Reisen. Helon Habila
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Название: Reisen

Автор: Helon Habila

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783884236376

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СКАЧАТЬ entkräftetes Kind hielt, trauerte, wie das nur eine Frau kann. Sie trug den voluminösen Wintermantel, betrachtete die in ihren Armen liegende Gestalt, das Licht umstrahlte ihren bedeckten Kopf wie ein Heiligenschein. Auf drei kleineren Leinwänden war das Kind allein skizziert – ich trat näher. Nein, es handelte sich nicht um dasselbe Kind. Es war ein weißes Kind, der Junge aus dem Heim für mutterlose Kinder, der über der Mauer hing und „Schokolade!“ rief. Und doch war es auf dem nächsten Bild nicht derselbe Junge. Es war ein eher exemplarisches Kindergesicht, ein Allerweltskind. Jedermanns Kind. Und das nächste war noch exemplarischer, geschlechtslos, weder schwarz noch weiß; deutlich zu sehen war jedoch ein geradezu anklagender Schmerz in seinen glänzenden Augen. Ich trat zurück und wandte mich an Manu. Was er wohl darüber dachte? Er hatte sich vorgebeugt, sein Gesicht dicht vor der Leinwand.

      „So viel Traurigkeit“, sagte er. Als ich schwieg, fuhr er fort: „Aber das ist möglicherweise nur meine Interpretation.“

      „Möchten Sie ein Bier? Ich ziehe mir rasch ein anderes Hemd an und dann bin ich bei Ihnen.“

      Manu erzählte, er habe eine Tochter. Sie lebten in einem Flüchtlingsheim.

      „Warum haben Sie sie nicht mitgebracht?“

      „Sie hat heute Deutschunterricht.“

      Ich versuchte, seinen Akzent zu erraten. „Kommen Sie aus dem Senegal?“

      „Nein, aus Libyen. Mein Vater kam ursprünglich aus Nigeria.“

      Mark saß mit einem Glas Wein in der Hand zwischen den zwei Frauen, die auf dem Balkon geraucht hatten, auf dem Sofa. Die eine hieß Ilse, sie war für die PR bei Zimmer verantwortlich, die andere hatte ich noch nie gesehen. Er schilderte den beiden sein Martyrium durch die Einwanderungsbeamten. Dante und Gina rückten näher und mittlerweile war Mark, dem die Aufmerksamkeit sichtlich gefiel, von einer kleinen Gruppe umringt. Er erzählte mit der für ihn typischen Prahlerei, gab der Geschichte einen humoristischen Anstrich, als wäre alles ein großer Spaß gewesen. Mir kam es vor, als hörte ich zum ersten Mal davon, als wäre ich nicht teilweise mit dabei gewesen und unwillkürlich musste ich seine Wandlungsfähigkeit bewundern. Die mir unbekannte Brünette im blauen Kleid, das nur bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, lehnte sich zu Mark hinüber. „Also beantragen Sie jetzt Asyl? Das wäre doch das Einfachste für Sie, oder?“

      „Mark ist Student“, sagte ich und trat näher.

      „Ah so“, sie sah zu mir hoch. Sie wirkte wie Mitte vierzig. Eine Journalistin aus Frankfurt, wie ich später erfuhr. Sie hieß Anna. Wie Gina wohl an sie geraten war? Wahrscheinlich durch Ilse. Zimmer förderte und vernetzte seine Stipendiaten unermüdlich.

      „Warum“, Mark wandte sich mit einem schelmischen Funkeln in den Augen an mich, „gehen Weiße immer davon aus, dass jede schwarze Person, die reist, ein Flüchtling ist?“

      „Tun sie nicht“, sagte Anna. „Tue ich nicht“, verbesserte sie sich. „Schließlich kann ich nicht für jeden Weißen auf dem Globus sprechen.“

      Ich klinkte mich aus und ging in die Küche, um mir Wein nachzuschenken; als ich zurückkam, waren die Frau und ihr Kind gegangen. Mir fiel Manu ins Auge, der mit einem Glas in der Hand etwas abseits in der Nähe der Tür stand. Er starrte die Gruppe an und als ich seinem Blick folgte, stellte ich fest, dass er Gina ansah, die sich mit Dante unterhielt. „Deine Frau ist extrem begabt“, sagte er.

      „Komm doch zu uns“, meinte ich, „halt dich nicht so abseits.“

      „Ich muss jetzt leider gehen. Es ist schon spät.“

      Ich reichte ihm seinen Mantel und als ich mich wieder zu den anderen gesellte, fragte Anna Mark gerade, ob er in Berlin Rassismus erlebt habe, denn bestimmt sei Berlin doch die liberalste und offenste Stadt Europas, in der man die Menschen herzlich willkommen heiße. Mark lächelte unbeeindruckt. „Mir gefällt’s hier. Sogar in Berlin sehne ich mich nach Berlin.“

      „Hahaha“, Anna lachte entzückt. Ihr Lachen war erstaunlich laut. „Das gefällt mir. Darf ich Sie zitieren?“

      Mark hob die Hand, sein Gesicht war weingerötet. „Bevor Sie mich zitieren, möchte ich noch Folgendes sagen … mir ist auch aufgefallen, dass Frauen, wenn ich in der Nähe bin, unweigerlich ihre Taschen umklammern. Und zwar so.“ Er führte es vor. „Mit beiden Händen. Erst ist mir das gar nicht aufgefallen, aber dann war es so offensichtlich, dass ich es nicht übersehen konnte.“

      Anna lachte, wirkte jetzt aber mehr auf der Hut. Gina warf mir einen Blick zu – Mark fiel in meinen Zuständigkeitsbereich. Er sorgte für Unbehagen bei ihren Gästen. Dante versuchte die Situation zu retten. „Aber was Rassismus betrifft, ist die Lage in Europa doch gut. Besser als in Amerika, oder? Ich bin öfter dort für Ausstellungen. Obama wird dort nicht respektiert und bestimmt, weil er schwarz ist.“

      „Na ja, es ist nicht ideal, aber so schlimm auch wieder nicht“, sagte Gina. „Wir haben seit den Sechzigern, seit der Bürgerrechtsbewegung große Fortschritte gemacht.“ Sie sah mich an, aber ich hatte dem nichts hinzuzufügen.

      „Was für Erfahrungen hast du als Afrikaner in Amerika gemacht?“, fragte Dante mich. Ich betrachtete seine modisch zerrissene Jeans, das blaue Hemd, aus dessen Ausschnitt die Brusthaare lugten und beschloss, ihn unsympathisch zu finden, lächelte aber und erzählte von meiner ersten Reise nach New York. In der Penn Station war ich auf einen Polizisten zugegangen, weil ich ihn nach dem Weg fragen wollte, wie man das überall auf der Welt eben so macht, und als ich näherkam, bemerkte ich, wie sich seine Hand langsam in Richtung der Waffe an seiner Taille bewegte. Ich war stehengeblieben und hatte mich umgesehen, bestimmt war da jemand hinter mir, dessentwegen er nach der Waffe greifen wollte, denn ich konnte ja nicht der Grund sein. Mittlerweile umklammerte er seine Waffe, aber ich fragte ihn trotzdem nach dem Weg, wenn auch mit zitternder Stimme, und er sah mich mit unbewegter Miene an und sagte: „Weitergehen.“ Als ich Gina die Geschichte vor langer Zeit erzählt hatte, war sie ausgerastet. Sie hatte die Polizei als rassistische Schweine beschimpft. Damals war sie hitzköpfig gewesen, in letzter Zeit war sie toleranter geworden, nahm weniger wahr, was um sie herum geschah, ihr Blick galt einzig ihrer Malerei.

      7

      „Wie lange bleibt er denn?“, fragte mich Gina, als die Gäste gegangen waren und Mark auf dem Wohnzimmersofa schnarchte.

      „Ein, zwei Tage.“

      „Wie konntest du das nur tun – ihn mitbringen, ohne mich vorher zu fragen? Wenn irgendwas schiefgeht …“

      „Was soll denn schiefgehen?“, fragte ich und in dem Moment fiel mir der besorgte Gesichtsausdruck des Anwalts ein, als er mich fragte, ob ich Mark denn gut kennte. Ich verdrängte den Gedanken. „Meinst du, er zündet das Haus an oder bricht bei den Nachbarn ein? Also echt. Er wirkt vielleicht ein bisschen … aus dem Lot, aber er ist in Ordnung. Er braucht einfach einen Platz, wo er sich ein, zwei Tage berappeln kann.“

      „Was hat er denn für Probleme?“

      „Du hast ihn ja vorhin gehört. Er ist Student und seine Aufenthaltspapiere müssen in Ordnung gebracht werden. Ein Anwalt kümmert sich darum.“

      In dieser Nacht bekam ich so gut wie keinen Schlaf, lauschte Ginas leisem Atem. Ich hätte sie gern nach dem Kind gefragt, das sie gemalt hatte, und wofür es stand, aber sie schlief bereits, weit von mir abgerückt, das Gesicht zur Wand gedreht. Schlaflos lag ich da, bis schließlich draußen die Vögel loszwitscherten. Ich machte das Fenster auf, streckte meinen СКАЧАТЬ