Reisen. Helon Habila
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Название: Reisen

Автор: Helon Habila

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783884236376

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СКАЧАТЬ Wir tranken unser Bier aus, aber Mark war noch nicht in Aufbruchstimmung. Er bestellte ein zweites Bier.

      „So muss es sein“, sagte er und schlug auf den Tisch. „Widerstand gegen das System.“ Wir tranken aus und bestellten noch eine Runde. Allmählich spürte ich, wie ich runterkam. Draußen gingen im Dämmerlicht die rauchgelben Straßenlaternen an. Der Tag war beinahe zu Ende. Ein Streifenwagen heulte vorbei, sein blitzendes Blaulicht vermischte sich mit dem Straßenlampengelb.

      „Ich sollte nach Hause.“

      „Ach, komm“, sagte Mark, der bereits betrunken wirkte, „ich geb noch eine Runde aus.“ Er bestellte einen doppelten Whisky.

      „Für mich nicht. Beeil dich. Ich bring dich heim, dann bin ich weg.“

      Auf dem Heimweg blieb Mark an einer Currywurstbude stehen. Ein junger Typ mit alkoholgerötetem Gesicht ließ sich, obwohl seine Freundin ihn am Arm weiterziehen wollte, neben uns auf die Bank fallen. Das Gesicht in den Händen beugte er sich vor. „Scheiße“, murmelte er unentwegt vor sich hin. Das Mädchen trug ein Cosplay-Outfit und viel Make-up, hatte ihre Augen mit Kajal auf mandelförmig geschminkt. Auf der anderen Straßenseite stand in einem düsteren Zugang ein Mann mit Hoodie, der die Vorübergehenden leise „Alles gut?“, fragte, ihnen dabei aber nie richtig in die Augen sah.

      „Auf nach Hause, Mark.“

      Da er nicht mehr gerade gehen konnte, legte ich seinen Arm über meine Schulter, musste mich dabei komisch verbiegen, weil er viel kleiner war als ich. So schwankten wir zur S-Bahn-Station. Als wir zur verlassenen Kirche kamen, war die Tür aus den Angeln gerissen und lag im Eingangsbereich. Die Lampen brannten. Die Stühle waren umgeworfen, Papiere auf Tischen und Boden verstreut.

      „Verdammte Scheiße!“

      „Was ist denn da passiert?“

      „Keine Ahnung. Sieht aus wie eine Razzia.“

      Mark ging von Raum zu Raum, stellte Stühle wieder hin und hob Bücher auf. Sein Zimmer lag am Ende des Flurs neben der Küche. Seine dünne Matratze war zerfetzt und beinahe durchgeschnitten. Sein Rucksack, der seine wenigen Habseligkeiten enthielt, lag geöffnet mitten im Zimmer.

      „Was für Arschlöcher! Das war die Polizei, die hat uns schon seit einiger Zeit im Visier.“

      „Wo sind die anderen?“

      Achselzuckend sah er mich an. „Ich habe keine Ahnung.“

      „Was willst du jetzt machen, wo willst du schlafen?“

      „Ich komm schon klar.“ Besonders überzeugend klang das nicht.

      „Warum gehst du nicht zu deiner Freundin?“

      „Lorelle? Das geht nicht. Sie hat eine Mitbewohnerin. Aber he, mach dir keine Sorgen. Ich komm woanders unter. Ich komm klar.“

      Ich wandte mich zum Gehen. Schwankend, den leeren Rucksack in der Hand, versicherte er mir, er komme schon klar, und dann fiel mir ein, dass er sowieso nicht bei Lorelle hätte unterschlüpfen können, weil sie festgenommen worden war. Ich war müde und zerschlagen, wollte nur noch heim, unter die Dusche und ins Bett.

      5

      Von Marks Verhaftung erfuhr ich erst eine Woche später, als ich bei der Kirche vorbeischaute. Sie wirkte anders als sonst, die Tür war wieder eingehängt und der Garten sah aus, als wäre jemand mit dem Rechen darüber gegangen. Unter einem Baum war sorgfältig Müll zusammengetragen worden, der nur noch in Abfalltüten gestopft werden musste. Auf mein Klopfen öffnete niemand. Ich drückte die Tür auf. Die schäbigen Sofas und Lampen waren verschwunden. Das Lesepult war noch vorhanden und mir fiel ein, wie Mark dahintergestanden und aus der Bibel vorgelesen, sich über seinen Vater, den Pfarrer, lustig gemacht hatte. Ich war traurig und auch ein wenig verletzt – sie waren ausgezogen, ohne mich zu informieren. Sie hatten meine Handynummer, zumindest Mark, er hätte mich ruhig anrufen können. Aber ihr Leben war ein einziges Provisorium, wahrscheinlich waren sie von der Polizei verjagt worden und hatten mittlerweile ein anderes Gebäude besetzt; vielleicht meldeten sie sich in ein, zwei Wochen, wenn sie sich dort eingerichtet hatten. Zumindest Mark. Mir ging auf, dass sie mir fehlten; mir fehlte es, abends, wenn Gina arbeitete, in der Kirche vorbeizuschauen und ihren Gesprächen zu lauschen, die sich mit allen möglichen Themen beschäftigten, vom Klimawandel über abgefeimte Politiker bis hin zu Flüchtlingen, auch wenn ich die vier arroganterweise insgeheim naiv und hoffnungslos idealistisch fand. Jetzt musste ich mir eingestehen, dass sie sich zumindest über Andere Gedanken machten, nicht nur über sich selbst, willens waren, die Polizei mit Steinen zu bewerfen und für ihre Ideale sogar ins Gefängnis zu gehen – wie viele Leute waren dazu fähig? Ganz bestimmt nicht meine egoistischen, hyperehrgeizigen Kommilitonen von früher und definitiv nicht Ginas hypersensible, geradezu narzisstische Künstlerkollegen des Zimmer-Stipendienprogramms, die wir regelmäßig bei Abendessen, Vernissagen und Lesungen trafen. Die ganze Woche über wartete ich auf Marks Anruf. Hatte er überhaupt ein Handy? Ich konnte mich nicht daran erinnern. Schließlich rief mich Lorelle an. Am Tag nach der Demo war sie aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. „Wo sind denn alle abgeblieben?“, fragte ich. „Ich war bei der Kirche, aber da war keiner.“

      Marks Grüppchen habe sich aufgelöst, erklärte sie. Stan sei zurück nach Mannheim, Eric nach Frankreich und Uta zu ihren Eltern. Das Gap-Year vom Leben, die Suche nach einer Alternative vorbei, dachte ich, die Revolution verloren. Enttäuschung durchfuhr mich.

      „Und Mark?“, fragte ich. Mark sei verhaftet worden, deshalb rufe sie an. Ob wir uns treffen könnten? Lorelle wartete in einem Café gegenüber dem U-Bahnhof Neukölln auf mich. Sie bestellte einen Chai, ich einen Kaffee. Sie war anders, zurückhaltender, als hätte sie nicht geschlafen. Sogar das Mandala auf ihrer Wange wirkte weniger fluoreszierend, die Farben in ihrem Haar waren weniger festlich.

      „Als ich dich letztes Mal gesehen habe“, übertönte ich mit lauter Stimme den Straßenlärm, „schlugst du gerade kreischend um dich, während du von der Polizei davongeschleift wurdest.“

      „O Gott, an dem Tag war ich dermaßen high. Am nächsten Morgen haben sie mich freigelassen. Das ist Routine. Man könnte sagen, das macht den Kampf so spannend.“

      „Was ist jetzt mit Mark?“

      Ein junger Mann mit schulterlangem Haar und länglichem Trauerkloßgesicht kam an unseren Tisch, beugte sich zu Lorelle und flüsterte ihr schüchtern etwas ins Ohr. Er roch nach Kot, Urin und abgestandenem Schweiß. Seine dicken, ausgelatschten Stiefel standen vor Dreck. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keins.“ Er wandte sich an mich. Ich sah weg und er schlurfte zum nächsten Tisch.

      Offenbar war Mark an dem Tag, als ich ihn zur Kirche begleitete, nochmals losgezogen und hatte noch mehr getrunken, war dann zurück in die Kirche, wo er laut Musik laufen ließ, die eine Polizeistreife anlockte. Man fragte ihn, weshalb er sich dort aufhalte und wo sein Wohnsitz sei, und als er anfing, die Polizisten zu beschimpfen, nahmen sie ihn mit. Die Lage verschärfte sich, als sich herausstellte, dass sein Visum abgelaufen war. Jetzt war er ein Fall für die Einwanderungsbehörde.

      „Und wo ist er jetzt?“

      „Sitzt in Abschiebehaft. Ich habe ihn gestern besucht und er meinte, ich solle dich anrufen. Er hat sonst niemanden. Er braucht Hilfe. Die wollen ihn zurück nach Malawi schicken – was Schlimmeres kann ihm gar nicht passieren. Er kann nicht zurück.“

      Wie entschieden sie klang: Er kann nicht СКАЧАТЬ