Название: C'est la vie
Автор: Peter Turrini
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783902998163
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unter den Augen der Mutter
an den Frühstückstisch.
Obwohl ich die Aufmerksamkeit
meiner Mutter
durch Schulgeschichten auf mich lenkte
spürte ich
daß ich dem
nichts entgegenzusetzen hatte.
20.
In der Nebenbaracke
wohnte eine dicke Frau
mit der niemand redete.
Der Franzose würde bei ihr
ein- und ausgehen.
An einem Hochsommertag
stand sie an ihrem Fenster
fächelte sich Luft zu
lächelte mich an
und machte mir ein Zeichen.
Obwohl es verboten war
ging ich zu ihr.
Ich durfte mit ihr
mutterspielen
und meinen Kopf
auf ihren Busen legen.
Durch ihre halbgeöffnete Bluse
sah ich ihre Busenhügel
und den Spalt dazwischen
durch den der Schweiß rann.
Ich versuchte ihn
aufzulecken
doch sie schob mich
sanft von sich.
Die Sucht danach
ist geblieben.
21.
Ich versteckte mich am Dachboden und schrieb und schrieb: Dialoge, Gedichte, Theaterstücke. Das meiste hat meine Mutter weggeschmissen. Alle Theaterstücke spielten in Gefängnissen: Die Gefangenen hatten Körper, die völlig starr und unbeweglich waren. Diese Körper hatten Schubläden, in die man alles mögliche hineinlegen konnte. Jeder konnte diese Schubladen öffnen, etwas hineinlegen oder wieder herausnehmen, nach Belieben. Manchmal schrien die Gefangenen, dann war es wieder still.
22.
Auf der höchsten Erhebung
des Dorfes
wohnte ein Komponist
in einem großen weißen Haus.
Seiner Familie
gehörten fast alle
Wiesen und Felder
rund um das Dorf.
Die Bauern munkelten
er sei verrückt
und pervers
aber sie wagten nicht
es öffentlich zu sagen.
Er bestellte
einen himmelblauen Sarg
bei meinem Vater
besorgte uns Buben
Ministrantengewänder
und ließ sich von uns
durch das Dorf tragen.
Er betrank sich im Sarg
segnete die herbeieilenden Bauern
und vergab ihnen
ihre Sünden.
Sie grüßten und verneigten sich
fragten nach der Verlängerung
ihrer Pachtverträge
und hätten ihn am liebsten
erschlagen.
23.
Mit vierzehn Jahren habe ich den Komponisten und seine Frau kennengelernt. Ich habe ihm meine literarischen Frühwerke gezeigt, die ziemlich lächerlich waren, aber er hat sich völlig ernsthaft mit mir auseinandergesetzt. Ich verdanke diesem Menschen sehr viel. In seinem gastfreundlichen Haus lebten damals zwei Schriftsteller. Der eine war gerade mit seinen Dialektgedichten bekannt geworden, er war besonders freundlich zu mir. Der andere, der völlig mittellos und unbekannt war, sagte ständig, er würde früher oder später den Nobelpreis bekommen. Er hat mich nie beim Namen genannt, er sprach von mir immer nur als »der dicke Tischlerbub«. Viele Jahre später, kurz vor seinem Tode, habe ich erfahren, daß er ein paarmal in der Werkstatt meines Vaters gewesen ist und ihm bei der Arbeit zugeschaut hat. Mein Vater hatte ein absolutes Gefühl für Form. Er konnte einen Kreis mit der freien Hand zeichnen, und man konnte diesen Kreis mit dem Zirkel nachmessen.
24.
Der dicke Tischlerbub soll herkommen. Verstehst du mich, oder kannst du mich nur stumpfsinnig anstarren? Du bist nicht ungefährlich. Bei jedem kann ich sagen, wie sein Leben weitergeht, aber bei dir weiß ich einfach nicht, was in deinem fetten Kopf vor sich geht und welche Dinge sich in diesem faßartigen Körper angesammelt haben. Fleisch und Blut kann es nicht sein, sonst würdest du deinem Alter entsprechend in einer Toilette hocken und onanieren. Dein Blick stört mich. Ich glaube, die einzige Möglichkeit, dich loszuwerden, ist ein Unfall. Du müßtest von einer Straßenwalze überfahren werden. Dein fetter Körper und dein ebenso fetter Kopf müßten zerplatzen. Geh weg von hier. Geh mir aus den Augen. Geh auf die Bundesstraße. Laß dich von einer Walze überfahren. Sofort!