Leichter Atem. Iwan Bunin
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Название: Leichter Atem

Автор: Iwan Bunin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783038209737

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      ›Mein Gott, dafür gibt es keinen Namen!‹

      Und dann noch:

      ›Wo sind die Blumen, die du mir gegeben hast? Küß mich – ein letztes Mal.‹

      Sie selbst richtete den Lauf an ihre Schläfe. Ich wollte abdrücken, aber sie hielt mich auf:

      ›Nein, nicht so, laß es mich richtig machen. So ist es gut, mein Kind … Und nachher bekreuze mich und lege mir Blumen auf die Brust …‹

      Als ich schoß, bewegte sie leicht die Lippen. Ich schoß noch einmal …

      Sie lag ruhig da, und in ihrem erloschenen Blick war eine bittere Glückseligkeit. Ihre Haare waren gelöst, der Schildpattkamm lag am Boden. Schwankend stand ich auf, um meinem Leben ein Ende zu machen. Doch im Zimmer war es trotz der Jalousien hell, und in diesem Licht und in der plötzlich eingetretenen Stille sah ich deutlich ihr schon bleich gewordenes Gesicht … Da packte mich unvermittelt der Wahnsinn, ich stürzte zum Fenster, riß es auf, schlug die Läden auf, klappte die Rahmen zurück, begann zu schreien und in die Luft zu schießen … Den Rest kennen Sie …«

      Im Frühling vor etwa fünf Jahren, während einer Reise durch Algerien, besuchte der Verfasser dieser Zeilen Constantine. Heute denkt er oft zurück an diese regnerischen, kühlen und doch frühlingshaften Abende, die er im Leseraum eines alten, familiären französischen Hotels verbrachte. Auf schweren, verschnörkelten Etageren lagen dort zerlesene illustrierte Journale, in denen man verblichene Portraits von Madame Mareau aus verschiedenen Jahren finden konnte, darunter auch eines aus ihrer Mädchenzeit in Lausanne … Ihre Geschichte ist hier noch einmal erzählt, weil ich sie auf meine Weise erzählen mußte.

      Auf dem Friedhof, über einem frisch aufgeschütteten Lehmhügel, steht ein neues Kreuz aus Eiche, fest, schwer und glatt, eines, das schön anzusehen ist.

      Es ist April, aber die Tage sind grau: Die Grabmale des Friedhofs, eines weitläufigen, richtigen Kreisstadtfriedhofs, sind zwischen den kahlen Bäumen noch weithin zu sehen, und der kalte Wind klirrt in einem fort mit dem Porzellankranz am Fuße des Kreuzes.

      In das Kreuz eingelassen ist ein vergleichsweise großes, bronzenes Medaillon, und darin befindet sich das photographische Portrait einer adretten, reizenden Gymnasiastin mit freudestrahlenden, verblüffend lebendigen Augen.

      Das ist Olja Meschtscherskaja.

      Als kleines Mädchen hatte sie sich durch nichts hervorgetan in der lärmenden Menge brauner Kleidchen, die so dissonant und jung durch Korridore und Klassenzimmer hallte; was konnte man sagen über sie, abgesehen davon, daß sie zu den hübschen, reichen und glücklichen Mädchen zählte, daß sie begabt, aber mutwillig war und die Ermahnungen der Klassendame1 geflissentlich überhörte? Später erblühte sie, entwickelte sich nicht in Tagen, sondern in Stunden. Mit vierzehn Jahren zeichneten sich, bei zarter Taille und schlanken Beinen, bereits deutlich die Brüste und all jene Formen ab, deren Zauber noch kein menschliches Wort je auszudrücken vermochte; mit fünfzehn galt sie als Schönheit. Wie sorgfältig einige ihrer Freundinnen sich das Haar legten, wie reinlich sie waren, wie sehr sie darauf achteten, sich sittsam zu bewegen! Sie aber fürchtete nichts – weder Tintenflecke an den Fingern oder ein rot angelaufenes Gesicht noch zerzauste Haare oder ein entblößtes Knie, wenn sie beim Laufen stürzte. Ohne Zutun und Bemühen ihrerseits und gewissermaßen unmerklich fiel ihr all das zu, was sie in den letzten beiden Jahren unter all den Mädchen am Gymnasium so hervorhob: Eleganz, Anmut, Geschick und der heitere, aber hellwache Glanz ihrer Augen. Niemand tanzte wie Olja Meschtscherskaja, niemand lief Schlittschuh wie sie, niemand wurde auf dem Ball so eifrig umworben, und niemand war, warum auch immer, bei den unteren Klassen so beliebt wie sie. Unmerklich wuchs sie zu einer jungen Frau heran, unmerklich festigte sich ihr Ruf am Gymnasium, und schon gingen Gerüchte, sie sei leichtfertig, sie könne ohne Verehrer nicht leben, der Gymnasiast Schtschenschin sei bis zum Wahnsinn verliebt in sie und sie liebe ihn ebenfalls, sei aber so flatterhaft im Umgang mit ihm, daß er versucht habe, sich das Leben zu nehmen …

      In ihrem letzten Winter hatte Olja Meschtscherskaja vor Übermut nachgerade den Verstand verloren, wie man im Gymnasium erzählte. Der Winter war schneereich, sonnig und frostkalt, die Sonne versank früh, aber gleichbleibend schön und strahlend hinter dem hohen Fichtenhain im verschneiten Garten des Gymnasiums und versprach für den folgenden Tag erneut Frost und Sonne, Flanieren auf der Sobornaja-Straße, Schlittschuhlaufen im Stadtgarten, einen blaßroten Abend, Musik und jene in alle Richtungen gleitende Menge, in der Olja Meschtscherskaja die Anmutigste, Sorgloseste und Glücklichste schien. Eines Tages, in der großen Pause, als sie wie ein Wirbelwind durch die Aula stürmte und den Schülerinnen der ersten Klasse zu entkommen versuchte, die verzückt kreischend hinter ihr herliefen, wurde sie unverhofft zur Schulvorsteherin gerufen. Sie blieb abrupt stehen, tat einen einzigen tiefen Seufzer, ordnete mit raschem, geübtem Griff ihr Haar, zog die Zierecken ihrer Schürze zu den Schultern hin auseinander und lief mit blitzenden Augen nach oben. Die Vorsteherin, eine kleine, noch jugendliche, aber schon weißhaarige Frau, saß mit einer Strickarbeit in der Hand ruhig an ihrem Schreibtisch unter einem Portrait des Zaren.

      »Guten Tag, Mademoiselle Meschtscherskaja«, sagte sie auf französisch, ohne den Blick von ihrer Strickarbeit zu heben. »Ich sehe mich leider nicht zum ersten Mal veranlaßt, Sie herzurufen, um mit Ihnen über Ihr Benehmen zu sprechen.«

      »Ich höre Ihnen zu, Madame«, erwiderte die Meschtscherskaja und trat näher zum Tisch, wobei sie die Vorsteherin klar und wach, aber mit völlig ausdruckslosem Gesicht anblickte und so leicht und graziös knickste, wie nur sie es verstand.

      »Zuhören werden Sie mir schlecht, davon konnte ich mich zu meinem Leidwesen bereits überzeugen«, sagte die Vorsteherin, zupfte an ihrem Wollfaden, so daß das Knäuel über den lackierten Fußboden rollte, was die Meschtscherskaja neugierig beobachtete, und hob die Augen: »Ich werde mich nicht wiederholen, mich nicht in langen Reden ergehen«, sagte sie.

      Der Meschtscherskaja gefiel dieses bemerkenswert saubere, große Kabinett sehr gut, in dem der blanke Kachelofen an frostkalten Tagen wohlige Wärme verbreitete und die Maiglöckchen auf dem Schreibtisch einen frischen Duft verströmten. Sie blickte auf den jungen Zaren, der in voller Lebensgröße mitten in einem glanzvollen Saal gemalt war, auf den geraden Scheitel in dem milchweißen, akkurat in Wellen gelegten Haar der Vorsteherin und schwieg abwartend.

      »Sie sind kein kleines Mädchen mehr«, begann die Vorsteherin, die sich insgeheim schon ärgerte, vielsagend.

      »Ja, Madame«, erwiderte die Meschtscherskaja schlicht, fast heiter.

      »Aber auch noch keine Frau«, fuhr die Vorsteherin noch vielsagender fort, und ihr fahles Gesicht rötete sich leicht. »Zunächst einmal: Was soll diese Frisur? Das ist die Frisur einer erwachsenen Frau!«

      »Ich bin nicht schuld, Madame, daß ich schöne Haare habe«, erwiderte die Meschtscherskaja und berührte mit beiden Händen flüchtig ihren apart coiffierten Kopf.

      »Ach so ist das, Sie sind nicht schuld!« versetzte die Vorsteherin. »Sie sind nicht schuld an der Frisur, nicht schuld an diesen teuren Kämmen, nicht schuld, daß Sie Ihre Eltern mit Schuhen für zwanzig Rubel ruinieren! Aber ich sage Ihnen noch einmal, Sie lassen vollkommen außer Acht, daß Sie vorläufig nur eine Gymnasiastin sind …«

      Da fiel die Meschtscherskaja, ohne ihre Bescheidenheit und Gelassenheit zu verlieren, ihr unvermittelt ins Wort und sagte höflich:

      »Verzeihen Sie, Madame, Sie irren sich: Ich bin eine Frau. Und wissen Sie, wer schuld daran ist? Papas Freund und СКАЧАТЬ