Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ für ihre ma­te­ri­el­len Sor­gen füg­sam zur An­hö­rung der christ­li­chen Heils­leh­re macht. »Ich be­stel­le also Wie­sing zu heut Abend her­auf –, Du woll­test doch wohl selbst mit ihr spre­chen, lie­be Cou­si­ne?« frag­te er die Re­gie­rungs­rä­tin.

      »Ja – wenn das Mäd­chen Lust hät­te, in die Stadt zu zie­hen, möch­te ich es schon ein­mal mit ihr ver­su­chen«, ant­wor­te­te die­se.

      Aga­the saß bei Tisch vor ei­nem Tel­ler, der mit gel­ben Schlüs­sel­blu­men um­kränzt war, zwi­schen Va­ter und Mut­ter. Der Kon­fir­man­din ge­gen­über hat­te Pas­tor Kand­ler sei­nen Platz, ne­ben ihm leuch­te­te On­kel Gu­stavs ro­si­ges Ge­sicht aus den blon­den Bart­ko­te­let­ten über der wei­ßen vor­ge­steck­ten Ser­vi­et­te. Die Pas­to­rin war von dem Re­gie­rungs­rat ge­führt wor­den. Un­ten, zwi­schen der Ju­gend, saß eine alte Nä­he­rin, die stets das Os­ter­fest im Pfarr­hau­se zu­zu­brin­gen pfleg­te. Nach je­dem Gang zog sie ihr Mes­ser zwi­schen den Lip­pen hin­durch, um ja nichts von den präch­ti­gen Spei­sen und der nahr­haf­ten Sau­ce zu ver­lie­ren. Wal­ter fühl­te sich in sei­ner Abi­tu­ri­en­ten­wür­de sehr ge­kränkt, weil man ihm die zahn­lücki­ge Per­son als Nach­ba­rin ge­ge­ben hat­te, und es war ihm fa­tal, dass er nicht recht wuss­te, ob es schick­li­cher von ihm sein wür­de, sie an­zu­re­den oder ihre Ge­gen­wart ein­fach zu über­se­hen. Die Re­gie­rungs­rä­tin warf gleich­falls un­be­hag­li­che Bli­cke auf die alte Flicke­rin, denn sie dach­te, ihr Mann möch­te viel­leicht an de­ren Ge­gen­wart An­stoß neh­men.

      Aber auf den Re­gie­rungs­rat Heid­ling wirk­te sie nur sanft be­lus­ti­gend. Er war ja ganz im Kla­ren dar­über, dass er sich un­ter nai­ven, welt­frem­den Leut­chen be­fand. Mit wohl­über­leg­ter Ab­sicht hat­te er sei­ne Toch­ter nicht im Krei­se ih­rer Freun­din­nen bei dem Mo­de­pre­di­ger in M. kon­fir­mie­ren las­sen, son­dern bei dem be­schei­de­nen Vet­ter sei­ner Gat­tin. Er schätz­te eine po­si­ti­ve Fröm­mig­keit an dem weib­li­chen Ge­schlecht. Für den deut­schen Mann die Pf­licht – für die deut­sche Frau der Glau­be und die Treue.

      Dass der Fonds von Re­li­gi­on, den er Aga­the durch die Er­zie­hung mit­ge­ge­ben, nie­mals auf­dring­lich in den Vor­der­grund des Le­bens tre­ten durf­te, ver­stand sich bei sei­ner Stel­lung und in den Ver­hält­nis­sen der Stadt eben­so von selbst, wie das Tisch­ge­bet und die alte Flicke­rin hier in dem pom­mer­schen Dörf­chen an ih­rem Platz sein moch­ten. »Lui­se« von Voß fiel ihm ein – in jun­gen Jah­ren hat­te er das Buch ein­mal durch­ge­blät­tert. Es tat sei­ner Toch­ter gut, die­se Idyl­le ge­nos­sen zu ha­ben. Aga­the war frisch und stark und ro­sig ge­wor­den in dem stil­len Win­ter, bei den Schlit­ten­fahr­ten über die be­schnei­ten Fel­der, in der kla­ren, her­ben Land­luft. Sein Kind hat­te ihm nicht ge­fal­len, als es aus der Pen­si­on kam. Et­was Zer­fah­re­nes, Eit­les, Schwatz­haf­tes war ihm da­mals an ihr auf­ge­fal­len. Nur das nicht! Er stell­te idea­le For­de­run­gen an die Frau.

      Un­will­kür­lich form­ten sich ihm die Ge­dan­ken zu red­ne­ri­schen Phra­sen. Er schwieg bei den Ge­sprächs­ver­su­chen der Pas­to­rin und spiel­te mit der ge­pfleg­ten Hand an dem graublon­den Bart.

      In­zwi­schen schlug schon Pas­tor Kand­ler an sein Glas. Die Re­gie­rungs­rä­tin zog aus Vor­sicht, so­bald er sich räus­per­te, ihr feuch­tes Bat­tist­tuch – es war ihr Braut­ta­schen­tuch – her­vor. Und das war gut, denn un­auf­hör­lich tropf­ten ihr bei sei­nen Wor­ten die Trä­nen über das ver­blüh­te mat­te Ant­litz, des­sen Wan­gen eine flie­gen­de, ner­vö­se Röte an­ge­nom­men hat­ten. Er sprach so er­grei­fend! Er rühr­te ihr an so vie­les!

      Die Grund­la­ge der Rede bil­de­te das Bi­bel­wort: Al­les ist euer – ihr aber seid Chris­ti. Pas­tor Kand­ler such­te in sei­ner Fan­ta­sie nach ei­ner na­tur­wah­ren Be­schrei­bung der Freu­den, die das Le­ben ei­ner mo­der­nen jun­gen Dame der fei­nen bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ihr zu bie­ten habe: in der Fa­mi­lie, im Ver­kehr mit Al­ters­ge­nos­sin­nen, durch Na­tur, Kunst­be­stre­bun­gen und Lek­tü­re. Er deu­te­te auch an­de­re Glück­se­lig­kei­ten an, die ih­rer war­te­ten – denn es war nun ein­mal der Lauf der Welt – hold, un­schul­dig, wie sie da vor ihm saß, das lie­be Kind, in ih­rem schwarz­sei­de­nen Kleid­chen, die brau­nen Au­gen aus dem wei­chen, hel­len Ge­sicht­chen an­däch­tig auf ihn ge­rich­tet – wie bald konn­te sie Braut sein. Al­les ist Euer!

      Aber wie soll die­ses »Al­les« be­nutzt wer­den? Be­sit­zet, als be­sä­ßet Ihr nicht – ge­nie­ßet, als ge­nös­set Ihr nicht! – Auch der Tanz – auch das Thea­ter sind er­laubt, aber der Tanz ge­sch­ehe in Ehren, das Ver­gnü­gen an der Kunst be­schrän­ke sich auf die rei­ne, gott­ge­weih­te Kunst. Bil­dung ist nicht zu ver­ach­ten – doch hüte Dich, mein Kind, vor der mo­der­nen Wis­sen­schaft, die zu Zwei­feln, zum Un­glau­ben führt. Zü­g­le Dei­ne Fan­ta­sie, dass sie Dir nicht un­züch­ti­ge Bil­der vor­spie­ge­le! Lie­be – Lie­be – Lie­be sei Dein gan­zes Le­ben – aber die Lie­be blei­be frei von Selbst­sucht, be­geh­re nicht das ihre. Du darfst nach Glück ver­lan­gen – Du darfst auch glück­lich sein – aber in be­rech­tig­ter Wei­se … denn Du bist Chris­ti Nach­fol­ge­rin, und Chris­tus starb am Kreuz! Nur wer das Ir­di­sche ganz über­wun­den hat, wird durch die dor­nen­um­säum­te Pfor­te ein­ge­hen zur ewi­gen Freu­de – zur Hoch­zeit des Lam­mes!

      Aga­the muss­te wie­der sehr wei­nen. Aufs Neue er­fass­te sie das ängs­ti­gen­de Be­wusst­sein, wel­ches sie durch alle Kon­fir­man­den­stun­den be­glei­te­te, ohne dass sie es ih­rem Seel­sor­ger zu ge­ste­hen wag­te: sie be­griff durch­aus nicht, wie sie es an­zu­stel­len habe, um zu ge­nie­ßen, als ge­nös­se sie nicht. Oft schon hat­te sie sich Mühe ge­ge­ben, dem Wor­te zu fol­gen. Wenn sie sich mit den Pas­tors­jun­gen im Gar­ten schnee­ball­te, ver­such­te sie, da­bei an Je­sum zu den­ken. Aber be­dräng­ten die Jun­gen sie or­dent­lich, und sie muss­te sich nach al­len Sei­ten weh­ren, und die Lust wur­de so recht toll – dann ver­gaß sie den Hei­land ganz und gar. – Schmeck­te ihr das Es­sen recht gut – und sie hat­te jetzt im­mer einen aus­ge­zeich­ne­ten Ap­pe­tit – soll­te sie da tun, als ob es ihr nicht schmeck­te? Aber das wäre ja eine Lüge ge­we­sen.

      Wahr­schein­lich hat­te sie das Ge­heim­nis des Spru­ches noch gar nicht ver­stan­den. Ach – sie fühl­te sich der Ge­mein­schaft ge­reif­ter Chris­ten recht un­wür­dig! Aber es war doch wun­der­hübsch, nun kon­fir­miert zu sein – und es war auch an der Zeit, sie wur­de doch schon sieb­zehn Jah­re alt.

      Hat­te der Pas­tor dem Kin­de sei­ne Verant­wor­tung als Him­mels­bür­ge­rin klar zu ma­chen ge­sucht, so be­gann der Va­ter Aga­the nun die Pf­lich­ten der Staats­bür­ge­rin vor­zu­hal­ten.

      Denn das Weib, die Mut­ter künf­ti­ger Ge­schlech­ter, die Grün­de­rin der Fa­mi­lie, ist ein wich­ti­ges Glied der Ge­sell­schaft, wenn sie sich ih­rer Stel­lung als un­schein­ba­rer, ver­bor­ge­ner Wur­zel recht be­wusst bleibt.

      Der Re­gie­rungs­rat Heid­ling stell­te gern all­ge­mei­ne, große Ge­sichts­punk­te auf. Sein Gleich­nis ge­fiel ihm.

      »Die Wur­zel, die stum­me, ge­dul­di­ge, un­be­weg­li­che, wel­che kein ei­ge­nes Le­ben zu ha­ben scheint СКАЧАТЬ