Название: Brunos Dankeschön
Автор: Uwe Heimowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862567393
isbn:
Ich besuchte Bruno in seiner Wohnung. Nach einigen Umwegen kam ich so behutsam wie möglich zur Sache. Bruno lenkte ab. Ich kam zurück zum Thema. Bruno wich aus. Ich versuchte ihn zu packen, Bruno entglitt. So ging es etwa eine halbe Stunde. Meine Überzeugungsarbeit schien vergebens. Auch all meine Überredungskunst, auf die ich sonst so stolz bin, versagte. Bruno sträubte sich gegen das Bad wie eine junge Katze gegen die Bürste. Ich redete mit Menschen- und Engelszungen auf ihn ein – ich hätte längst dem berühmten Fisch das Fahrrad oder einem Eskimo einen Kühlschrank verkauft gehabt. Bruno blieb eisern. Er ließ sich nicht im Namen der Vernunft und noch nicht einmal im Namen Gottes von der Dringlichkeit eines Vollbades überzeugen.
Ich war kurz davor, mein Unternehmen aufzugeben, bis ich endlich bemerkte, warum Bruno ein Bad so rigoros und kategorisch ablehnte. Ein Nebensatz ließ mich aufhorchen: „... kann doch nicht einfach zu euch in die Tagesstätte kommen.“
Ach so. Es war weniger Unlust, als vielmehr Scham, die hinter seinem Sträuben lag. Als ich ihm ganz vorsichtig sagte, er brauchte sich nicht zu schämen, er und ich wären ganz alleine im Haus, wenn er käme, niemand außer uns würde etwas mitbekommen und auch ich würde mich diskret zurückziehen, brach das Eis und bald stimmte er einem Bad zu. Er schien sich sogar ein bisschen darauf zu freuen.
Pünktlich zum verabredeten Termin erschien Bruno im Heilsarmeehaus. Das Wasser plätscherte aus dem großen Wasserhahn in die Wanne, Schaum schwamm darauf und das frische Aroma des Pflegebades erfüllte den Raum. Bruno begann, sich auszuziehen. Ich prüfte mit der Hand die Wassertemperatur, ließ noch etwas Kaltwasser nachlaufen und drehte den Hahn zu. Dann wollte ich das Badezimmer verlassen, damit Bruno in Ruhe sein Bad nehmen konnte.
„Bleib noch, bitte.“
Ich blieb. Bruno bat mich, ihm den Rücken zu waschen. Und ob ich ihm die Zehennägel schneiden könne, fragte er.
Er sah mich an. Vorsichtig abtastend. Unsicher. Einige stille Sekunden lang drehte er nervös sein Hemd in den Händen.
„Doch du ..., du ...“ Seine kratzige Stimme, vom Lebensstil der früheren Jahre und dem Dauerhusten geschwächt, wurde noch dünner, als sie ohnehin schon war, riss plötzlich ab, blieb einen Moment stumm und setzte kurz darauf neu an. „Du musst ... dich aber ...“
Wieder setzte seine Stimme aus. Ich sah, wie er sich quälte, wie er darum kämpfte, seine Scham zu überwinden, die ihn offensichtlich am Sprechen hinderte. Auch mir Mittzwanziger war es ein unendlich langer und schwerer Moment. Es tat mir leid, dass dieser lebenserfahrene Mann sich einem so viel Jüngeren gegenüber eine solche Blöße an Körper und Seele geben musste. Ich bot an, doch lieber zu gehen und ihn alleine zu lassen, aber Bruno schüttelte vehement den Kopf.
„Jetzt bin ich hier, jetzt will ich auch sauber werden. Aber weißt du, ich ... ich habe mich seit ... über ... einem Jahr nicht mehr ...“ Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Ich nickte ihm zu, dass ich verstanden hatte, und nahm seine Hand. „Schon gut.“
Wenig später saß Bruno im dampfenden Schaumbad. Zwanzig Minuten ließ er seine Haut in der Pflegelotion einweichen, dann machte ich mich an das schwierige Werk.
Brunos Rücken zu waschen erwies sich nicht nur als überfällig, sondern auch als äußerst schmerzhaft. Schmutz und Schweiß waren in die Haut eingewachsen. Schultern und Rücken waren dunkelgrau geschuppt. Obwohl ich so behutsam wie möglich zu Werke ging, lösten sich unter dem sanften Druck des Schwammes zuerst einzelne Schuppen, dann größere Hautpartien, und schließlich begann es zu bluten. Ich musste aufhören.
Auch beim Nägelschneiden musste Bruno die Zähne fest zusammenbeißen. Einige Zehennägel, auch sie waren ein Jahr lang nicht geschnitten worden, hatten sich beim Wachsen gedreht und ins Nagelbett gebohrt. Wieder floss Blut, doch hier blieb ich hartnäckig. Zwar zuckten die Füße immer wieder vor der Berührung weg, doch ich setzte die Schere solange neu an, bis alle Zehennägel gestutzt waren. Bruno war tapfer und überstand die gesamte Prozedur unter viel Stöhnen, doch mit wenigen Klagen.
In unserer Kleiderkammer suchte ich etwas in seiner Größe. Er wählte einen grauen Anzug aus grober Wolle. Als er schließlich frisch gewaschen und sauber eingekleidet das Haus verließ, strahlten seine Augen mit Haut und Kleidung um die Wette. Das Bad schien bis in seine Seele hinein reinigende Wirkung gehabt zu haben.
Und jetzt standen wir hier, mitten in der Nacht, auf dem Bürgersteig der Talstraße, vor einer mehr als zwielichtigen Spelunke. Und Bruno fragte mich nach dem Preis einer Flasche Bier.
Hatte er sich durch das Bad also doch derart ernedrigt gefühlt, dass er es mir jetzt zurückzahlen wollte? Nein, das war nicht seine Art. Außerdem hatte er danach gestrahlt wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Nein, das konnte einfach nicht aufgesetzt gewesen sein. Und wieso spielte dieses süffisante Lächeln um seinen Mund, wieso leuchtete es in seinen Augenwinkeln? Das sah alles andere als boshaft aus. Ich verstand nichts. Absolut nichts.
„Nun sag schon.“ Brunos Frage klang ungeduldig, er zupfte mich am Ärmel. „Wieviel kostet hier ein Bier?“
Ach ja, ich hatte noch gar nicht geantwortet; war zu sehr in mein fieberhaftes Nachdenken versunken gewesen. Ich studierte die Preisliste. „Fünf Mark.“
Mechanisch gab ich Auskunft und ärgerte mich im selben Moment darüber, dass ich mir meine Antwort nicht verbissen hatte. „Sag mal, wenn du nach Süddeutschland telefonierst, wo deine Freundin wohnt, das ist doch ganz schön teuer, nicht wahr?“
Bahnhof. Mehr verstand ich nicht. Einfach nur Bahnhof. Wie kommt der jetzt vom Bier auf meine Freundin? Was hat die Preisliste der Sun-Bar mit meiner Telefonrechnung zu tun? Ein Buch mit sieben Siegeln – als Mensch verkleidet – stand vor mir.
„Das ist doch teuer, oder?“, bohrte Bruno.
„Ja, das kann man wohl sagen. Ziemlich teuer!“, sagte ich gereizt.
Mitleidvoll sah Bruno mich an.
„Das kannst du dir von deinem niedrigen Taschengeld bei der Heilsarmee sicher nicht so oft leisten, oder?“
Das Funkeln in seinen kleinen Augen, die mich jetzt noch fester fixierten und noch eindringlicher ansahen, hatte irgendwoher Nahrung bekommen und eine lodernde Stichflamme entfacht. Es flackerte als wildes helles Feuer in ihnen.
„Nein“, sagte ich unsicher. „Nein, nicht so oft.“
Bruno machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Nun, dann ist es wohl besser“, meinte er schließlich mit entschlossener Stimme, „du rufst sie an, als dass ich ein Bier trinke.“
Blitzschnell fuhr seine rechte Hand ins Jackett und fischte etwas heraus. Die linke packte mich behände am Handgelenk und drehte meine Handfläche nach oben. So hurtig, dass er mich kaum berührte, legte er ein rundes hartes Etwas in meine geöffnete Hand und drückte sie zu. Einen Moment hielt er sie umschlossen. Ein flüchtiger Blick, ein Zwinkern und schon war Bruno auf dem Absatz umgekehrt und – schwupps – in der Atempause verschwunden.
Ich blieb СКАЧАТЬ