Название: Frauenschneider Gutschmidt
Автор: Otto von Gottberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711529973
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„Hübsch von Ernst, dass er an uns denkt. Vergiss nicht, dich dankbar zu zeigen.“
Ohne Antwort schob Frida die Tasse von sich, als sei ihr der Tee zuwider. Des Vetters oft gespürte zähe Aufdringlichkeit liess vermuten, dass er kam, um ohne Zögern ihre traurige Lage für seine Absichten auszubeuten. Es mochte tröstlich scheinen, dass wenigstens ein Weg noch aus dem Elend führte. Aber ihn zu gehen war unmöglich. Schon das Denken an den Vetter, den sie sich oft fast mit Ekel vom Leibe gehalten hatte, empörte. Sie stand auf, aber die Mutter legte die Hand auf ihren Arm und Ernst trat ein. Das Schwarz seines Anzuges hob die fahle Blässe des aufgeschwemmten Gesichts mit kleinen schwarzen Augen unter kahlem Scheitel. Über dem von niedrigem Hals vorstehenden Kinn schürzten sich dicke Lippen zu einer Rundung, die des Vierzigers Schulfreunde einst Schnorchel genannt hatten. Der borstige kleine Schnurrbart war kurz geschoren, und über den schwarzen Stoppelhaaren lag platt und breit die eingebogene Nase. Nicht ohne Grund hatten die Jugendgespielen den Vetter „Schnorchel Hemmern“ getauft.
Doch heute schien er wirklich gewillt, ein Helfer zu sein. Nach kurzem Kopfnicken gegen Frida begrüsste er die Mutter mit Handkuss:
„Herzinnigstes Beileid, Kusine. Du hast so Schweres zu tragen, dass ich eilen wollte, dir die Last nach Kräften zu erleichtern.“
Aber dann sah er Frieda tiefer, als ihr lieb war, in die Augen:
„Auch dir möchte ich ein treuer Verwandter und Diener sein.“
Die Mutter war von des Besuchers Worten so gerührt, dass sie hinter dem feuchten kleinen Ballen ihres Taschentuchs wieder zu schluchzen begann.
Frida führte sie zum Tisch, schob Ernst einen Sessel zu und sass neben ihm bei Machen auf dem Sofa nieder. Den Tränen konnte auch sie nicht wehren, als sie Fragen nach des Vaters plötzlichem Verscheiden beantworten musste.
Ernst wartete schweigend, bis sie ihre Augen trocknete. Über das Taschentuch sah sie den Schnorchel schnuppern. Die Zunge feuchtete die dicken Lippen. Hemmern weidete die Augen am Bild der Kusine. Sie war so schön, dass Weinen sie nicht entstellen konnte. Auch mit unfrisiertem wirrem Haar blieb sie verführerisch wie sonst. Vom Gesicht der ihre Tränen Meisternden glitten seine Augen zu den vollen Armen unter durchsichtigem Blusentuch und an der Kusine Figur herab. Frida trug ein silbergraues Kleid. Gleich durfte er Rat und Hilfe anbieten:
„Ihr habt natürlich noch nicht an die nötigen Besorgungen gedacht. Darf ich eine Schneiderin schicken?“
Frida erschrak. An Trauerkleider hatte sie in der Tat noch nicht gedacht. Fast bestürzt schlug sie die Augen zu ihm auf. Er hatte sich unbeobachtet gewähnt. Darum sah sie den ihr wohlbekannten Blick der schwarzen Augen an ihren Gliedern haften, dort wo zwischen Hüfte und Knie das knappe Kleid die Figur eng wie ein Handschuh die Faust umspannte. Der Schnorchel zuckte wieder. Wie ein Schlag fühlte sie den hässlichen Blick, auf den eine Ohrfeige gebührende Antwort gewesen wäre. Schnell aufstehend fühlte sie ein Frösteln. So, dass der Vetter es sehen sollte, schüttelte sie das Kleid um die Hüften lose, schritt um den Tisch herum und setzte sich in einen Sessel hinter dem Schutz der Decke.
Ernst wusste, was gutzumachen war:
„Habt ihr wegen der Beerdigung ...“
Frida war der Antwort enthoben. Die Kunze trat ein. Ihre Augen suchten den Teppich, und ihre leise Stimme zitterte:
„Die Männer mit dem Sarg sind da.“
Als sie das hörte und vor sich den Vetter sah, ward Frida klar, was es heisse, ohne Schutz eines männlichen Verwandten zu leben. Mit einem Aufschluchzen, das fast Schreien war, warf sie sich herum und den Kopf auf die Schulter der Mutter.
2.
Vor dem Trauerhause in eine Droschke steigend, sagte Hemmern dem Kutscher: „Zu Gutschmidt.“ Der magere Schimmel, D. U. wie er, sah kaum aus, als werde er die Fahrt überdauern. Halb 10 schmunzelte das runde dicke Uhrgesicht am Anhalter Bahnhof ins blinkende Licht der Januarsonne, und Hemmern lachte mit.
Der Tag war kalt, aber hell wie das Leben jetzt vor ihm lag. Auf harter Schneekruste rollte der Wagen durch die Bellevuestrasse und am Saum des Tiergartens entlang. Zur Rechten glitzerten schneebeladene Bäume, zur Linken blanke Fensterscheiben, hinter denen das Auge Behagen und Wärme ahnte. Nichts gab es dort, das sich der Herr auf Herkelsbrühl zu versagen hätte. Mehr als die hier Wohnenden wollte er sich gönnen — Frida!
Umsonst war sie freilich nicht zu haben. Eine Frau ihrer Art würde jährlich ein kleines Vermögen kosten. Er wollte es drangeben. Also irrten wohl die Menschen, die ihn geizig nannten. Konnte er nicht verschwenden, um seine grosse Leidenschaft, den Hunger nach Frauen, zu sättigen? Natürlich hatte er stets den wahren Wert einer Begehrten erwogen, aber willig und flink gezahlt, wenn des Preises Höhe seiner Schätzung entsprach. So wie Frida hatte er sich noch keine gewünscht. Sie war ihres Preises wert, aber konnte den Handel auch nicht ausschlagen. Die Spröde schien jetzt schon sein. Er dachte ihrer nicht mehr mit dem entnervenden Verlangen unstillbaren Sehnens, das ihm nach früheren Begegnungen wohl die Nachtruhe störte. Als verarmtes Mädchen musste die Verwöhnte nach seiner Hand haschen. Sie war sein!
Die Sonne schien wärmer durch die kahlen Räume zu strahlen. Er öffnete den Pelz, lehnte sich behaglich gegen das Rückenpolster und rief zum Kutscher:
„Langsam! Schonen Sie den D. U.! Vielleicht müssen wir auch noch ’ran.“
Die Stunde sollte ausgekostet werden. Wundervoll eng hatte das silbergraue Kleid Fridas ranke Glieder umspannt, als sie auf dem Sofa sass. Wie sie dann vom Sitz aufgeschnellt war! Nein, es gab keine Schönere als sie. Baron, du musst blechen! Es war hübsch, sich Baron ansprechen zu dürfen.
Schon von der Gedächtniskirche sah er an der Nordwestecke der Kreuzung von Joachimsthaler und Hardenberg-Strasse den neuen hellen Riesenbau des Jugendfreundes. Unter dem flachen Dach eines Sandsteinquadrats, dessen Nordmauer den Kurfürstendamm streifte, stand in goldenen Buchstaben:
Georg Gutschmidt
Frauenschneider.
Vor dem Portal aussteigend, wartete Hemmern zwischen den hohen Kandelabern — zwei riesigen Fackelträgern zur Rechten und Linken der breiten Drehtür des Haupteingangs.
Es tat gut zu sehen, wie die lieben Dingerchen in Scharen herbeiliefen, um auch ihn, den bescheidenen Gesellschafter des grossen Freundes, zu bereichern. In jeder zweiten Minute spie einer der Untergrundbahntunnel einen Frauenschwarm aus. Ohne Unterlass schluckten beide Hohlwege einen dünneren Strom von Frauen, die schon gerupft aus dem neuen Paradies ihres Geschlechts kamen. Langsam und müde, oft fast erschöpft, aber doch noch erregt vom Schauen, Prüfen und Wählen, stiegen sie die Treppen hinab. Ihre Wangen waren gerötet und oft die Haare gelockert. In den Augen funkelte Verlangen nach Mehr von den begehrten oder gekauften Herrlichkeiten. Zögernd blickten sie zurück, nahmen trödelnd von Freundinnen Abschied und ballten sich zu Inseln im Lauf des Gegenstroms, den die Bäche aus den beiden Tunnelzugängen speisten. Da, wo sie zusammenflossen, stürzte von der Treppe des Stadtbahngleises der Wasserfall einer neuen Frauenwoge hinein. Geärgert durch jedes Hindernis im Pfad, bahnten Käuferinnen der СКАЧАТЬ