Mein. Lilly Grünberg
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Название: Mein

Автор: Lilly Grünberg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783945163696

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       32

      1

      Die Abendsonne stand tief und reflektierte sich in allen ihr zugewandten Scheiben und Spiegeln. Nach einem warmen Frühlingstag versprach ihr tiefes Rot auch für den nächsten Tag schönes Wetter. Jetzt allerdings sank die Temperatur rapide und an den Ufern von Bächen und Flüssen zogen erste Nebelschwaden auf.

      Der Feierabendverkehr auf der A9 zwischen München und Ingolstadt steigerte sich in beiden Richtungen von Minute zu Minute. Dementsprechend zuckelte die Kolonne immer gemächlicher an ihnen vorbei, die Gesichter der Fahrer von Ungeduld geprägt. Jeder strebte verständlicherweise nach getaner Arbeit nach Hause und jede Sekunde, die man später als üblich aus der Arbeit gekommen war, rächte sich nun. Schon jetzt war schwer einzuschätzen, wie lange man an diesem Abend bis München brauchen würde.

      Zufrieden über das erfolgreiche Ergebnis klappte Linus Gruber den Kofferraumdeckel zu und reichte seinem Gegenüber das Brett mit dem darauf eingeklemmten Formular, auf dem er die erfolgte Reparatur dokumentiert hatte. Nur noch eine Unterschrift, dann war alles erledigt.

      Vor einer halben Stunde hatte der Fahrzeughalter genervt beim Autoclub angerufen und um Hilfe gebeten. Zu dessen Glück hatte Linus nicht allzu weit entfernt gerade einen Einsatz zu Ende gebracht, so dass er trotz des dichten Verkehrs in kurzer Zeit den ausgerechnet auf der Abbiegespur liegengebliebenen Wagen erreicht hatte.

      »So, alles in Ordnung, Ihr Auto läuft wieder.«

      Erleichtert setzte der korpulente Geschäftsmann seine Signatur unter die Daten, die Linus mittels der Mitgliedskarte eingetragen hatte, und schnaufte schwer atmend: »Bin ich froh, dass es euch gibt. Ich hätte nicht gewusst, was ich sonst machen sollte.«

      Die meisten Menschen, denen die Orangen Engel der Straße halfen, reagierten ähnlich. Manche steckten ihnen sogar ein Trinkgeld zu, obwohl die Straßenretter dieses laut ihrem Arbeitsvertrag eigentlich nicht entgegen nehmen durften. Aber wer sollte das kontrollieren?

      Mit einer grüßenden Geste verabschiedete sich Linus, kehrte zu seinem Auto zurück und rief in der Zentrale an. »Hi Jenni. Auftrag erledigt. Ich mach mich jetzt vom Acker.«

      »Okay, Linus. Wünsch dir einen schönen Abend.«

      Den werde ich bestimmt haben.

      Linus’ Adrenalinspiegel stieg sprunghaft an, als er daran dachte, welches Abenteuer ihm heute noch bevorstand. Sein Horoskop klang vielversprechend. Heute würde es endlich geschehen, ganz bestimmt, denn heute würde er seine Traumfrau kennenlernen. Ein Kribbeln wie von laufenden Ameisen oder Käfern kitzelte auf seiner Haut. Er konnte es kaum noch erwarten.

      Irgendwann musste es ja schließlich klappen. Er war jetzt fast dreißig und wollte endlich eine dauerhafte Beziehung, und wer weiß, bald eine richtige Familie gründen. Wenn SIE dazu auch bereit war.

      Es lag gewiss nicht an seinem Äußeren, dass er bislang noch nicht erfolgreich gewesen war. Die mitunter körperlich anstrengende Arbeit und sein regelmäßiges Fitnessprogramm sorgten dafür, dass er muskulös und drahtig aussah, ohne deswegen das Bild eines überproportionierten Bodybuilders abzugeben. Aber seine Muskeln zeichneten sich durch T-Shirt und Jeans deutlich ab.

      Bei seinem Gardemaß von einsneunzig gab es genügend Frauen, die ihr Anlehnungsbedürfnis an der starken Schulter entdeckten. Leider war bislang nicht die Richtige dabei gewesen. Linus seinerseits mochte keine Frauen, die sich hauptsächlich für ihr Aussehen, für Shopping, Kino und Party interessierten, und sich daran stießen, dass er auch mal schmutzig nach Hause kam und dabei nach Öl und Benzin roch. Das gehörte nun mal zu seinem Job, und er liebte diesen Job über alles!

      Als ausgebildeter Kraftfahrzeugmechaniker hatte er sich beim Autoclub beworben und war nun seit gut fünf Jahren als Oranger Engel unterwegs. Kein Fall glich dem anderen, schon allein aufgrund der unterschiedlichen Automodelle. Natürlich gab es auch Routineeinsätze, wenn es sich um alltägliche Vorkommnisse wie einen platten Reifen oder eine leere Batterie handelte. Nebenbei erfuhr er meistens wie von selbst, welche Probleme die Leute plagten, sei es privat oder in der Arbeit. Linus arbeitete gerne mit Menschen und fühlte sich manchmal eher wie ein Seelsorger der Straße denn wie ein Mechaniker. Die meisten Kunden waren geduldig und freuten sich, wenn er ihnen zu Hilfe kam. Das Verständnis für die Wartezeit stieg logarithmisch zur Verkehrsdichte. Denn man musste schon strohdumm sein, wenn man trotz stehendem Verkehr erwartete, dass der Retter in Kürze erscheinen würde, als wäre er samt Auto herbei gebeamt worden.

      Für heute allerdings war diese Arbeit beendet. Für die Fahrt nach Hause hatte Linus einen ausreichend großen Zeitpuffer eingeplant, um zu duschen, sich den Schmutz von den Händen zu schrubben und sich auf sein Date vorzubereiten. Deshalb hatte er auch nicht Nein gesagt, als die Kollegin aus der Zentrale anrief und ihn noch zu einer letzten Panne schickte, die sowieso auf seiner Strecke lag.

      Dies war ohnehin kein Job, bei dem man minutengenau aufhören konnte, und das spielte für Linus auch keine Rolle. Normalerweise. Heute allerdings hatte ihn die Arbeit kaum von seinem Vorhaben ablenken können. Immer wieder überlegte er, ob er alles richtig geplant, an alles gedacht, sich die geeigneten Worte zur Begrüßung zurecht gelegt hatte. Fürs Erste beschäftigte ihn immer noch die Frage, ob er lieber ein Hemd anziehen sollte und den einzigen Anzug, den er besaß, oder doch lieber leger in Shirt und Jeans erscheinen sollte?

      Schon am frühen Morgen hatten die weiß gezuckerten Alpen direkt hinter München gestanden, zum Greifen nahe, und die Häufigkeit der Unfälle hatte bestätigt, dass sich die Autofahrer bei Fönwetter besonders unkonzentriert und aggressiv verhielten. Leute, macht keinen Blödsinn, nicht ausgerechnet heute. Ich muss wirklich, wirklich pünktlich nach Hause. Jetzt machten die von der Abendsonne in rotes Licht getauchten Berggipfel einen unwirklichen Eindruck.

      Mit Blick auf die Uhr im Display hinter dem Lenkrad überschlug Linus die Zeit. Von seinem aktuellen Standort nach Hause, duschen, rasieren, anziehen – dafür benötigte er mindestens eine Stunde, und es waren nur noch knapp zwei Stunden bis zu seinem Date. Sein Puls beschleunigte sich. Noch war alles im grünen Bereich.

      Während der Verkehr vor sich hin rollte, hing Linus seinen Gedanken nach. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, sein immer drängenderes Bedürfnis nach einer festen Partnerschaft in die Hände einer Vermittlungsagentur zu legen. Wollten die den Kunden nicht einfach nur Geld aus der Tasche ziehen? Wie verhielt es sich mit dem Datenschutz? War alles seriös und sicher?

      Wochenlang hatte er diverse Foren durchforstet, ehe er zu der Überzeugung gelangt war, dass es sich bei MyHeart um ein vertrauenswürdiges Unternehmen handelte. Nach Erhalt seiner Zugangsdaten hatte er über eine Stunde gebraucht, um ein Foto von sich hochzuladen, und alle vorbereiteten Fragen möglichst wahrheitsgemäß zu beantworten. Schließlich musste alles wohl überlegt sein.

      Die Auswahl reichte von gewöhnlichen Daten zu Augen- und Haarfarbe bis hin zu sehr persönlichen Informationen über Schul- und Berufsabschluss, Familienwünsche und Lebensziele. Einige Themen wie die nach seinen sexuellen Neigungen und seinen finanziellen Verhältnissen füllte Linus sehr zurückhaltend aus. Erst nach Beantwortung aller Fragen stand sein Profil potentiellen Interessentinnen, die ebenfalls Kundinnen bei MyHeart waren, online zur Verfügung.

      Eine Weile hatte Linus selbst in der Datenbank der Frauen gestöbert, die ihm aufgrund СКАЧАТЬ