Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Das gelingt ihr zumal bei den Frauen. Zu diesem Zweck hat sie einen gewaltigen publizistischen Apparat in Bewegung gesetzt; sie hat die Karriere und das Liebesleben der Stars in ihren Dienst gestellt, sie hat Plebiscite veranstaltet, sie hat Schönheitskonkurrenzen einberufen. Alles das, um das ursprüngliche und berechtigte Interesse der Massen am Film – ein Interesse der Selbst- und somit auch der Klassenerkenntnis – auf korruptivem Weg zu verfälschen. Es gilt daher vom Filmkapital im besondern, was vom Faschismus im allgemeinen gilt, daß er das unabweisliche Bedürfnis nach neuen sozialen Verfassungen insgeheim im Interesse einer besitzenden Minderheit ausbeutet. Die Enteignung des Filmkapitals ist schon darum eine dringende Forderung des Proletariats.

      Jede ausgebildete Kunstform steht im Schnittpunkt dreier Entwicklungslinien. Es arbeitet nämlich einmal die Technik auf eine bestimmte Kunstform hin. Ehe der Film auftrat, gab es Photobüchlein, deren Bilder durch einen Daumendruck schnell am Beschauer vorüberhuschend einen Boxkampf oder ein Tennismatch vorführten; es gab die Automaten in den Passagen, deren Bilderablauf durch eine Drehung der Kurbel in Bewegung erhalten wurde. Es arbeiten zweitens die überkommenen Kunstformen in gewissen Stadien ihrer Entwicklung angestrengt auf Effekte hin, welche späterhin zwanglos von der neuen Kunstform erzielt werden. Ehe der Film zur Geltung gekommen war, suchten die Dadaisten durch ihre Veranstaltungen ins Publikum eine Bewegung zu bringen, die ein Chaplin dann auf natürlichere Weise zu Wege brachte. Es arbeiten drittens, oft unscheinbare, gesellschaftliche Veränderungen auf eine Veränderung der Rezeption hin, die erst der neuen Kunstform zugute kommt. Ehe der Film sein Publikum zu bilden begonnen hatte, wurden im Kaiserpanorama bereits Bilder (die begonnen hatten, sich in Bewegung zu setzen) von einem versammelten Publikum rezipiert. Nun gab es ein solches zwar auch in Gemäldesalons – aber ohne daß deren Inneneinrichtung – wie z. B. die der Theater – imstande wäre, es zu organisieren. Im Kaiserpanorama dagegen sind Sitzplätze vorgesehen, deren Verteilung vor den verschiedenen Stereoskopen eine Mehrzahl von Bildbetrachtern verspricht. Leere kann in einer Gemäldegalerie angenehm sein, im Kaiserpanorama schon nicht mehr und im Kino um keinen Preis. Und doch hat im Kaiserpanorama noch jeder – wie zumeist in Gemäldegalerien – sein eignes Bild. So kommt die Dialektik der Sache gerade darin zum Ausdruck, daß hier, kurz ehe die Bildbetrachtung im Film ihren Umschlag erfährt und zu einer kollektiven wird, das Prinzip der Bildbetrachtung durch einen Einzelnen noch einmal mit einer Schärfe heraustritt wie einst in der Betrachtung des Götterbilds durch den Priester im Allerheiligsten.

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      Eine Film- und besonders eine Tonfilmaufnahme bietet einen Anblick wie er vorher nie und nirgends denkbar gewesen ist. Sie stellt einen Vorgang dar, dem kein einziger Standpunkt mehr zuzuordnen ist, von dem aus die, zu dem Spielvorgang als solchem nicht zugehörige Aufnahmeapparatur, die Beleuchtungsmaschinerie, der Assistentenstab usw. nicht in das Blickfeld des Beschauers fiele. (Es sei denn, die Einstellung seiner Pupille falle mit der des Aufnahmeapparates zusammen, der oft den Darstellern geradezu auf den Leib rückt.) Dieser Umstand, er mehr als jeder andere, macht die etwa bestehenden Ähnlichkeiten zwischen einer Szene im Filmatelier und auf der Bühne zu oberflächlichen und belanglosen. Das Theater kennt prinzipiell die Stelle, von der aus das Geschehen nicht ohne weiteres als illusionär zu durchschauen ist. Der Aufnahmeszene im Film gegenüber gibt es diese Stelle nicht. Seine illusionäre Natur ist eine Natur zweiter Ordnung, sie ist ein Ergebnis des Schnitts. Das heißt: im Filmatelier ist die Apparatur derart tief in die Wirklichkeit eingedrungen, daß deren reiner, vom Fremdkörper der Apparatur freier Aspekt das Ergebnis einer eigenen technischen Prozedur, nämlich der Aufnahme durch die besonders eingestellte Kamera und ihrer Montierung mit andern Aufnahmen von der gleichen Art ist. Der apparatfreie Aspekt der Realität ist hier zu ihrem künstlichsten geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zu der blauen Blume im Land der Technik.

      Der gleiche Sachverhalt, der sich so gegen den des Theaters abhebt, läßt sich noch sehr viel aufschlußreicher mit dem konfrontieren, der in der Malerei vorliegt. Hier haben wir die Frage zu stellen: wie verhält sich der Operateur zum Maler? Zu ihrer Beantwortung sei eine Hilfskonstruktion gestattet, die sich auf den Begriff des Operateurs stützt, welcher von der Chirurgie her geläufig ist. Der Chirurg stellt den einen Pol einer Ordnung dar, an deren anderm der Magier steht. Die Haltung des Magiers, der einen Kranken durch Auflegen der Hand heilt, ist verschieden von der des Chirurgen, der einen Eingriff in den Kranken vornimmt. Der Magier erhält die natürliche Distanz zwischen sich und dem Behandelten aufrecht; genauer gesagt: er vermindert sie – kraft seiner aufgelegten Hand – nur wenig und steigert sie – kraft seiner Autorität – sehr. Der Chirurg verfährt umgekehrt: er vermindert die Distanz zu dem Behandelten sehr – indem er in dessen Inneres dringt – und er vermehrt sie nur wenig – durch die Behutsamkeit, mit der seine Hand sich unter den Organen bewegt. Mit einem Wort gesagt: zum Unterschied vom Magier (der auch noch im praktischen Arzte steckt) verzichtet der Chirurg im entscheidenden Augenblick darauf, seinem Kranken von Mensch zu Mensch sich gegenüberzustellen; er dringt vielmehr operativ in ihn ein. – Magier und Chirurg verhalten sich wie Maler und Kameramann. Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natürliche Distanz zum Gegebenen, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheit ein. Die Bilder, die beide davontragen, sind ungeheuer verschieden. Das des Malers ist ein totales, das des Kameramanns ein vielfältig zerstückeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetze zusammenfinden. So ist die filmische Darstellung der Realität für den heutigen Menschen darum die unvergleichlich bedeutungsvollere, weil sie den apparatfreien Aspekt des Wirklichen, den er von der Kunst zu fordern berechtigt ist, gerade auf Grund ihrer intensivsten Durchdringung mit der Apparatur gewährt.

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      Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst. Aus dem rückständigsten, z. B. einem Picasso gegenüber, schlägt es in das fortschrittlichste z. B. bei Chaplin um. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten dadurch gekennzeichnet, daß die Lust am Schauen und am Erleben in ihm eine unmittelbare und innige Verbindung mit der Haltung des fachmännischen Beurteilers eingeht. Solche Verbindung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr nämlich die gesellschaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fallen – wie das sehr deutlich angesichts der Malerei sich erweist – die kritische und die genießende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kritisiert man mit Widerwillen. Nicht so im Kino. Und zwar ist der entscheidende Umstand dabei: nirgends so sehr wie im Kino erweisen sich die Reaktionen des Einzelnen, deren Summe die massive Reaktion des Publikums ausmacht, von vornherein so sehr durch ihre unmittelbar bevorstehende Massierung bedingt und indem sie sich kundgeben, kontrollieren sie sich. Von neuem ist der Vergleich mit der Malerei dienlich. Das Gemälde hatte stets ausgezeichneten Anspruch auf die Betrachtung durch einen oder durch wenige. Die simultane Betrachtung von Gemälden durch ein großes Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert beginnt, ist ein frühes Symptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photographie allein sondern relativ unabhängig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelöst wurde.

      Es liegt eben so, daß die Malerei nicht imstande ist, den Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption zu bilden, wie es von jeher für die Architektur, wie es einst für das Epos der Fall war, wie es heute für den Film zutrifft. Und so wenig aus diesem Umstand von Hause aus ein Schluß auf die gesellschaftliche Rolle der Malerei zu ziehen ist, so fällt er doch in dem Augenblick als eine schwere gesellschaftliche Beeinträchtigung ins Gewicht, wo die Malerei durch besondere Umstände und gewissermaßen wider ihre Natur mit den Massen unmittelbar konfrontiert wird. In den Kirchen und Klöstern des Mittelalters oder an den Höfen des 16ten, 17ten und des 18ten Jahrhunderts fand die Kollektivrezeption von Gemälden nicht simultan sondern vielfach vermittelt statt. Wenn das anders geworden ist, so kommt darin der besondere Konflikt zum Ausdruck, in welchen die Malerei durch ihre technische Reproduzierbarkeit im Laufe des vorigen Jahrhunderts verstrickt wurde. Aber ob man auch unternahm, sie in Galerien und in Salons mit den Massen des Publikums СКАЧАТЬ