Название: BELARUS!
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
Серия: edition.fotoTAPETA_Flugschrift
isbn: 9783949262005
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Einerseits stellt der hohe Beschäftigungsgrad der Frauen am belarusischen Arbeitsmarkt – 84 Prozent der Frauen im arbeitsfähigen Alter arbeiten – eine Verdienstmöglichkeit dar. Andererseits ist der Lohnunterschied mit einer horizontalen und vertikalen Geschlechtertrennung verbunden, die auch die Daten von Belstat bestätigen. Im horizontalen Schnitt wird „männliche“ Beschäftigung (Industrie) normalerweise höher bezahlt als „weibliche“. Schaut man sich die Vertikale an, ist die Übermacht der Männer in den höheren Etagen der Führung und Verwaltung auch in den „weiblichen“ Sektoren, zum Beispiel dem Gesundheitswesen, offensichtlich.
Diese Situation in Belarus führt dazu, dass auch die größtmögliche Beschäftigung den Frauen kein wirtschaftliches Wohlergehen garantiert und auch keine Arbeitnehmerinnensicherheit gewährleistet ist. In Krisenzeiten, wenn die „Effizienz des Staatshaushaltes erhöht“ werden muss, fallen Frauen Kürzungen als Erste zum Opfer.
In Belarus sind Frauen 182 Berufe aus 42 Arbeitsbereichen gesetzlich verboten, da die schädlichen Einflüsse der Produktionsumgebung ein Risiko für die Reproduktionsgesundheit der Frau haben können. Der stellvertretende Minister für Arbeit und Soziales Aliaksandr Rumak sagt, „die Beibehaltung dieser Liste trägt der staatlichen Priorität für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten Rechnung, vor allem der weiblichen, vor dem Hintergrund der demografischen Situation.“
Doch der Staat sollte die Interessen aller Bürger ohne Ausnahme schützen, nicht nur die der Frauen, als hätten diese ein „anfälligeres“ Reproduktionssystem. Warum sorgt sich der Staat nicht um die Reproduktionsgesundheit der Männer? Die Lebenserwartung der Männer liegt in Belarus 10 Jahre unter derjenigen der Frauen.
Im Moment wird das EU-Projekt „Employment and vocational training in Belarus“ durchgeführt, in dem Angebote der Berufsbildung und die Anforderungen des Arbeitsmarktes besser aufeinander abgestimmt werden sollen. Im Rahmen dieses Projektes wurde die Fotoausstellung „Ihre Sache“ initiiert, die zwölf Porträts von Frauen zeigt und die dazugehörigen Geschichten erzählt, wie sie Försterinnen, Fräserinnen, Elektrikerinnen, Schweißerinnen usw. wurden. Interessant ist, dass ein Teil der Berufe in der Ausstellung auf der oben erwähnten Liste der verbotenen Berufe stehen. Das Paradox besteht darin, dass die Belarusin eine Ausbildung in diesen Berufen machen kann, jedoch später nur eine Anstellung bekommen kann, falls Fachkräftemangel herrscht und der Arbeitgeber eine spezielle Zertifizierung durchläuft. Alternativ kann eine Frau sich auch als Unternehmen oder Selbständige registrieren und damit die Liste umgehen.
Am 9. Oktober wurde auf der Sitzung des Nationalrats für Genderpolitik beim Ministerrat der Republik Belarus das Handlungskonzept zur Geschlechtergleichstellung für 2021 – 2025 besprochen. Im Anschluss teilte die Ministerin für Arbeit und Soziales, Iryna Kascievič, mit, dass die Liste der für Frauen nicht zugelassenen Berufe möglicherweise abgeschafft wird.
Zwiespältige Gedanken zum Muttertag
In Belarus wird der Mutterschaft eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Seit 1996 wird auf Erlass des Präsidenten am 14. Oktober der Muttertag begangen. Die Geburt eines Kindes stellt die Frau nicht selten vor eine Vielzahl von Problemen. Ihr sozialer Status und die Besitzverhältnisse verschlechtern sich, sie ist physisch und moralisch Belastungen ausgesetzt, über die öffentlich ungern gesprochen wird. Aufgrund ihrer „Biologie“ werden Frauen zu Empfängerinnen von Sozialleistungen und staatlichen Hilfen.
Mit der Priorisierung der Mutterrolle wird auch eine universelle Strafmaßnahme für Frauen begründet, deren Verhalten die Machthaber stört. Bekanntheit erlangte der Fall der Ehefrau des prominenten Oppositionspolitikers Andrej Sannikaŭ, Iryna Chalip, der nach ihrer Teilnahme an den Kundgebungen nach den Wahlen 2010 das Sorgerecht aberkannt werden sollte. Und das ist nicht das einzige Beispiel für die Instrumentalisierung des Muttermotivs für politische Überwachung und Unterdrückung. 2020 begannen diese Fälle massenhaft aufzutreten.
Ein Beispiel des Kindesentzugs bei einer Mutter, die die pünktliche Zahlung ihres Lohns einforderte, deutet auf die konsequente Einteilung von Frauen in „richtige“ und „falsche“ Mütter hin. In der Rechtfertigung zum Kindesentzug wurden in diesem Fall die Erziehung der Frau in einem Kinderheim, das niedrige Bildungsniveau und das Fehlen eines ständigen Lebenspartners angeführt, Schlüsselargument war jedoch ihr Ungehorsam gegenüber den staatlichen Behörden. Bemerkenswert ist, dass hier, wie auch in anderen Fällen, allein die Medien für die Frau eintraten.
Erst kürzlich gründete sich die ehrenamtliche Initiative „Mama am Rande“, die Mütter in Situationen unterstützt, in denen die staatlichen Sozialdienste „den Eindruck haben“, dass die Kinder sich in einer sozial gefährdeten Situation befinden.
Bezeichnenderweise wurde zum Muttertag 2020 in der Öffentlichkeit nicht diskutiert, inwieweit Frauen und Mütter im medizinischen Bereich über Ressourcen, Schutzausrüstung und würdige Arbeitsbedingungen verfügen. Stattdessen ging es darum, dass die Belarusinnen erst im Alter von knapp 27 Jahren heiraten und das erste Kind so spät bekommen, weshalb „Fachleute anstreben, die demografische Situation umzukehren.“
Solidarisch gegen Diskriminierung und Gewalt
Die staatliche Politik gegenüber Frauen zeichnet sich in Belarus durch eine äußerst geringe Sensibilität für ihre Bedürfnisse aus. Die Inkonsequenz der verfolgten Gleichstellungspolitik deutet darauf hin, dass die Behörden nicht in der Lage sind, eine Politik zu entwickeln, die die Gleichstellung von Männern und Frauen mit der Aufgabe der Steigerung der Geburtenrate, des aktiven Alterns und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbindet. Dementsprechend ist die Kluft zwischen normativem (Geschlechterverhältnis), offiziellem (Familienpolitik) und alltäglichem „Vertrag“ (Praxis der Verteilung sozialer Rollen) im Bereich der Interaktion zwischen Familie, Gesellschaft und Staat sehr groß.
Einerseits zielt die staatliche Politik darauf ab, die maximale Beschäftigung von Frauen zu fördern, andererseits dominieren traditionelle Vorstellungen über den Platz von Frauen in der Gesellschaft, was mit einer geringen Anerkennung der Berufstätigkeit von Frauen einhergeht.
Der Staat preist die Frau als Mutter, als Arbeitnehmerin, als Objekt sexueller Attraktivität als strategische Ressource des Landes, was zusammen mit einem Frauenanteil von 40 Prozent im Parlament als Bestätigung für das Engagement des Landes für Geschlechtergerechtigkeit, Unabhängigkeit und Demokratie präsentiert wird. Im Grunde geht es jedoch eher um Manipulation und moralische Kontrolle von Frauen durch die Behörden als um die Bereitschaft, auf neue Herausforderungen zu reagieren und gesetzliche Regelungen zu entwickeln, die die sozialen Folgen biologischer Prädispositionen ausgleichen könnten. Die indirekte Diskriminierung von Frauen in Belarus ist ein systemisches Phänomen.
Bis Frauen selbst anfangen, sich gegen konkrete Probleme und das missbräuchliche Verhalten bestimmter Obrigkeiten zu wehren, Strategien zum Schutz ihrer eigenen Interessen zu entwickeln und ihr Recht auf ein würdiges Leben zu verteidigen, werden verschiedene „Experten“ weiterhin versuchen, ihre persönliche Entscheidung „umzukehren“ und das als Akt der Fürsorge darzustellen. Ja, es besteht die Notwendigkeit, die Solidarität der Frauen um die Lösung spezifischer Probleme herum aufzubauen, denn heute gibt es in vielen Bereichen eine offensichtliche Ungleichheit.
Die Verschlechterung der Situation von Frauen steht heute nicht mehr im Fokus СКАЧАТЬ