 nicht schlimmer als eine normale Grippe sei, dass das Tragen von Gesichtsmasken keinen Sinn habe, oder, im Extremfall, dass die Corona-Krise lediglich einen konzertierten Täuschungsversuch einer finsteren Verschwörergruppe darstelle. Auch wenn man nicht alle Formen dieser Corona-Skepsis gleichermaßen ernst zu nehmen hat, so fällt doch ein Merkmal auf, das sie alle gemeinsam haben, selbst die am wenigsten abstrusen. Es besteht darin, in der einen oder anderen Form den medizinisch-epidemiologischen Stand der Dinge und das dahinterstehende Paradigma der evidenzbasierten Wissenschaft anzuzweifeln. Das Misstrauen gegenüber den von der Regierung verhängten Maßnahmen wird dann im besten Fall darauf zurückgeführt, dass sich die Entscheidungsträger von falschen Annahmen leiten lassen, und im schlimmsten Fall darauf, dass sie im Bunde mit der Wissenschaft die Bevölkerung zu täuschen versuchen, um ihre eigenen suspekten Ziele zu verfolgen. Überraschend ist das alles, wenn man bedenkt, wie viel solche ›Skeptiker‹ in Frage stellen müssen, um ihre Skepsis aufrechtzuerhalten, und wie selbstverständlich sie sich in anderen Zusammenhängen auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung verlassen, etwa wenn sie die Wettervorhersage abrufen, ein Kopfschmerzmittel einnehmen oder das Navigationssystem benutzen, um zur nächsten Demonstration zu kommen. Überraschend ist es nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit ihrem Handeln nicht nur ihre Mitbürgerinnen, sondern oft auch sich selbst und ihre Angehörigen zum Teil massiven Gefahren aussetzen.

      Fragt man nach einer Erklärung für solche Exzesse des Misstrauens, so ist die Philosophie wiederum in einer schlechten Position, weil es hier um komplexe soziale und psychologische Kausalverhältnisse und Dynamiken geht, die von anderen Disziplinen erforscht werden. Mit Spekulationen sollte man deshalb vorsichtig sein, auch wenn sich nicht von der Hand weisen lässt, dass z.B. die Art und Weise, wie der Transfer von Wissen und Information sich im Zuge der Digitalisierungsprozesse der letzten Jahre verändert hat, eine wichtige Rolle bei der subjektiven Entwertung von Expertise und dem Vertrauensverlust in wissenschaftliche Experten gespielt hat und immer noch spielt. Gleichzeitig treten in der Corona-Krise auch Haltungen zutage, die sich bereits lange zuvor – etwa im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise – manifestiert haben. Eine unterreflektierte Staatsskepsis verbunden mit dem bizarren Anspruch, die Besorgnis ›des Volkes‹ auszudrücken, sind keine Phänomene, die erst 2020 in die Welt gekommen sind. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass sowohl die Erklärung als auch die Lösung der hier angesprochenen Probleme komplex sein werden und dass in dieser Hinsicht nicht zu viel von einem noch so subtilen philosophischen Argument zu erwarten ist.

      Die Alternative der Verlässlichkeit

      Auch wenn die Philosophie keinen direkten Beitrag zur Lösung der Probleme, die sich mit der Corona-Krise verbinden, leisten kann, denke ich, dass sich die philosophische Reflexion auf Vertrauen und Misstrauen in Zeiten von Corona für eine indirektere und längerfristige Strategie fruchtbar machen lässt, die das Potenzial hat, unser demokratisches Miteinander auch über die Zeit der Pandemie hinaus stabiler zu machen. Der Vorschlag, den ich an dieser Stelle abschließend skizzieren möchte, ist ein Aufruf zu begrifflicher Behutsamkeit, die im besten Fall zu einem etwas nüchterneren Umgang mit Vertrauen in sozialpolitischen Kontexten führen sollte.

      Vertrauen wird typischerweise als eine emotional aufgeladene Einstellung verstanden, die wir Personen gegenüber einnehmen, mit denen wir eine Geschichte direkter Interaktionen teilen. Die angestammte Sphäre von Vertrauen stellen über die Zeit bestehende persönliche Beziehungen wie Freundschaften oder Liebesbeziehungen dar, möglicherweise auch weniger intime Beziehungen mit persönlichem Charakter wie etwa unser Verhältnis zur langjährigen Hausärztin oder dem Bäcker um die Ecke. In solchen Zusammenhängen können wir in gewisser Hinsicht nichts dafür, dass wir unseren Beziehungspartnern vertrauen – wir tun es einfach, genauso wie wir anderen Personen einfach nicht vertrauen, obwohl sie einen vertrauenswürdigen Eindruck machen und es möglicherweise auch sind. Vertrauen stellt sich in solchen Kontexten einfach ein oder eben nicht. Wird unser Vertrauen enttäuscht, etwa dann, wenn ein Freund ein ihm anvertrautes Geheimnis ausplaudert, ist es zudem angebracht, starke emotionale Reaktionen an den Tag zu legen: Wir grollen dann, fühlen uns betrogen und hintergangen. Es ist sehr schwer, in solchen Situationen Vertrauen wiederherzustellen, und nicht selten führen Vertrauensbrüche dieser Art zum Ende der jeweiligen Beziehung.

      Davon ist ein Begriff zu unterscheiden, für den man zwar im Alltag oft das Vokabular des Vertrauens verwendet, der in der philosophischen Diskussion aber in den meisten Fällen mithilfe des Verbs ›sich verlassen‹ bezeichnet wird. Wenn wir uns auf jemanden lediglich verlassen, dann gehen wir davon aus, dass diese Person in Zukunft etwas tun wird, das wir schon heute in unsere Pläne einbauen können: So kann ich mich darauf verlassen, dass die anderen Verkehrsteilnehmerinnen keine waghalsigen Fahrmanöver ausführen werden, weil ich unterstellen kann, dass sie ebenso wie ich ein Interesse daran haben, mit heiler Haut an ihr Ziel zu kommen; oder ich kann mich darauf verlassen, dass einer der Hausbewohner die geleerten Mülltonnen wieder an ihren Ort rollen wird, weil ich beobachten konnte, dass er dies in den letzten Jahren Woche für Woche getan hat. Von Vertrauen in dem obigen Sinn kann hier keine Rede sein: Ob ich mich auch in Zukunft darauf verlassen werde, dass jemand die Mülltonnen zurückstellen wird oder ob ich die Dinge doch lieber selbst in die Hand nehme, ist eine Frage meiner Entscheidung. Auch kann ich in der Regel Gründe für meine Vorhersage benennen und diese Gründe immer wieder einer kritischen Überprüfung unterziehen. Schließlich werde ich mich in dem Fall, in dem meine Vorhersage doch nicht eintritt, nicht verletzt oder hintergangen fühlen wie im Fall von Vertrauensbrüchen: Es wäre absurd, wenn ich mich von dem Menschen, der sich ansonsten um die Mülltonnen gekümmert hat, hintergangen fühlen würde, sollte er eines Tages keine Lust mehr darauf haben, die Tonnen zurückzustellen.

      Die Pathologien des Misstrauens in Zeiten von Corona lassen die Vermutung aufkommen, dass einige von uns in unserem Verhältnis zu politischen Repräsentanten, unseren Mitbürgerinnen, aber auch zu den Experten aus der Wissenschaft zu sehr dem emotional und normativ aufgeladenen Paradigma des Vertrauens verhaftet sind. Wer in einer Ehe hintergangen wurde, muss sich für die Unfähigkeit zu vertrauen nicht rechtfertigen. Einige der demonstrierenden Corona-Skeptiker benehmen sich wie solche verletzten Eheleute, die den Dialog mit dem Ehepartner abbrechen, weil sie keine gemeinsame Sprache mehr finden können. Politikern könne man nicht vertrauen, heißt es dann, und sachliche Kritik habe keinen Sinn, weil ›die da oben‹ ohnehin tun werden, was sie wollen. Das exaltierte Misstrauen von Corona-Skeptikern mutiert dann schnell zu blindem Vertrauen in die Behauptungen von Quacksalbern, Ex-Prominenten und Rechtspopulisten, die im Grunde kein Interesse daran haben, sich mit dem Rest der Gesellschaft auf konstruktive Weise zu verständigen. Genau das sollte in einer demokratischen Gemeinschaft aber nie passieren, weil Demokratie auf Diskurs angewiesen ist, und dieser Diskurs bestimmte Mindeststandards für die Qualität von Argumenten und die Wahrheit empirischer Behauptungen voraussetzt.

      Wer sich weigert, soziale und politische Phänomene durch die Linse des Vertrauens zu betrachten, ist zumindest teilweise vor den beschriebenen Gefahren gefeit. Sich stattdessen an der Kategorie der Verlässlichkeit zu orientieren, ist hierbei nicht lediglich ein begrifflicher Trick, sondern stellt eine echte Alternative zum Vertrauen dar. Wer sich auf etwas verlässt, macht eine Annahme über die Zukunft, die sich bewahrheitet oder eben nicht. Wenn sie sich nicht bewahrheitet, hat er keinen Grund, in einem moralisch relevanten Sinn enttäuscht oder empört zu sein – anders als derjenige, dessen Vertrauen missbraucht worden ist. Die immer wieder kritisch-prüfende, flexible und gewissermaßen nicht zu verletzende Haltung des СКАЧАТЬ