Kafir. Amed Sherwan
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kafir - Amed Sherwan страница 6

Название: Kafir

Автор: Amed Sherwan

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783960542391

isbn:

СКАЧАТЬ war aber noch dort gefangen. Er verrichtete seinen Alltag nur noch mechanisch und starrte dabei vor sich hin. Und wenn man in seine Augen sah, war da nichts mehr, nur Leere.

      Südlich der Autonomieregion tobte der Krieg noch, und Besuche bei meiner Tante in Kerkûk waren immer bedrohlich. Ständig jagte sich da jemand mit dem Auto in die Luft. Wir durften ihr Haus nie allein verlassen und waren alle froh, wenn wir wieder heil zu Hause angekommen waren.

      Unsere Bekannten in der Stadt Helebçe besuchten wir Kinder nie, weil meine Mutter Angst hatte, wir könnten uns dort noch vergiften an dem Giftgas, mit dem das irakische Regime zehn Jahre vor meiner Geburt fast die ganze Stadt ausgelöscht hatte.

      Die Freundin meiner Mutter war eine Hałâtin, eine Vertriebene. Eines Abends saß sie bei uns zu Hause auf dem Boden und erzählte vom Giftgasangriff. »Plötzlich roch die Luft ganz süß und lecker wie frischer Apfel, und kurz danach fing das Sterben an.«

      Tausende waren innerhalb weniger Minuten tot. Und in dem Chaos des Massensterbens wurden viele Familien auseinandergerissen. Die Säuglinge, die danach von den Rettungskräften alleine aufgefunden wurden, wurden adoptiert und lebten nun in neuen Familien. Ich konnte danach nie wieder einen Apfel essen, ohne an die Kinder von Helebçe zu denken.

       DER KREISLAUF

      Ich gehe mit meinem Freund, dem Trainer, am Hafen entlang, die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres fallen auf unsere Gesichter. Die ganze Stadt ist draußen. Eltern mit Kinderwagen, Pärchen eng umschlungen, Kinder auf dem Spielplatz. Vor den Restaurants sitzen Grüppchen bei Bier und Fischgerichten. Wir setzen uns auf eine Holztreppe am Wasser und teilen uns meinen letzten Tabak. Es ist Monatsende und wir sind beide pleite.

      Der Trainer ist groß und muskulös. Er hat schwarze Haare, einen Zopf und ein strahlendes Lachen. Ich reiche ihm nur knapp über die Schulter und watschele ungelenk neben ihm her, während er sich geschmeidig durch die Straßen bewegt und dabei aussieht wie ein Krieger. Doch der Schein trügt, während ich aufbrausend und kämpferisch bin, ist er besonnen und sanftmütig.

      Er ist behütet in Syrien aufgewachsen und liebt seine Familie. Er hat sein Abitur gemacht und sorglos in die Zukunft geschaut. In seiner Freizeit hat er Fußball gespielt oder im Betrieb seiner Familie mitgearbeitet. Und er hat keine Sekunde gedacht, jemals in ein anderes Land flüchten zu müssen.

      »Bei Sonne ist es schön hier«, er schaut über das Meer. »Doch leider scheint sie fast nie.«

      »Ja, ich verstehe inzwischen auch, warum hier alle hektisch rausrennen, sobald die Sonne scheint«, sage ich. »Sie könnten den einzigen Sommertag des Jahres verpassen.«

      »Ich vermisse Syrien. Vor dem Krieg war es so ein schönes Land. Ich habe mir über Politik wenig Gedanken gemacht und einfach nur mein Leben genossen und das gute Wetter. Wobei ich erst jetzt weiß, wie schön es war.«

      Der Trainer lernt fleißig Deutsch. »Danke, bitte, Entschuldigung«, perfektioniert er das Auftreten, das von einem guten Flüchtling erwartet wird, engagiert sich ehrenamtlich als Trainer und nimmt jede Arbeitsgelegenheit wahr.

      »Ich werde mich vielleicht bald bei einem Sicherheitsdienst bewerben«, sagt er.

      »Vielleicht solltest du lieber eine Ausbildung machen«, schlage ich vor. »Möglicherweise könntest du sogar studieren.«

      »Aber das dauert doch ewig«, wehrt er ab und drückt die Zigarette aus. Er will unabhängig sein und sich selbst versorgen. »Mein Deutsch ist auch gar nicht gut genug.«

      »Kennst du den Übersetzer, der in Syrien Deutsch studiert hat?«, frage ich ihn.

      »Ja, der spricht fließend Deutsch und hat einen guten Job«, sagt der Trainer. »Der hat Glück im Unglück gehabt. Ich muss halt sehen, was ich ohne Ausbildung kriegen kann«, sagt er.

      »Nicht, dass du Deutschland noch Geld wegnimmst, so wie ich«, grinse ich provokativ. Er guckt mich fragend an.

      »Naja, einen Großteil meines Geldes vom Jobcenter kriegt mein Vermieter, dann kriegt mein Stromanbieter noch was und den Rest gebe ich fast komplett für Lebensmittel aus. Ich war im Kinderheim, in der Schule, im Krankenhaus, beim Arzt und in Gewahrsam der Grenzschutzpolizei. Das hat Steuergeld gekostet, das in diese Jobs geflossen ist. Ich habe bisher nur ein Mal so viel Geld gespart, dass ich ein kleines Paket mit Geschenken an meine Geschwister schicken konnte. Sonst habe ich persönlich noch nie Geld außer Landes gebracht. Ich kenne mich damit nicht wirklich aus. Aber glaubst du, dass ich Deutschland ärmer mache?«

      »Aber willst du ewig vom Geld des Staates abhängig sein?«

      »Nein, natürlich nicht«, sage ich. »Wer will das schon? Ich finde das genauso furchtbar wie du.«

      »Ich bin aber auch sehr dankbar, dass ich hier nie verhungern muss.«

      »Natürlich, das bin ich auch«. Ich drehe uns aus den allerletzten Tabakkrümeln zwei Zigaretten. »Mein Kühlschrank ist allerdings gerade genauso leer wie mein Tabakbeutel.«

       DIE KATZE

      Wenn meine Geschwister und ich mit den Kindern aus der Nachbarschaft spielten, fragte ich mich oft, ob ich genau wie die Kinder aus Helebçe in einer fremden Familie lebte. Vielleicht hatte meine Mutter die Geschichte von meiner Geburt nur erfunden, um mich zu beruhigen?

      In den Spielen stand meistens ein Kind in der Mitte, musste zwischen den Beinen der anderen Kinder entweichen, einen Ball rauswerfen oder blitzschnell versuchen, einen Platz zu erwischen, wenn die anderen Kinder ihre Positionen tauschten. Meine Geschwister waren dabei schnell und geschickt. Ich stand immer in der Mitte. Und wenn es mir endlich gelang, aus der Mitte rauszukommen, war es für das neue Kind in der Mitte ein Leichtes, meinen Platz zurückzuergattern.

      Wenn mich die Spiele traurig machten, kletterte ich aufs Dach und guckte über meine Welt. Und wenn ich mich unbeobachtet fühlte, kletterte ich von unserem Dach auf das Nachbardach und von da auf das nächste. Mitunter musste ich nur eine Umrandung übersteigen, manchmal über einen schmalen Spalt springen. Gelegentlich traf ich Katzen, die genau wie ich über die Dächer turnten. Die meisten liefen ängstlich weg, aber eine kleine schwarze Katze ließ sich manchmal streicheln. Dann setzte ich mich neben sie, spürte ihren weichen Körper und das leise Schnurren unter der Kehle. Ich schaute zu, wie ihr die Augen vor Wohlbehagen zu kleinen Schlitzen zufielen.

      Nach den Streifzügen kletterte ich über unser Dach zurück in den Innenhof und guckte, ob mein Vater schon zurück war. Oft saß er vor dem Fernseher und guckte Fußball. Manchmal setzte ich mich eine Weile dazu, obwohl es mich nicht interessierte.

      »Kann ich dein Mobiltelefon leihen, Baba?«, fragte ich ihn dann. Sein Telefon war von Nokia, hellblau, ganz klein und modern. Wenn man es anschaltete, lief ein kleiner Film mit zwei Händen, die sich einen Handschlag gaben. Ich spielte immer ein Spiel, bei dem man eine kleine Schlange mit den Tasten über den kleinen Bildschirm bewegen konnte. Wenn ich davon genug hatte, lief ich raus zu meiner Mutter, um zu sehen, ob ich helfen konnte.

      Oft saß sie zusammen mit den Nachbarinnen im Innenhof und backte Nansaji, weiches Fladenbrot. Schräg rechts vor sich hatte sie dann die Teigkugeln unter einem Tuch und direkt vor sich eine kleine Holzplatte, auf der sie jeweils eine Kugel mit einer dünnen Holzrolle zu einem Fladen rollte, den sie danach auf einem großen Kissen glatt zog, bis er ganz dünn war. Dann drehte sie das Kissen mit Schwung СКАЧАТЬ