Die Kunst des Aufstands. Wilfried Metsch
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Читать онлайн книгу Die Kunst des Aufstands - Wilfried Metsch страница 10

СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      Im April 1871 schreibt Marx an Wilhelm Liebknecht: »Es scheint, daß die Pariser unterliegen (…), weil sie törichterweise den Bürgerkrieg nicht eröffnen wollten (…), um nicht den Schein usurpatorischer Gewalt auf sich haften zu lassen.« Sie »verloren kostbare Momente« und gaben den Gegnern »die Zeit zur Konzentration der Kräfte«.178 Der Verlust der Initiative, also Defensive statt Offensive, provoziert die Niederlage. Es blieb den Kommunarden nur die passive Verteidigung der Stadt mittels eines Barrikadensystems. Schon die Revolution von 1848/49 hatte die Schwachpunkte der defensiven Barrikadenkampfweise offengelegt. Wütend antwortet Engels Carlo Terzaghi im Januar 1872: »Es war der Mangel an Zentralisation und Autorität, der die Pariser Kommune das Leben gekostet hat. Machen Sie mit der Autorität usw. nach dem Siege, was Sie wollen, doch für den Kampf müssen wir alle unsere Kräfte zusammenballen und sie auf denselben Angriffspunkt konzentrieren.«179 Den Phrasen-Revolutionären schreibt er ins Stammbuch: »ich kenne nichts Autoritäreres als eine Revolution, und wenn man seinen Willen den anderen mit Bomben und mit Gewehrkugeln aufzwingt, wie in jeder Revolution, dann scheint mir, daß man Autorität ausübt.«180

      Da sich die Kommune auf die Verteidigung der Stadt beschränkte, gab sie der Reaktion Zeit und Gelegenheit, aus ganz Frankreich Truppen, Gendarmen und Polizeisergeanten zusammenzuziehen. Bismarck übergab sogar »gefangene französische Truppen«,181 um der französischen Bourgeoisie die Rückeroberung von Paris zu ermöglichen. Die Überlegenheit dieser professionellen Streitmacht über die Arbeitermiliz war offenkundig. Eine Woche lang leisteten die Nationalgarde und das Volk von Paris in den Arbeiterdistrikten erbitterten Widerstand auf den Barrikaden.

      Die militärische Niederwerfung der Pariser Kommune durch die überlegenen Kräfte der Gegenrevolution endete in einem schrecklichen Blutbad: Nach Beatrice Heuser wurden über 10 000 Communards während der Kämpfe getötet und weitere 25 000−30 000 später exekutiert.182 Tausende wurden deportiert oder ins Gefängnis geworfen.

      Diese Erfahrung der blutigen Unterdrückung der Pariser Kommune schwebt immer im Hintergrund, wenn Marx und Engels zukünftig warnen vor a) unvorbereiteten und zu frühen Aufstandsversuchen der Arbeiterbewegung, aber auch b) vor opportunistischen/reformistischen Strömungen in der Arbeiterbewegung, die den bestehenden Staat nicht als Klassenstaat, sondern als neutrale Institution ansehen, der bruchlos für die soziale Emanzipation benutzbar sei.

      Vor dem Hintergrund der Pariser Kommune konkretisiert Marx seine Staatstheorie und definiert näher, was er unter dem berühmt-berüchtigten Begriff »Diktatur des Proletariats« versteht. In seiner Schrift »Der Bürgerkrieg in Frankreich«183 fasst er die Erfahrungen aus dem Kampf der Pariser Kommune in politischer Hinsicht zusammen:184

      Die »zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen – stehende Armee, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand« ist eine »Maschine der Klassenherrschaft«,185 die »wie eine Boa constrictor«186 die Gesellschaft und die Arbeiterklasse umklammert. Daraus zieht er die zentrale Lehre:

      »Die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschine in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen«,187 sondern man muss »diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft (…) zerbrechen«.188 Es gilt, den »Staat, diese zentralisierte und organisierte Regierungsgewalt zu zerbrechen, der sich anmaßt, Herr statt Diener der Gesellschaft zu sein.«189

      Nach Marx und Engels ist die Pariser Kommune für die Arbeiterklasse »die politische Form ihrer sozialen Emanzipation« und damit »die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Volksmassen selbst«,190 »eine Rücknahme des eignen gesellschaftlichen Lebens des Volkes durch das Volk und für das Volk«.191

      Die Kommune ist ausgeweitete direkte Demokratie, denn in ihr sind die »öffentlichen Diener (…) gewählt, verantwortlich und absetzbar.«192 Die »Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zugleich.«193 Direktwahl öffentlicher Funktionen (»Beamte«), imperatives Mandat und Rätesystem – das ist nach Marx und Engels die politische Form der Diktatur des Proletariats. In militärischer Hinsicht werden das »stehende Heer und die Regierungspolizei, die Werkzeuge der materiellen Unterdrückung«194 beseitigt und durch die Arbeiter-Nationalgarde (Miliz) ersetzt.

      Trotz der Niederlage war für Marx und Engels »das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune (…) der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft«195 und Leitlinie ihres Staatsverständnisses, das die Scheidelinie zwischen revolutionärer und reformistischer Politik markiert. Die späteren ideologisch-theoretischen Auseinandersetzungen über die richtige Strategie der Arbeiterbewegung und das Staatsverständnis werden sich genau an dieser Frage entzünden.

      Engels’ berühmte Einleitung (1895) zu den »Klassenkämpfen in Frankreich«

      Knapp ein halbes Jahr vor seinem Tod am 5. August 1895 gibt Engels erneut die »Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850« von Karl Marx heraus und schreibt dazu eine berühmt gewordene Einleitung. In dieser bilanziert er die Erfahrungen der Arbeiterbewegung aus den letzten vierzig Jahren, insbesondere hinsichtlich gewaltförmiger Aufstände. Die Herausgabe dieser Schrift ist kein Zufall. Engels weist damit auf die Notwendigkeit eines konsequenten Klassenkampfes hin, da in der Sozialdemokratie vermehrt reformistische Tendenzen auftreten.

      Zunächst analysiert er den Entwicklungsprozess der Arbeiterbewegung von frühproletarischen Sektenanfängen zu nunmehr mächtigen Parteien mit Millionen von Wählern. Die Zeit der »Minoritätsrevolutionen«196 – von 1789 in Frankreich bis 1871 in Paris – sei vorbei. Damals war die »ökonomische Entwicklung (…) noch bei weitem nicht reif (…) für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion.«197 Erst »die ›industrielle Revolution‹ hat Klarheit geschaffen (…) in den Klassenverhältnissen (…) und eine wirkliche Bourgeoisie und ein wirkliches großindustrielles Proletariat erzeugt und in den Vordergrund der gesellschaftlichen Entwicklung gedrängt.«198

      1895 konstatiert Engels eine »große internationale Armee von Sozialisten, unaufhaltsam vorschreitend, täglich wachsend an Zahl, Organisation, Disziplin, Einsicht und Siegesgewißheit.«199 Das 1866 in Deutschland eingeführte allgemeine Stimmrecht fungiert als Gradmesser des Fortschritts der Arbeiterbewegung und entpuppt sich als »eine der schärfsten Waffen«.200 Die »Ironie der Weltgeschichte«: »Wir, die ›Revolutionäre‹, die ›Umstürzler‹, wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz.«201

      Doch was geschieht, wenn »wir nicht so wahnsinnig sind, ihnen zu Gefallen uns in den Straßenkampf treiben zu lassen«? Den Herrschenden bleibt dann »zuletzt nichts anderes, als selbst diese ihnen so fatale Gesetzlichkeit zu durchbrechen.«202 Just 1895 droht die preußische Monarchie mit dem »Bruch der Verfassung, Diktatur, Rückkehr zum Absolutismus«.203 Damit beschwor die herrschende Klasse die Gefahr eines blutigen Bürgerkrieges herauf.

      Welche Antworten gibt Engels in der »Einleitung« auf diese mögliche Herausforderung, wie sieht eine mögliche revolutionäre Taktik aus?

      Zunächst stellt Engels fest:

      Es »hatten sich die Bedingungen des Kampfes wesentlich verändert. Die Rebellion alten Stils, der Straßenkampf mit Barrikaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab, war bedeutend veraltet.«204

      Aufmerksam registriert er die Veränderungen im asymmetrischen Bürgerkrieg:

      a)Auf Seiten des Militärs sind die Armeen um mehr als das »Vierfache gewachsen«. »Die Bewaffnung dieser enorm verstärkten Truppenzahl ist unvergleichlich СКАЧАТЬ