Brunos Dankeschön. Uwe Heimowski
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Название: Brunos Dankeschön

Автор: Uwe Heimowski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783862567393

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СКАЧАТЬ ein Fünf-Mark-Stück.

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      Heinrich und die Sintflut

      Und die Sintflut war vierzig Tage auf Erden, und die Wasser wuchsen und hoben die Arche auf und trugen sie empor über die Erde. Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen sehr auf Erden ...

      Heinrich lag auf seinem Bett, streckte die Arme und damit das Buch, das er in Händen hielt, von sich weg und tastete nach der vergilbten, zerknitterten Fotografie, auf der seine Mutter abgebildet war. Auf dem Kopfkissen wurden Heinrichs Finger fündig: Eine junge Frau, zwei schlaksige, flachsblonde Söhne neben sich. Er hatte es jahrelang im Portemonnaie mit sich getragen, das war dem Bild anzusehen. Jetzt diente es ihm als Lesezeichen. Er steckte das Bild in die Bibel, die er immer noch ausgestreckt in der anderen Hand hielt, und klappte sie geräuschvoll zu. Vorsichtig, fast zärtlich legte er das dicke Buch auf die Kommode.

      Heinrich rieb sich die Augen, reckte seine Glieder und gähnte einen lauten langgezogenen Seufzer. Steif erhob er sich vom Bett und stakste, ungelenk und o-beinig, unentschlossen durch das kleine Zimmer. Vor dem Waschbecken blieb er stehen, griff nach der Keramikschüssel, hielt sich daran fest und machte eine Kniebeuge. Dabei ließ er es bewenden. Er schlurfte zur Schlafstatt zurück und warf sich wieder auf die Bettdecke. Im Liegen griff er zum Tabaksbeutel, der neben der Bibel auf der Kommode lag. Er kramte nach den Blättchen, zog eines aus der flachen Packung heraus, schichtete gleichmäßig Halbschwarzen hinein, feuchtete das Papier mit der Zungenspitze an und klebte es sorgfältig zu. Mit einem Streichholz entflammte er die Selbstgedrehte. Zweimal sog er den Rauch tief in seine Lungen und blies ihn jeweils in kleinen Ringen und Wölkchen in Richtung Zimmerdecke. Dann legte er die Zigarette in den Aschenbecher, fegte mit dem Handrücken in kurzen schnellen Bewegungen die Tabakkrümel von seiner Brust und griff wieder zur Bibel.

      Heinrich wog das schwere Buch in seiner Hand und schmunzelte einen Augenblick über sich selbst, wobei er unbewusst den Kopf schüttelte. „Ich lese die Bibel!“, lachte er im Stillen. Er schlug sie auf. Das Lesezeichen-Foto steckte im ersten Buch Mose. Im siebten Kapitel, bei Vers siebzehn war er stehengeblieben.

      Es war nicht ganz grundlos, dass Heinrich über sich selbst schmunzelte. Vor zwei Tagen erst hatte er begonnen, die Bibel zu lesen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er dieses Buch in die Hand genommen. Mit siebenunddreißig Jahren. Es war überhaupt das erste „richtige“ Buch, das er las, seit er aus der Schule gekommen war. „Richtiges“, damit meinte Heinrich ein dickes, in Leinen gebundenes Buch. In den letzten Jahren hatte er sich damit begnügt, gelegentlich einen Groschenroman am Kiosk zu kaufen. Jerry Cotton war Heinrichs Favorit, auch Western mochte er. Doch selbst diese Heftchen las er selten, abends nach der schweren körperlichen Arbeit war er dazu meist zu müde. Und so blätterte er in der Mittagspause die BILD-Zeitung seines Arbeitskollegen durch, überflog die fettgedruckten Schlagzeilen. Das war‘s dann mit Lesen.

      Entsprechend schwer fiel ihm die ungewohnte Lektüre, zumal die der alten, umständlichen Bibelsprache (er hatte eine Lutherbibel). Zugleich fesselte ihn, was er las. So war Heinrich immerhin schon bei der Geschichte von der Sintflut und Noahs Arche angelangt.

      Am ersten Abend hatte er in der Schöpfungsgeschichte davon gelesen, wie Gott in sieben Tagen die Erde gemacht hat. Gestern hatte er von Adam und Eva, vom Sündenfall, von Kain und Abel und dem Brudermord erfahren. Heute las Heinrich von Noah. Alles schien ihm aufregend lebendig, nicht wie ein Roman, sondern so, als ob es ihn unmittelbar selbst anginge.

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      Vorgestern Abend hatte Heinrich die Coffeebar besucht, eine Art christliche Talkshow, die einmal pro Woche nahe der Reeperbahn stattfand.

      Er war eigentlich nur hingegangen, um sich von seinen quälenden Gedanken abzulenken. Dort, bei der Heilsarmee, wo sich bei Kaffee und Keksen und gemütlichem Kerzenschein die Gelegenheit bot, ein paar Leute zu treffen, die er kannte, nett fand und mit denen man sich unterhalten konnte, war das vielleicht möglich. Alleine vor dem Fernsehapparat in seiner kleinen Dachgeschosswohnung war es ihm jedenfalls nicht gelungen. Nicht einmal das Europapokalspiel hatte ihn fesseln können. So setzte er sich in die U-Bahn und fuhr nach St. Pauli.

      Ganz zufällig war Heinrich vor einigen Jahren in die Coffeebar geraten. Er war nach der Arbeit über die Reeperbahn gebummelt und auf eine Gruppe Singender getroffen. Da er kein bestimmtes Ziel verfolgte, hatte er sich von einem der Heilssoldaten, die kleine bunte Handzettel verteilten, einladen lassen. Die Atmosphäre und die Leute in der Coffeebar hatten ihm gefallen. Seither kam Heinrich – unregelmäßig regelmäßig, je nach Laune, Lust und Stimmung.

      Diesmal wollte Heinrich sich ablenken. Ablenken von dem zermürbenden Kreisen in seinem Kopf, das ihm seit Tagen nachts den Schlaf und tagsüber die Konzentration raubte, weil es endlos um ein und dasselbe Thema spulte: Die Miete. Wovon sollte Heinrich seine Miete bezahlen? Der Termin war überfällig, das Geld war weg.

      Er hatte seinen Lohn an Automaten verspielt. Verspielt! Wieder verspielt. Wo er endlich eine Wohnung hatte und eine Arbeit. Und dann das. Den gesamten Lohn verspielt. Diese sch... Automaten!

      Im Gespräch mit einer Bekannten löste sich der Gedankenkrampf tatsächlich. Erstaunlich schnell. Er hatte sie an jenem ersten Abend kennengelernt, und wie an jedem Donnerstag hatte sie auch heute schon auf Heinrich gewartet und ihn mit dieser Herzlichkeit begrüßt, die er noch nie verstanden, aber dafür um so mehr genossen hatte. Eine Herzlichkeit, die so überwältigend war, dass Heinrich den unangenehmen Seitenhieb schlicht überhörte – die Frage, wo er die letzten beiden Wochen gewesen sei.

      Sie hatten nicht einmal über sein Problem geredet, sondern über alles mögliche, aber allein die Ablenkung hatte Heinrich so gut getan, dass er in einer Zigarettenpause vor der Tür den ersten klaren Gedanken seit Tagen fassen konnte.

      Wie mit einem Schlag blickte er wieder durch den Schlamassel hindurch, der noch vor Minuten so bedrohlich undurchsichtig ausgesehen hatte: Er würde Aufschub bekommen. Er zahlte seine Miete regelmäßig und meistens pünktlich. Sein Vermieter würde ihm zwei Wochen Zahlungsfrist gewähren. Außerdem würde sein Chef ihm einen Vorschuss genehmigen, schließlich war er hochzufrieden mit ihm. So einfach war das.

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      Heinrich war ein guter Arbeiter, ein echter Malocher. Er arbeitete ihm Freihafen. Kaum jemand konnte beim Löschen der Schiffsladung zupacken wie er. Per Kran wurde die Ladung aus den Bäuchen der gewaltigen Frachtschiffe mit ihren fußballfeldgroßen Stauräumen gehoben, Eisenbahnwaggons verfrachteten sie in die noch größeren Lagerhallen der Speditionsfirmen.

      „Hat sich das Boxtraining doch gelohnt“, dachte er manchmal bei der Arbeit, „auch ohne Titel und Prämien.“

      „Und“, schob es sich meistens von selbst dazwischen, schmerzhaft, weil es die verdrängte, unliebsame Vergangenheit war, die sich ungefragt zu Wort meldete, „und ohne es eigentlich anzuwenden.“

      Mit dreizehn hatte Heinrich zu boxen begonnen, doch bevor er wirklich gut war, starb sein Vater – und damit sein Ziel: Er hatte ihm all das heimzahlen wollen, was der betrunkene Vater den Söhnen und der Mutter angetan hatte.

      Weil er Spaß am Boxen gefunden und einige kleine Erfolge erzielt hatte, blieb er dennoch einige Jahre im Training. Als Hilfsarbeiter, eine andere Arbeitsstelle gab es nicht für einen Sonderschüler ohne Schulabschluss, profitierte er nun vom harten Training und der erlangten Kraft und Zähigkeit.

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