Leichter Atem. Iwan Bunin
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Название: Leichter Atem

Автор: Iwan Bunin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783038209737

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СКАЧАТЬ Gespräch hatte ein Kosakenoffizier von häßlichem, plebejischem Aussehen, der rein gar nichts gemein hatte mit jenem Kreis, zu dem Olja Meschtscherskaja gehörte, sie auf dem Bahnsteig erschossen, inmitten einer großen Menge von Menschen, die soeben mit dem Zug eingetroffen waren. Und Olja Meschtscherskajas unglaubliches Bekenntnis, das die Schulvorsteherin so erschüttert hatte, erwies sich als vollkommen richtig: Der Offizier erklärte dem Untersuchungsrichter, die Meschtscherskaja habe ihn verführt, in einer intimen Beziehung mit ihm gestanden und geschworen, seine Frau zu werden, aber am Tag des Mordes, als sie ihn zum Bahnhof begleitete, wo er nach Nowotscherkassk abreisen wollte, habe sie ihm plötzlich eröffnet, daß sie niemals auch nur daran gedacht habe, ihn zu lieben, und all das Gerede von Ehe ihrerseits blanker Hohn gewesen sei, woraufhin sie ihm jene Seite ihres Tagebuchs zu lesen gegeben habe, in der von Maljutin die Rede war.

      »Ich überflog diese Zeilen, trat hinaus auf den Bahnsteig, wo sie auf und ab ging und wartete, daß ich zu Ende las, und schoß auf sie«, sagte der Offizier. »Das Tagebuch ist noch in der Tasche meines Uniformmantels, schauen Sie nach, was da am zehnten Juli des vergangenen Jahres geschrieben steht.«

      Der Untersuchungsrichter las etwa folgendes:

      »Es ist nach ein Uhr in der Nacht. Ich war fest eingeschlafen, bin aber sofort wieder erwacht … Heute bin ich zur Frau geworden! Papa, Mama und Tolja, sie alle waren in die Stadt gefahren, und ich blieb allein zu Hause. Ich war so glücklich, allein zu sein, daß ich es gar nicht sagen kann! Am Morgen ging ich allein spazieren, im Garten, über die Felder, im Wald, mir schien, ich sei ganz allein auf der Welt, ich war in tiefes Nachdenken versunken, wie nie zuvor in meinem Leben. Ich aß auch allein zu Mittag und spielte danach eine ganze Stunde Klavier, und ich hatte das Gefühl, daß ich ewig leben und so glücklich sein würde wie nie zuvor! Dann schlief ich ein, in Papas Kabinett, und um vier Uhr weckte mich Katja und sagte, Alexej Michajlowitsch sei gekommen. Ich freute mich sehr, es war schön, ihn zu empfangen und zu unterhalten. Er hatte zwei Wjatkapferde vorgespannt, sehr schöne Tiere, sie blieben an der Vortreppe stehen, aber er kam herein und blieb, weil es regnete und er hoffte, daß es zum Abend hin aufhören würde. Es tat ihm sehr leid, daß er Papa nicht antraf, er war sehr lebhaft, verhielt sich mir gegenüber wie ein Kavalier und scherzte, er sei seit langem verliebt in mich. Als wir vor dem Tee im Garten spazierengingen, war wieder schönstes Wetter, die Sonne glitzerte durch den nassen Garten, aber es war sehr kühl geworden, und er führte mich am Arm und sagte, wir seien Faust und Gretchen. Er ist sechsundfünfzig Jahre alt, aber noch sehr gutaussehend und stets gut angezogen – nur daß er einen Havelock trug, gefiel mir nicht –, er duftet nach englischem Eau de Cologne und hat ganz junge, schwarze Augen, und sein Bart ist elegant in zwei lange Hälften geteilt und ganz silbrig. Zum Tee saßen wir auf der verglasten Veranda, und da mir war, als wäre ich nicht ganz gesund, legte ich mich auf die Ottomane, er rauchte und setzte sich zu mir, sagte mir wieder allerlei Liebenswürdigkeiten, besah sich dann meine Hand und küßte sie. Ich bedeckte das Gesicht mit einem seidenen Tuch, und er küßte mich mehrmals durch das Tuch hindurch auf den Mund … Ich begreife nicht, wie das geschehen konnte, ich habe den Verstand verloren, ich hätte nie gedacht, daß ich so eine sein könnte! Jetzt bleibt mir nur ein Ausweg … Ich empfinde eine solche Abscheu ihm gegenüber, daß ich nicht mehr leben kann! …«

      Die Stadt ist in diesen Apriltagen wieder sauber und trocken, die Steine sind wieder weiß, es ist bequem und angenehm, auf ihnen zu gehen. Jeden Sonntag nach dem Gottesdienst geht eine kleine Frau in Trauerkleidung, mit schwarzen Glacéhandschuhen und einem Schirm mit Ebenholzgriff über die Sobornaja-Straße, die zur Stadt hinausführt. Sie passiert die Feuerwache, überquert den schmutzigen Platz, an dem etliche rauchgeschwärzte Schmieden stehen und vom Feld her ein frischer Wind weht; zwischen dem Mönchskloster und dem Gefängnis schimmern weiß der bewölkte Himmelsbogen und grau das Frühlingsfeld; schlüpft man dann hindurch zwischen den Pfützen an der Klostermauer und wendet sich nach links, sieht man eine Art großen, niedrigen Garten, eingefaßt von einer weißen Mauer, über deren Tor die Entschlafung der Gottesmutter gemalt ist. Die kleine Frau bekreuzigt sich diskret und geht der Gewohnheit folgend die Hauptallee hinunter. Wenn sie die Bank gegenüber dem Eichenkreuz erreicht, setzt sie sich, Wind und Frühlingskälte trotzend, für ein, zwei Stunden hin, bis ihre Füße in den leichten Schuhen und die Hände in den schmalen Handschuhen völlig durchfroren sind. Während sie den Frühlingsvögeln lauscht, die auch in der Kälte lieblich singen, und dem Klang des Windes im Porzellankranz, denkt sie zuweilen, daß sie ihr halbes Leben geben würde, wenn sie dafür nicht diesen Totenkranz vor Augen haben müßte. Der Gedanke, daß man Olja Meschtscherskaja in diesem Lehm vergraben hat, versetzt sie in ein an Apathie grenzendes Erstaunen: Wie soll man die sechzehnjährige Gymnasiastin, die noch vor zwei, drei Monaten so voller Leben, Liebreiz und Heiterkeit war, zusammenbringen mit diesem Lehmhügel und diesem Eichenkreuz? Ist es möglich, daß darunter diejenige liegt, deren Augen aus diesem bronzenen Medaillon heraus so unsterblich strahlen, und wie läßt sich mit diesem klaren Blick jenes Entsetzliche in Einklang bringen, das nun mit dem Namen Olja Meschtscherskaja verbunden ist? In der Tiefe ihrer Seele aber ist die kleine Frau glücklich, so wie alle verliebten oder überhaupt einem leidenschaftlichen Wunschtraum ergebenen Menschen.

      Diese Frau ist Olja Meschtscherskajas Klassendame, ein Fräulein jenseits der dreißig, die seit langem mit ihren Phantasien lebt, die ihr das wirkliche Leben ersetzen. Zuerst war ihr Bruder der Gegenstand ihrer Phantasie, ein armer, unscheinbarer Fähnrich – sie hatte ihre ganze Seele mit ihm verbunden, mit seiner Zukunft, die sich ihr, warum auch immer, in leuchtenden Farben darstellte, und in der seltsamen Erwartung gelebt, ihr Schicksal würde dank ihres Bruders eine märchenhafte Wendung nehmen. Nachdem er in der Schlacht bei Mukden2 gefallen war, hatte sie sich eingeredet, daß sie zu ihrem großen Glück anders sei als die anderen, daß Geist und höhere Interessen ihr Schönheit und Weiblichkeit ersetzten und sie eine Arbeiterin des Geistes sei.

      Der Tod von Olja Meschtscherskaja hält sie mit einem neuen Traum in Bann. Nun ist Olja Meschtscherskaja der Gegenstand ihres unablässigen Sinnens und Trachtens, ihrer Begeisterung und Freude. Sie geht an jedem Sonn- und Feiertag zu Oljas Grab – die Gewohnheit, zum Friedhof zu gehen und Trauer zu tragen, hat sie nach dem Tod des Bruders angenommen –, blickt stundenlang unverwandt auf das Eichenkreuz, denkt an Olja Meschtscherskajas bleiches Gesichtchen im Sarg, inmitten von Blumen, und daran, was sie einmal zufällig mitangehört hatte: Einmal in der großen Pause, als sie im Garten des Gymnasiums spazierengingen, hatte Olja Meschtscherskaja ihrer besten Freundin, der fülligen, hochgewachsenen Subbotina, hastig zugeflüstert:

      »In einem von Papas Büchern – er hat viele altertümliche, komische Bücher – habe ich gelesen, was die Schönheit einer Frau ausmacht … Weißt du, da steht so allerlei, man kann sich gar nicht alles merken: schwarze Augen natürlich, wie siedendes Pech – wahrhaftig, so steht es da: siedendes Pech! –, nachtschwarze Wimpern und ein zart schimmerndes Wangenrot, eine schlanke Statur, außergewöhnlich lange Hände – verstehst du: außergewöhnlich lange! –, ein kleiner Fuß, eine ausreichend große Büste, eine ebenmäßig gerundete Wade, das Knie in der Farbe von Muschelschalen, abfallende, aber kräftige Schultern – vieles weiß ich fast auswendig, so sehr trifft das alles zu! – vor allem aber, weißt du was? – ein leichter Atem! Den habe ich doch – höre nur, wie ich atme – nicht wahr, den habe ich?«

      Nun ist dieser leichte Atem wieder verweht in der Welt, in diesem wolkenverhangenen Himmel, in diesem kalten Frühlingswind …

      Es fließt der Fluß zum Meer, es vergeht ein Jahr ums andere. Jedes Jahr grünt zum Frühling hin der graue Wald über den Flüssen Dnjestr und Reut3.

      Vor einhundert Jahren war der Frühling nicht schlechter, aber es gab weniger Gerechtigkeit auf der Welt. Damals herrschten in Moldawien die Stambuler Türken, auf den moldawischen Thron hatten sie Griechen als Gospodaren4 gesetzt. Der Gospodar lebte wie ein Sultan, der Bauer, der Grundbesitzer wie ein Gospodar, und der Steuerinspektor, der Serdar5, wie Gospodar und Bauer zusammen. Für das Volk und für den Christusglauben standen allein die Gotsen.

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