Für mich bist du ein Wunder. Andi Weiss
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Название: Für mich bist du ein Wunder

Автор: Andi Weiss

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783961224470

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СКАЧАТЬ sagte: „Dort drüben wohnt meine Cousine. Mit der darf ich erst spielen, wenn sie fünfundsechzig ist. Und dann mag ich nicht mehr mit ihr spielen.“

      Das traf mich ins Herz. Welches Lied können wir in Anbetracht dieser Situation singen? Wir, die wir in Albträumen Raketen über uns hinwegfliegen sehen; wir, die wir uns immer wieder durch den Zaun, den Stacheldraht zu getrennten Verwandten und Freunden hinübersehnen? Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und brachte ein Lied zu Papier, das all die Bilder enthielt, die ich so klar und deutlich vor mir sah:

      Das Lied vom Zaun

      Ich war zum ersten Mal am Zaun,

      wollt’ mit eigenen Augen schaun.

      Ich war zum ersten Mal am Zaun –

      jetzt träumen, hoffen, Friedensschlösser baun.

      Will einen Weihnachtsbaum ins Minenfeld pflanzen,

      will am Schlagbaum Volkstänze tanzen.

      Von Gattendorf rüber nach Ölsnitz fahren,

      wie es mal möglich war vor Jahren,

      und dem Gegenverkehr mit der Lichthupe blinken,

      jedem Auto vor Freude wie wild zuwinken.

      Am Dreiländereck will ich Wasserräder baun,

      möchte ungesiebt rüber nach Rossbach schaun.

      Will von Wachturm zu Wachturm Girlanden winden,

      und wo Minen waren, Champignons finden.

      Die Grenzpfähle mit lustigen Hütchen schmücken

      und in Mödlareuth an der Mauer Blumen pflücken.

      Ich will aus Stacheldraht Kränze flechten,

      will mit dem Wachsoldat eine Nacht durchzechen.

      Einen Wachturm dann als Kanzel verwenden

      und es hinausschreien an Ecken und Enden:

      Wir wolln diesen Zaun aus den Angeln heben,

      um endlich als ein Volk zusammenzuleben.

      Wir sangen das Lied dann in der Hofer Michaeliskirche – Jugendliche, die nie etwas anderes kannten als den Zaun hinter der Haustür, und Erwachsene, die von ihren Eltern hörten, wie es damals war, als man noch ohne Visum nach Plauen fahren konnte. Manche haben geweint. Andere fanden es peinlich, dass von „einem Volk“ die Rede war. Das Lied geriet in Vergessenheit.

      1989 riefen die Menschen bei den Montagsdemos in der DDR: „Wir sind das Volk!“ Und im November sah ich dann die Bilder des Liedes Wirklichkeit werden. Ich saß vor dem Fernseher und beobachtete aufgeregt, wie die Trabbis anrückten, wie die Schlagbäume hochgingen und die Lichthupen blinkten.

      „Genau das hab ich gesehen!“, rief ich meiner Frau zu.

      Bei den Montagsdemos in Leipzig konnte man die Menge „Wir sind ein Volk!“ rufen hören. Und ich sah auch die letzte Zeile meines Liedes Realität werden. Leider habe ich damals nie mit einem Wachsoldat eine Nacht durchgezecht, aber wie so viele war ich trunken vor Freude. In den oberfränkischen Kirchen beteten wir in Dankgottesdiensten den 126. Psalm:

      „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen getan!“

      Mir ist das alles noch sehr nah und doch ist es bald zwanzig Jahre her. Susanne hat mittlerweile mit ihrer Cousine gespielt oder sie waren als Teenager in der Plauener Disco. Nach Ölsnitz ist es jetzt keine Weltreise mehr, sondern ein Katzensprung. Die Blumen in Mödlareuth habe ich gepflückt – dort, wo einst die Mauer das Dorf teilte. Das habe ich mir nicht nehmen lassen. Genauso wenig wie das Träumen und das Hoffen und das Glauben und das Singen. Gegen alle Vernunft oder gerade ihr folgend.

      Horst Bracks, Pfarrer, Jahrgang 1965 , Heilsbronn

      Ein Überfall in der Sandgrube

      Angefangen hat alles in einer kleinen Sandgrube. Wir waren neu im Dorf. Scheidung, neuer Vater, und nun der Umzug in dieses 150-Seelen-Dorf am Ende der Welt, in dem alle Plattdeutsch sprachen. Ich war sieben und schüchtern.

      Immerhin gab es da diese Sandgrube bei dem kleinen Waldstück hinter unserem Haus, die ich bei einem meiner ersten zaghaften Spaziergänge entdeckt hatte. Ich liebte es, darin zu spielen. Ich saß im Sand und widmete mich meinem Spiel. Ich baute einen Zoo. In einem Weckglas hatte ich Tiere gesammelt: einige Marienkäfer, zwei Regenwürmer, einen Tausendfüßler, einen kleinen Frosch, einen dicken schwarzen Mistkäfer, drei Raupen, einen Ohrenkneifer – den hatte ich im Hausflur aufgelesen und von meiner Mutter ein dickes Lob bekommen – und einige Ameisen. Sie alle krabbelten im Glas munter durcheinander. Ab und zu klopfte ich auf den Deckel, damit die Ameisen, die die Wände hochkletterten, nicht durch die Luftlöcher entkommen konnten, sondern wieder zurück auf den Boden fielen. Für jede Tierart grub ich ein eigenes Gehege in den Sand. Das für den Frosch war besonders tief und hatte einen kleinen See, den ich mit Plastikfolie ausgelegt und mit Wasser gefüllt hatte. Der Mistkäfer bekam eine Höhle. Für die Raupen baute ich eine Hütte aus Ästen und Blättern.

      Ich war so versunken in meine Arbeit, dass ich die Schritte auf dem Trampelpfad überhörte, der aus dem Wald zur Sandgrube führte. Eine Art Indianergeheul setze ein. „Da ist der Neue! Los, auf ihn!“ Sand spritzte in mein Gesicht. Ich war völlig überrumpelt, wurde umgestoßen, und ein fetter Kerl, sicher neun oder zehn, setzte sich auf mich. Er drückte seine Knie auf meine Arme. „Hey, was soll das?“ schrie ich den Dicken an. „Was das soll? Du wirst gleich sehen, was das soll!“ zischte er und drückte sein ganzes Gewicht auf meine Arme. Ich heulte auf. „Das ist unsere Sandgrube“, meldete sich eine zweite Stimme und bellte mich an: „Was hast du hier verloren?“ „Aber ich …“ Ich konnte nicht weiterreden, der zweite Angreifer schob mir eine Handvoll Sand in den Mund. Ich spukte und prustete. Doch schon folgte die nächste Fuhre Sand.

      „Du meinst, dass man sich als Neuer alles erlauben kann? Nicht mit uns, Freundchen, nicht mit uns. Ist das klar?“

      Und wieder rieb er mir Sand in den Mund, während der andere mich festhielt. „Holger, das ist genug“, sagte der erste Angreifer jetzt. „Was, schon genug?“ Holger schien enttäuscht. „Ich weiß was Besseres. Schau mal da.“ Ohne loszulassen, zeigte er mit dem Kinn auf das Glas. „Na, Sandfresser, was willst du zuerst? Einen Regenwurm oder eine Raupe?“ Er lachte schallend los, Holger lachte mit.

      Ich begann zu zappeln und versuchte, mich zu befreien. Doch der Angreifer hockte schwer auf mir und ich wurde ihn nicht los. In meiner Verzweiflung spuckte ich ihn an. Oder vielmehr: Ich versuchte es. Aber mein Mund war noch voller Sand und der Brei aus Spucke und Sand fiel zurück in mein eigenes Gesicht. Holger und sein Kumpel bogen sich vor Lachen.

      „Der sabbert ja, der Kleine, wie niedlich.“

      „Nein, dem läuft das Wasser im Munde zusammen.“ Holger gluckste vor Vergnügen über seinen Witz. Er nahm jetzt das Glas, schraubte es auf und fingerte nach einem Regenwurm. „Sieht lecker aus, was, Sandfresser?“

      Er schwenkte den Regenwurm über mein Gesicht. Der ringelte sich СКАЧАТЬ