Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ auswählt und … an der richtigen Stelle einsetzt.« (Rudolf Arnheim: Film als Kunst Berlin 1932 p 176/177) Damit hängt sehr eng etwas anderes zusammen. Der Schauspieler, der auf der Bühne agiert, versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehr oft versagt. Seine Leistung ist durchaus keine einheitliche, sondern aus vielen einzelnen zusammengestellt, deren Hier und Jetzt von ganz zufälligen Rücksichten auf Ateliermiete, Verfügbarkeit von Partnern, Dekor usw. bestimmt wird. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Gerüst gedreht werden, die sich anschließende Flucht aber unter Umständen Wochen nachher bei einer Außenaufnahme. – Im übrigen sind weit paradoxere Montagen möglich. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tür, vom Darsteller gefordert werden, daß er zusammenschrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunschgemäß ausgefallen. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vorwissen in seinem Rücken einen Schuß abfeuern zu lassen. Das Erschrecken des Darstellers in diesem Moment kann aufgenommen und dann in den Film montiert werden. Nichts könnte drastischer zeigen, wie die Kunst aus dem Reiche des »schönen Scheins« entwichen ist, dessen Klima so lange als das einzige galt, in dem sie gedeihen könne.

      Das Verfahren des Regisseurs, der, um das Erschrecken der dargestellten Person aufzunehmen, experimentell ein wirkliches Erschrecken ihres Darstellers hervorruft, ist durchaus filmgerecht. Bei der Filmaufnahme kann kein Darsteller beanspruchen, den Zusammenhang, in dem seine eigene Leistung steht, zu überblicken. Die Anforderung, eine Leistung ohne unmittelbaren erlebnismäßigen Zusammenhang mit einer – nicht spielmäßig geregelten – Situation zu liefern, ist allen Tests gemeinsam, den sportlichen so gut wie den filmischen. Dies brachte Asta Nielsen gelegentlich auf sehr eindrucksvolle Weise zur Geltung. Es war in einer Pause im Atelier. Man drehte einen Film nach dem »Idioten« von Dostojewski. Asta Nielsen, die die Aglaia spielte, stand im Gespräche mit einem Freund. Eine der Hauptszenen stand bevor: Aglaia bemerkt von weitem den Fürsten Myschkin, der mit Nastassja Philippowna vorübergeht, und die Tränen treten ihr in die Augen. Asta Nielsen, die während der Unterhaltung alle Komplimente ihres Freundes abgelehnt hatte, sah auf einmal die Darstellerin der Nastassja, ihr Frühstück verzehrend, im Hintergrunde des Ateliers auf und ab gehen. »Sehen Sie, das verstehe ich unter Filmdarstellung« sagte Asta Nielsen zu ihrem Besucher, während sie ihn mit Augen ansah, welche sich beim Anblick der Partnerin, wie die kommende Szene es vorschrieb, mit Tränen gefüllt hatten, ohne daß eine Miene in ihrem Gesicht sich verzogen hätte.

      Die technischen Anforderungen an den Filmdarsteller sind andere als die an den Bühnenschauspieler. Fast nie sind Filmstars hervorragende Schauspieler im Sinn der Bühne. Vielmehr sind es meist Schauspieler zweiten oder dritten Ranges gewesen, denen der Film eine große Laufbahn eröffnet hat. Und wiederum sind es selten die besten Filmdarsteller gewesen, die den Versuch, vom Film zur Bühne zu gelangen, gemacht haben – einen Versuch, der zudem meist gescheitert ist. (Diese Umstände hängen mit der besondern Natur des Films zusammen, dem es viel weniger darauf ankommt, daß der Darsteller dem Publikum einen andern als daß er der Apparatur sich selbst darstellt.) Der typische Filmschauspieler spielt nur sich selbst. Er steht im Gegensätze zum Typ des Mimen. Dieser Umstand beschränkt seine Verwertbarkeit auf der Bühne, erweitert sie aber außerordentlich im Film. Denn der Filmstar spricht sein Publikum vor allem dadurch an, daß er jedem einzelnen aus ihm die Möglichkeit zu eröffnen scheint, »zum Film zu gehen«. Die Vorstellung, sich durch die Apparatur reproduzieren zu lassen, übt auf den heutigen Menschen eine ungeheure Anziehungskraft aus. Gewiß schwärmte auch früher der Backfisch davon zur Bühne zu gehen. Der Traum zu filmen hat aber davor zweierlei entscheidend voraus. Er ist erstens erfüllbarer, weil der Konsum von Darstellern durch den Film (da hier jeder Darsteller nur sich selbst spielt) ein viel größerer als durch die Bühne ist. Er ist zweitens kühner, weil die Vorstellung, die eigene Erscheinung, die eigene Stimme massenweise verbreitet zu sehen, den Glanz des großen Schauspielers zum Verblassen bringt.

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      Die Veränderung der Ausstellungsweise durch die Reproduktionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die Krise der Demokratien läßt sich als eine Krise der Ausstellungsbedingungen des politischen Menschen verstehen. Die Demokratien stellen den Politiker unmittelbar, in eigner Person, und zwar vor Repräsentanten, aus. Das Parlament ist sein Publikum. Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden während der Rede unbegrenzt vielen vernehmbar und kurz darauf unbegrenzt vielen sichtbar zu machen, tritt die Anstellung des politischen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veröden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film verändern nicht nur die Funktion des professionellen Darstellers sondern genau so die Funktion dessen, der sich selber vor ihnen darstellt, wie der politische Mensch das tut. Die Richtung dieser Veränderung ist, unbeschadet ihrer verschiednen Spezialaufgaben, die gleiche beim Filmdarsteller und beim Politiker. Sie erstrebt die Ausstellbarkeit prüfbarer, ja überschaubarer Leistungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen wie der Sport sie zuerst unter gewissen natürlichen Bedingungen gefordert hatte. Das bedingt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen.

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      Es hängt mit der Technik des Films genau wie mit der des Sports zusammen, daß jeder den Leistungen, die sie ausstellen, als halber Fachmann beiwohnt. Man braucht nur einmal eine Gruppe von Zeitungsjungen, auf ihre Fahrräder gestützt, die Ergebnisse eines Radrennens diskutieren gehört zu haben, um diesem Zusammenhang auf die Spur zu kommen. Für den Film beweist die Wochenschau klipp und klar, daß jeder einzelne in die Lage kommen kann, gefilmt zu werden. Aber mit dieser Möglichkeit ist es nicht getan. Jeder heutige Mensch hat einen A n s p r u c h, gefilmt zu werden. Diesen Anspruch verdeutlicht am besten ein Blick auf die geschichtliche Situation des heutigen Schrifttums. Jahrhundertelang lagen im Schrifttum die Dinge so, daß einer geringen Zahl von Schreibenden eine vieltausendfache Zahl von Lesenden gegenüberstand. Darin trat gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Wandel ein. Mit der ungeheuren Ausdehnung der Presse, die immer neue politische, religiöse, wissenschaftliche, berufliche, lokale Organe der Leserschaft zur Verfügung stellte, gerieten immer größere Teile der Leserschaft – zunächst fallweise – unter die Schreibenden. Es begann damit, daß die Tagespresse ihr ihren »Briefkasten« eröffnete und es steht heute so, daß es kaum einen im Arbeitsprozeß stehenden Europäer gibt, der nicht grundsätzlich irgendwo Gelegenheit zur Publikation einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden könnte. Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren. Sie wird eine funktionelle, von Fall zu Fall so oder anders verlaufende. Der Lesende ist jederzeit bereit ein Schreibender zu werden. Als Sachverständiger, der er wohl oder übel in einem äußerst spezialisierten Arbeitsprozeß werden mußte – sei es auch nur als Sachverständiger einer geringen Verrichtung – gewinnt er einen Zugang zur Autorschaft. Die Arbeit selbst kommt zu Wort. Und ihre Darstellung im Wort macht einen Teil des Könnens, das zu ihrer Ausübung erforderlich ist. Die literarische Befugnis wird nicht mehr in der spezialisierten sondern in der polytechnischen Ausbildung begründet, und so Gemeingut.

      Alles das läßt sich ohne weiteres auf den Film übertragen, wo Verschiebungen, die im Schrifttum Jahrhunderte in Anspruch genommen haben, sich im Laufe eines Jahrzehnts vollzogen. Denn in der Praxis des Films – vor allem der russischen – ist diese Verschiebung stellenweise schon realisiert. Ein Teil der im russischen Film begegnenden Darsteller sind nicht Darsteller in unserm Sinn sondern Leute, die sich – und zwar in erster Linie in ihrem Arbeitsprozeß – darstellen. In Westeuropa verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films dem legitimen Anspruch, den der heutige Mensch auf sein Reproduziertwerden hat, die Berücksichtigung. Im übrigen verbietet sie auch die Arbeitslosigkeit, welche große Massen von der Produktion ausschließt, in deren Arbeitsgang sie in erster Linie ihren Anspruch auf Reproduktion hätten. Unter diesen Umständen hat СКАЧАТЬ