Название: Die Kunst des Aufstands
Автор: Wilfried Metsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
Серия: kritik & utopie
isbn: 9783854767053
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Die von der Paulskirchenversammlung in Frankfurt am Main, dem ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlament, am 28. März 1849 »beschlossene und im Reichsgesetzblatt publizierte Verfassung war nach dem Verständnis der Nationalversammlung geltendes Recht«.160 Nachdem aber der preußische König diese demokratische Verfassung am 28. April 1849 definitiv abgelehnt hatte, erstarkte die Konterrevolution. Dagegen entstand nun in der Revolution »eine dritte Aufstandsbewegung, welche die Verwirklichung der Reichsverfassung zum Programm hatte und deshalb unter dem Namen ›Reichsverfassungskampagne‹ in die Geschichtsschreibung eingegangen ist.«161 Militante bewaffnete Volksbewegungen zum Schutz der Nationalversammlung und der Reichsverfassung entwickelten sich in mehreren Städten sowie einigen Regionen Deutschlands. Über den »Erfolg der Bewegung in einem Einzelstaat« entschied jedoch »die Haltung des Militärs«.162 In Dresden (Sachsen) konnten sich die Revolutionäre »auf 3000 wirkliche Kämpfer« und zuziehende »6000« stützen. Diese »waren jedoch zu zwei Dritteln unbewaffnet und kaum einsatzfähig.«163 Loyale preußische Armeeeinheiten marschierten am 5. Mai in Dresden ein, am 9. Mai war der Kampf entschieden. »Mit modernen Zündnadelgewehren und reichlich Artillerie ausgerüstet, waren die preußischen Truppen weit überlegen; 31 gefallenen Soldaten und 97 verwundeten standen rd. 250 Gefallene und 400 Verwundete unter den Revolutionären gegenüber.«164 Die anschließende brutale Verfolgung der Aufständischen mit 6000 Anklagen und 727 längere Zuchthausstrafen (laut Siemann) hatte eine abschreckende Wirkung auf das übrige Deutschland.
Engels beteiligte sich in der Stadt Elberfeld und Umgebung, seiner Heimatregion, am Kampf gegen das preußische Militär. Am 11. und 12. Mai 1849 übergab ihm die militärische Kommission des Sicherheitsausschusses der Stadt das Kommando über die Barrikadenbefestigungen und die Artillerie mit einigen Kanonen.165 Energisch versuchte er, Waffen und Munition zu besorgen, um die Elberfelder Arbeiter zu bewaffnen. Als er reaktionären Bürgerwehren durch Überrumpelung die Waffen abnahm und an verlässliche Arbeiter verteilte, überspannte er die Geduld der Elberfelder Bourgeoisie, die eine »rote Republik«166 fürchtete. Am 14. 5. verlangte sie seine Entfernung aus der Stadt. Engels floh nach Köln, wo gegen ihn wegen Teilnahme am Aufstand am 17. 5. ein Haftbefehl erlassen wurde.
Am 19. Mai verbot die Regierung die »Neue Rheinische Zeitung«, deren Chefredakteur Karl Marx war. Die letzte Kölner Ausgabe der Zeitung erschien ganz in rote Farbe getaucht. Die Wege von Marx und Engels trennten sich in den nächsten Wochen. Während Marx im Ausland den Widerstand organisierte, schloss sich Engels dem bewaffneten badisch-pfälzischen Aufstand zum Schutze der demokratischen Reichsverfassung der Paulskirche an. Dort gab es günstige Bedingungen für den antipreußischen Widerstand, da in Baden die große Mehrheit der einfachen Soldaten der badischen Armee revoltierte und eine bürgerliche revolutionäre Regierung nach der Flucht des Fürstenhauses gebildet wurde.
In der Pfalz und in Baden kämpfte unter dem Kommando von August von Willich, einem Mitglied des Bundes der Kommunisten, eine Freischärlerbrigade von rund 600 bis 800 Mann, der sich Engels am 13. 6. 1849 anschloss.
»Die Gelegenheit, ein Stück Kriegsschule durchzumachen«,167 wollte er nicht versäumen. Die Kräfte der Gegenrevolution schickten zwei preußische Armeekorps unter dem Kommando des Prinzen von Preußen, dem späteren Kaiser Wilhelm I., sowie ein Bundeskorps zur Unterdrückung der badischen Insurrektion. Sie »rückten in Gewaltmärschen gegen die aufständischen Gebiete vor. Die 36 000 Mann starke konterrevolutionäre Armee fegte in einer Woche aus der Pfalz die 8000−9000 Aufständischen hinaus, die sie besetzt hielten (…) Die revolutionäre Armee setzte sich jetzt nur aus den bewaffneten Kräften Badens zusammen, die etwa 10 000 Mann Linientruppen und 12 000 Freiwillige zählten. Nach sechs Wochen Kampf auf offenem Felde waren die Reste der aufständischen Armee gezwungen, sich in die Schweiz zurückzuziehen … Im Verlauf dieses letzten Feldzugs war Engels Adjutant des Obersten Willich, des Kommandeurs eines Korps aus kommunistischen Freischärlern. Er nahm an drei Gefechten und an der letzten Entscheidungsschlacht an der Murg teil«, schreibt Engels 1885 über sich.168
In der Schrift »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«169 schildert Engels im Kapitel »Für Republik zu sterben!« auf 35 Seiten seine Kampferfahrungen als asymmetrischer Kämpfer gegen die preußische Militärübermacht.
Die mangelnde Kampfstärke der badischen Revolutionsarmee (zu wenig Soldaten/kaum Offiziere/Waffen/Munitionsmangel/schlechte Organisation/Disziplin usw.) und die nicht nur zögerliche, sondern bremsende Politik der bürgerlichen Revolutionsregierung führten zur Niederlage des Aufstandes. Zwar kämpften die Freischaren erbittert gegen die preußische Militärmacht, doch am 12. Juli 1849 mussten die restlichen revolutionären Truppen – unter ihnen Engels – ins Schweizer Exil ausweichen. Die letzte revolutionäre Festung Rastatt (etwa 6000 Revolutionskämpfer) kapitulierte am 23. Juli. Danach etablierte Preußen bis 1851 eine brutale Besatzungsherrschaft in Baden mit standrechtlichen Erschießungen (mehrere Dutzend), unzähligen Zuchthausstrafen, Verhaftungen und Geldstrafen, sodass es zu einer massiven Auswanderung von Badenern (insbesondere nach Amerika) kam.
Diese Kampferlebnisse und das brutale Vorgehen des preußischen Militärs (»Kartätschenprinz«) prägten Engels. In den nächsten beiden Jahren verfasste er zwei Arbeiten – »Die deutsche Reichsverfassungskampagne« und »Revolution und Konterrevolution« –, um die Schwächen und Unzulänglichkeiten der Revolution nicht nur in politischer, sondern gerade auch in militärischer Hinsicht aufzuzeigen. Schonungslos kritisiert er die Fehler und Schwächen der badischen Revolutionsarmee. Um diese zukünftig zu vermeiden, beginnt Engels Ende 1850 mit dem systematischen Studium des Militärwesens. So schreibt Marx 1859 an Lassalle:
»Engels hat, seit er sich an der badischen Kampagne beteiligt, aus den Militaribus sein Fachstudium gemacht.«170
Zeitlebens wird er umfangreiche und systematische kriegs- und militärwissenschaftliche Studien betreiben, weshalb ihn seine Freunde und Kampfgefährten scherzhaft »General« rufen und er sich selbst ironisch, aber treffend »als Repräsentant des großen Generalstabs der Partei«171 versteht.
So schreibt er 1851 an Joseph Weydemeyer: »Ich habe (…) angefangen Militaria zu ochsen«, und »wenn man das Ding nicht systematisch betreibt, so kommt man zu nichts Ordentlichem«. So will er »theoretisch einigermaßen mitsprechen«, da die »enorme Wichtigkeit, die die partie militaire bei der nächsten Bewegung bekommen muß«,172 militärisch kompetente Arbeiterführer erfordert. Engels las nicht nur Klassiker der Militärtheorie wie Jomini und Clausewitz, sondern in den nächsten Jahrzehnten mehrere hundert Bücher dieses Genres.173
Engels’ Anspruch war immer, »damit wenigstens einer vom ›Zivil‹ ihnen [den Offizieren] theoretisch die Stange halten kann«, wie er 1851 in einem Brief an Karl Marx schreibt.174 Noch 1893, zwei Jahre vor seinem Tod, sieht er seine Lebensaufgabe darin, »zu beweisen, daß wir beim Militär auch etwas gelernt haben.«175
Die neuen Kampfkonditionen im späten 19. Jahrhundert
Marx und Engels analysieren nach dem Ende des Revolutionszyklus 1848/49 eingehend die Entwicklungen im Kriegswesen. So studieren sie intensiv den Krimkrieg, den amerikanischen Bürgerkrieg, die deutschen Einigungskriege und natürlich den Aufstand der Pariser Kommune 1871.
Sie kritisieren in militärischer Hinsicht den Aufstand der Pariser Kommune von 1871, weil man nicht nach den Kampfregeln, der Kunst des Aufstandes handelte. Aufgrund der Niederlage der französischen Armee im deutsch-französischen Krieg ergaben sich zunächst hervorragende Bedingungen für einen proletarischen Aufstand:
»Durch die Belagerung war Paris die Armee losgeworden, die durch eine hauptsächlich aus Pariser Arbeitern СКАЧАТЬ