Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Ingram
Жанр: Контркультура
isbn: 9789176377444
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Schlegels Begriff des Absolutums ist mit dem Vorstehenden Fichte gegenüber hinreichend bestimmt. An sich selbst würde man dieses Absolute am richtigsten als das Reflexionsmedium61 bezeichnen. Mit diesem Terminus ist das Ganze von Schlegels theoretischer Philosophie zusammenfassend zu bezeichnen und wird unter diesem Ausdruck nicht selten im folgenden noch zu zitieren sein. Es ist daher notwendig, ihn noch genauer zu erklären und zu sichern. Die Reflexion konstituiert das Absolute, und sie konstituiert es als ein Medium. Auf den stetigen gleichförmigen Zusammenhang im Absolutum oder im System, die man beide als den Zusammenhang des Wirklichen nicht in seiner Substanz (welche überall dieselbe ist), sondern in den Graden seiner deutlichen Entfaltung zu interpretieren hat (s. o. p.31 f.), hat Schlegel in seinen Darlegungen den größten Wert gelegt, wenn er auch den Ausdruck Medium selbst nicht hat. So sagt er: »der Wille … ist das Vermögen des Ichs, sich selbst62 zu vermehren oder zu vermindern bis zu einem absoluten Maximum oder Minimum; da dies frei ist, so hat es keine Grenzen«.63 Ein sehr deutliches Bild gibt er für dies Verhältnis: »Das in sich Zurückgehen, das Ich des Ichs ist das Potenzieren; das aus sich Herausgehen64 das Wurzelausziehen der Mathematik«.65 Ganz analog hat Novalis diese Bewegung im Reflexionsmedium beschrieben. In so enger Beziehung scheint sie ihm zu dem Wesen der Romantik zu stehen, daß er sie mit dem Ausdruck Romantisieren belegt. »Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind … Romantische Philosophie … Wechselerhöhung und Erniedrigung«.66 Um sich über die mediale Natur des Absoluten, das er im Sinne hat, vollkommen deutlich auszusprechen, nimmt Schlegel einen Vergleich vom Lichte her: »der Gedanke des Ichs … ist … als das innere Licht aller Gedanken zu betrachten. Alle Gedanken sind nur gebrochene Farbenbilder dieses inneren Lichtes. In jedem Gedanken ist das Ich das verborgene Licht, in jedem findet man sich; man denkt immer nur sich oder das Ich, freilich nicht das gemeine, abgeleitete Sich, … sondern in seiner höheren Bedeutung«.67 Mit Begeisterung hat Novalis denselben Gedanken von der Medialität des Absoluten in seinen Schriften geradezu verkündigt. Er hat für die Einheit von Reflexion und Medialität den vorzüglichen Ausdruck »Selbstdurchdringung« geprägt und einen solchen Zustand des Geistes immer wieder vorausgesagt und gefordert. »Die Möglichkeit aller Philosophie … daß sich die Intelligenz durch Selbstberührung eine selbstgesetzmäßige Bewegung, d. i. eine eigene Form der Tätigkeit gibt«,68 also die Reflexion, ist zugleich »der Anfang einer wahrhaften Selbstdurchdringung des Geistes, die nie endigt«.69 Das »Chaos, das sich selbst durchdrang«,70 nennt er die künftige Welt. »Das erste Genie, das sich selbst durchdrang, fand hier den typischen Keim einer unermeßlichen Welt. Es machte eine Entdeckung, die die merkwürdigste in der Weltgeschichte sein mußte, denn es beginnt damit eine ganz neue Epoche der Menschheit – und auf dieser Stufe wird erst wahre Geschichte aller Art möglich, denn der Weg, der bisher zurückgelegt wurde, macht nun ein eignes, durchaus erklärbares Ganze aus.«71
Die dargestellten theoretischen Grundanschauungen im System der Windischmannschen Vorlesungen differieren in einem entscheidenden Punkte von denjenigen Schlegels in der Athenäumszeit. Mit anderen Worten: während im Ganzen System und Methode dieses späteren Schlegelschen Denkens erkenntnistheoretische Motive seines früheren Denkens erstmalig niederlegen und aufbewahren, weichen sie in einer Beziehung doch durchaus von dem früheren Gedankenkreise ab. Die Möglichkeit dieser Abweichung bei der größten Übereinstimmung im übrigen liegt in einer bestimmten Eigentümlichkeit im Reflexionssystem selbst. Bei Fichte findet sie sich folgendermaßen charakterisiert: »Das Ich geht zurück in sich selbst, wird behauptet. Ist es denn also nicht schon vor diesem Zurückgehen und unabhängig von demselben da für sich; muß es nicht für sich schon da sein, um sich zum Ziele eines Handelns machen zu können …? … keineswegs. Erst durch diesen Akt … durch ein Handeln auf ein Handeln selbst, welchem bestimmten Handeln kein Handeln überhaupt vorhergeht, wird das Ich ursprünglich für sich selbst. Nur für den Philosophen ist es vorher da als Faktum, weil dieser die ganze Erfahrung72 schon gemacht hat«73. Windelband formuliert in seiner Darstellung von Fichtes Philosophie diesen Gedanken besonders klar: »Wenn man sonst die Tätigkeiten als etwas ansieht, was ein Sein voraussetzt, so ist für Fichte alles Sein nur ein Produkt des ursprünglichen Tuns. Die Funktion ohne ein funktionierendes Sein ist für ihn das metaphysische Urprinzip … Der denkende Geist ›ist‹ nicht erst und kommt dann hinterher durch irgendwelche Veranlassungen zum Selbstbewußtsein, sondern er kommt erst durch den unableitbaren, unerklärlichen Akt des Selbstbewußtseins zustande«.74 Wenn Friedrich Schlegel im »Gespräch über die Poesie« von 1800 das Gleiche meint75 mit den Worten, der Idealismus sei »gleichsam wie aus nichts entstanden«,76 so darf dieser Gedankengang hier mit Rücksicht auf die ganze vorangehende Darstellung in dem Satz zusammengefaßt werden, daß die Reflexion logisch das erste sei. Denn weil sie die Form des Denkens ist, ist dieses logisch ohne sie, obgleich sie auf dasselbe reflektiert, nicht möglich. Erst mit der Reflexion entspringt das Denken, auf das reflektiert wird. Darum kann man sagen, jede einfache Reflexion entspringe absolut aus einem Indifferenzpunkt. Welche metaphysische Qualität man diesem Indifferenzpunkt der Reflexion zuschreiben möchte, steht frei. An dieser Stelle weichen die beiden fraglichen Gedankenkreise Schlegels von einander ab. Die Windischmannschen Vorlesungen bestimmen diesen Mittelpunkt, das Absolute, im Anschluß an Fichte als Ich. In den Schlegelschen Schriften aus der Athenäumszeit spielt dieser Begriff eine geringe Rolle, eine geringere nicht nur als bei Fichte, sondern auch als bei Novalis. Im frühromantischen Sinne ist der Mittelpunkt der Reflexion die Kunst, nicht das Ich. Die Grundbestimmungen jenes Systems, das Schlegel in den Vorlesungen als System des absoluten Ich vorlegt, haben in seinen früheren Gedankengängen ihren Gegenstand an der Kunst. Im also verändert gedachten Absolutum wirkt eine andere Reflexion. Die romantische Kunstanschauung beruht darauf, daß im Denken des Denkens kein Ich-Bewußtsein verstanden wird. Die Ich-freie Reflexion ist eine Reflexion im Absolutum der Kunst. Der Untersuchung dieses Absolutums nach den hier dargelegten Prinzipien ist der zweite Teil gewidmet. Er behandelt die Kunstkritik als die Reflexion im Medium der Kunst. – Das Schema der Reflexion ist oben nicht an dem Begriffe des Ich, sondern an dem des Denkens klargelegt worden, weil der erste in der hier interessierenden Epoche Schlegels keine Rolle spielt. Das Denken des Denkens dagegen, als das Urschema aller Reflexion, liegt auch Schlegels Konzeption der Kritik zugrunde. Dieses hat schon Fichte in entscheidender Weise als Form bestimmt. Er selbst interpretierte diese Form als Ich, als die Urzelle des intellektualen Begriffs der Welt, Friedrich Schlegel, der Romantiker, hat sie um 1800 als ästhetische Form interpretiert, als die Urzelle der Idee der Kunst.
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~III. System und Begriff~
Gegenüber dem Versuch, im Begriff des Reflexionsmediums dem Denken der Frühromantiker ein methodisches Gradnetz unterzulegen, in das sich ihre Problemlösungen wie ihre systematischen Positionen überhaupt einzeichnen ließen, werden sich zwei Fragen erheben. Die erste – sie ist in skeptischem oder gar verneinend-rhetorischem Ton in der Literatur immer wieder gestellt worden – lautet, ob denn die Romantiker überhaupt systematisch gedacht oder in ihrem Denken systematische Interessen verfolgt hätten. Die zweite, warum diese systematischen Grundgedanken, ihr Dasein zugegeben, in so auffallend dunkler, ja mystifizierender Rede sich niedergelegt fänden. Angesichts der ersten Frage gilt es zunächst, genau zu bestimmen, was hier bewiesen werden soll. Dabei darf man es sich nicht so leicht machen, mit Friedrich СКАЧАТЬ