Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter Benjamin страница 121

Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9789176377444

isbn:

СКАЧАТЬ dieser Erkenntnis gibt. Sicher ist weiter, daß die geschichtliche Tragweite dieses Funktionswandels der Kunst, die im Film am weitesten vorgeschritten erscheint, deren Konfrontation mit der Urzeit der Kunst nicht nur methodisch sondern auch materiell erlaubt. Diese hält, im Dienst der Magie, gewisse Notierungen fest, die der Praxis dienen. Und zwar wahrscheinlich ebensowohl als Ausübung magischer Prozeduren, wie auch als Anweisungen zu solchen, wie auch endlich als Gegenstände einer kontemplativen Betrachtung, der man magische Wirkungen zuschrieb. Gegenstände solcher Notierungen boten der Mensch und seine Umwelt dar, und abgebildet wurden sie nach den Erfordernissen einer Gesellschaft, deren Technik nur erst völlig verschmolzen mit dem Ritual existierte. Diese Gesellschaft stellte den Gegenpol zu der heutigen dar, deren Technik die emanzipierteste ist. Diese emanzipierte Technik steht nun aber der heutigen Gesellschaft als eine zweite Natur gegenüber und zwar, wie Wirtschaftskrisen und Kriege beweisen, als eine nicht minder elementare wie die der Urgesellschaft gegebene es war. Dieser zweiten Natur gegenüber ist der Mensch, der sie zwar erfand aber schon längst nicht mehr meistert, genau so auf einen Lehrgang angewiesen wie einst vor der ersten. Und wieder stellt sich in dessen Dienst die Kunst. Insbesondere aber tut das der Film. Der Film dient, den Menschen in denjenigen neuen Apperzeptionen und Reaktionen zu üben, die der Umgang mit einer Apparatur bedingt, deren Rolle in seinem Leben fast täglich zunimmt. Die ungeheure technische Apparatur unserer Zeit zum Gegenstande der menschlichen Innervation zu machen – das ist die geschichtliche Aufgabe, in deren Dienst der Film seinen wahren Sinn hat.

      —————

      In der Photographie beginnt der Ausstellungswert den Kultwert auf der ganzen Linie zurückzudrängen. Dieser weicht aber nicht widerstandslos. Er bezieht vielmehr eine letzte Verschanzung, und die ist das Menschenantlitz. Keineswegs zufällig steht das Porträt im Mittelpunkt der frühen Photographie. Im Kult der Erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen Lieben hat der Kultwert des Bildes die letzte Zuflucht. Im flüchtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt aus den frühen Photographien die Aura zum letzten Mal. Das ist es, was deren schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schönheit ausmacht. Wo aber der Mensch aus der Photographie sich zurückzieht, da tritt nun erstmals der Ausstellungswert dem Kultwert überlegen entgegen. Diesem Vorgang seine Stätte gegeben zu haben ist die unvergleichliche Bedeutung von Atget, der die pariser Straßen um 1900 in menschenleeren Aspekten festhielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, daß er sie aufnahm wie einen Tatort. Auch der Tatort ist menschenleer. Seine Aufnahme geschieht der Indizien wegen. Die photographischen Aufnahmen beginnen bei Atget Beweisstücke im historischen Prozeß zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus. Sie fordern schon eine Rezeption in bestimmtem Sinne. Ihnen ist die freischwebende Kontemplation nicht mehr angemessen. Sie beunruhigen den Betrachter; er fühlt: zu ihnen muß er einen bestimmten Weg suchen. Wegweiser beginnen ihm gleichzeitig die illustrierten Zeitungen aufzustellen. Richtige oder falsche – gleichviel. In ihnen ist die Beschriftung zum ersten Mal obligat geworden. Und es ist klar, daß sie einen ganz andern Charakter hat als der Titel eines Gemäldes. Die Direktiven, die der Betrachter von Bildern in der illustrierten Zeitschrift durch die Beschriftung erhält, werden bald darauf noch präziser und gebieterischer im Film, wo die Auffassung von jedem einzelnen Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint.

      —————

      Die Griechen kannten nur zwei technische Reproduktionsverfahren von Kunstwerken: den Guß und die Prägung. Münzen und Terrakotten waren die einzigen Kunstwerke, die von ihnen massenweise hergestellt werden konnten. Alle übrigen waren einmalig und technisch nicht zu reproduzieren. Daher mußten sie für die Ewigkeit gemacht sein. Die Griechen waren durch den Stand ihrer Technik darauf angewiesen, in der Kunst Ewigkeitswerte zu produzieren. Diesem Umstand verdanken sie ihren ausgezeichneten Ort in der Kunstgeschichte, an dem Spätere ihren eignen Standpunkt bestimmen können. Es ist nun kein Zweifel, daß der unsrige sich an dem den Griechen entgegengesetzten Pol befindet. Niemals vorher sind Kunstwerke in so hohem Maße und so weitem Umfang technisch reproduzierbar gewesen wie heute. Im Film haben wir eine Form, deren Kunstcharakter zum ersten Mal durchgehend von ihrer Reproduzierbarkeit determiniert wird. Diese Form in allen Bestimmungen mit der griechischen Kunst zu konfrontieren, wäre müßig. Wohl aber ist das in einem exakten Punkt möglich. Mit dem Film nämlich ist für das Kunstwerk eine Qualität ausschlaggebend geworden, die ihm die Griechen wohl zuletzt zugebilligt oder doch als seine unwesentlichste angesehen haben würden. Das ist seine Verbesserungsfähigkeit. Der fertige Film ist nichts weniger als eine Schöpfung aus einem Wurf, er ist aus sehr vielen einzelnen Bildern und Bildfolgen montiert, zwischen denen der Monteur die Wahl hat – Bildern, die im übrigen von vornherein in der Folge der Aufnahmen bis zum endgültigen Gelingen beliebig zu verbessern gewesen waren. Um seine »Opinion publique«, die 3000 m lang ist, herzustellen, hat Chaplin 125 000 m drehen lassen. Der Film ist also das verbesserungsfähigste Kunstwerk. Und daß diese seine Verbesserungsfähigkeit mit seinem radikalen Verzicht auf den Ewigkeitswert zusammenhängt, geht aus der Gegenprobe hervor. Für die Griechen, deren Kunst auf die Produktion von Ewigkeitswerten angewiesen war, stand an der Spitze der Künste die am allerwenigsten verbesserungsfähige Kunst, nämlich die Plastik, deren Schöpfungen buchstäblich aus einem Stück sind. Der Niedergang der Plastik im Zeitalter des montierbaren Kunstwerks ist selbstverständlich.

      —————

      Der Streit, der im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts zwischen der Malerei und der Photographie um den Kunstwert ihrer Produkte durchgefochten wurde, wirkt heute abwegig und verworren. Das spricht aber nicht gegen seine Bedeutung, könnte sie vielmehr eher unterstreichen. In der Tat war dieser Streit der Ausdruck einer weltgeschichtlichen Umwälzung, die als solche keinem der beiden Partner bewußt war. Indem das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament löste, erlosch der Schein ihrer Autonomie auf immer. Die Funktionsveränderung der Kunst aber, die damit gegeben war, fiel aus dem Blickfeld des Jahrhunderts heraus.

      Und auch dem zwanzigsten, das die Entwicklung des Films erlebte, entgingen sie lange Zeit. Hatte man vordem vielen vergeblichen Scharfsinn an die Entscheidung der Frage, ob die Photographie eine Kunst sei, gewandt, ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob durch die Erfindung der Photographie sich die Kunst selber verändert habe – so übernahmen die Filmtheoretiker bald die entsprechende voreilige Fragestellung. Aber die Schwierigkeiten, welche die Photographie der überkommenen Ästhetik bereitet hatte, waren ein Kinderspiel gegen die, mit denen der Film sie erwartete. Daher die blinde Gewaltsamkeit, die die Anfänge der Filmtheorie kennzeichnet. So vergleicht Abel Gance z. B. den Film mit den Hieroglyphen: »Nous voilà, par un prodigieux retour en arrière, revenu sur le plan d’expression des Égyptiens … Le langage des’ images n’est pas encore au point parce que nos yeux ne sont pas encore faits pour elles. Il n’y a pas encore assez de respect, de culte, pour ce qu’elles expriment.« Oder Séverin-Mars schreibt: »Quel art eut un rêve … plus poétique à la fois et plus réel. Considéré ainsi, le cinématographe deviendrait un moyen d’expression tout à fait exceptionnel, et dans son atmosphère ne devraient se mouvoir que des personnages de la pensée la plus supérieure aux moments les plus parfaits et les plus mystérieux de leur course.« (L’art cinématographique II Paris 1927 p 101 et p 100). Es ist sehr lehrreich zu sehen, wie das Bestreben, den Film der »Kunst« zuzuschlagen, diese Theoretiker nötigt, mit einer Rücksichtslosigkeit ohne gleichen kultische Elemente in ihn hineinzuinterpretieren. Und doch waren zu der Zeit, da diese Spekulationen veröffentlicht wurden, schon Werke vorhanden wie »L’opinion publique« oder »La ruée vers l’or«. Abel Gance spricht von einer sakralen Schrift und Séverin-Mars spricht von ihm wie man von Bildern des Fra Angelico sprechen könnte. Kennzeichnend ist, daß auch heute noch besonders reaktionäre Autoren die Bedeutung des Films in der gleichen Richtung suchen und wenn nicht geradezu im Sakralen so doch im Übernatürlichen. Anläßlich der Reinhardtschen СКАЧАТЬ