Название: Wem gehört die Zukunft?
Автор: Jaron Lanier
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783455851137
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Jedes Bit in einem Computer ist eine Art Möchtegern-Dämon, der für eine Weile, und zu bestimmten Kosten, den Zustand »eins« vom Zustand »null« trennt. Auch ein Computer in einem Netzwerk kann wie ein Möchtegern-Dämon agieren, wenn er versucht, Daten von vernetzten Personen auf die eine oder andere Seite der imaginären Tür zu sortieren, und dabei so tut, als seien damit keine Kosten oder Risiken verbunden. Beispielsweise könnte ein Sirenenserver nur diejenigen durch die Türöffnung lassen, die billig zu versichern sind, um so eine unnatürlich ideale Versicherungsgesellschaft mit sehr geringem Risiko zu schaffen. Die Personen, die ein hohes Risiko aufweisen, würden in die eine Richtung sortiert, die mit geringem Risiko in die andere Richtung. Es wäre ein Pseudo-Perpetuum-mobile, angewandt auf die menschliche Gesellschaft. Allerdings würde die nicht-versicherte Welt nicht einfach aufhören zu existieren. Vielmehr würde sie die Kosten des Gesamtsystems erhöhen, zu dem auch diejenigen gehören, die den Sirenenserver betreiben. Eine kurzfristige Illusion der Risikoreduzierung würde langfristig sogar zu einem höheren Risiko führen.
Wo Sirenen locken
Zu den bekannten aktuellen Sirenenservern gehören die Hightech-Methoden der Finanzmärkte, etwa der Hochfrequenzhandel oder Derivatefonds, angesagte Unternehmen aus dem Silicon Valley wie Suchmaschinen und soziale Netzwerke, moderne Versicherungen, moderne Geheimdienste und noch viele weitere.
Die letzten Wellen der Hightech-Innovationen haben nicht in dem Maße Arbeitsplätze geschaffen wie frühere technische Neuerungen.19 Neue Kult-Unternehmen wie Facebook beschäftigen deutlich weniger Mitarbeiter als die großen »klassischen« Firmen wie beispielsweise General Motors. Anders ausgedrückt, die Sirenenserver lenken einen Großteil der Produktivität gewöhnlicher Menschen in Richtung einer informellen Tausch- und Reputationswirtschaft, während sie das gewonnene altmodische Vermögen auf sich selbst konzentrieren. Jede Aktivität, die über digitale Netzwerke erfolgt, ist der Arbitrage unterworfen, das heißt, dass das Risiko dorthin geleitet wird, wo es schlechtere Rechnerleistung gibt.
Ein allgemeiner Ratschlag für unsere Zeit könnte daher lauten, dass man, um ein gutes Leben zu führen, mit dem Fortschreiten der Informationstechnologie seine technischen Kenntnisse verdoppelt und lernt, unternehmerisch und anpassungsfähig zu sein, denn diese Eigenschaften ermöglichen eine Position in der Nähe eines Sirenenservers.
Kurzfristig betrachtet ist es ein guter Rat, zu versuchen, so nah wie möglich an einen Sirenenserver heranzukommen. Dort werden die großen Vermögen unserer Zeit gemacht. Aber es wird nicht genügend Positionen im Umfeld eines Sirenenservers geben, um eine ganze Gesellschaft zu versorgen, es sei denn, wir ändern ein paar Dinge.
Kapitel 6 Das Gespenst der perfekten Investition
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Im Silicon Valley geht das Gespenst der perfekten Investition um. Auch die Wall Street und andere Orte, wo digitale Netzwerke menschliche Tätigkeiten kanalisieren, werden davon heimgesucht.
Eine »perfekte Investition« in einen Sirenenserver ist schon mit einer geringen Summe möglich, jedenfalls in der Anfangszeit, die gigantische Renditen abwerfen kann, und das in kürzester Zeit. Sie erfordert zunächst bemerkenswert wenige Mitarbeiter oder Mitinvestoren, und auch die Entscheidungsgewalt muss kaum geteilt werden. Selbst wenn das Unternehmen später gigantische Ausmaße annimmt, hat es relativ wenig Mitarbeiter.
Man muss im Vorfeld nicht genau wissen, wie die perfekte Investition Geld einbringen wird, denn es geht ja um die Kanalisierung von Informationen. Informationen und Geld stecken gewissermaßen unter einer Decke, daher wird der Investor reich, ohne zu wissen, wie. (Tatsächlich geht es womöglich gar nicht ums Geld, doch selbst in dem Fall werden viele Menschen einen Teil ihrer wirtschaftlichen Perspektive aufgrund eines Sirenenservers verlieren,20 aber ihn dennoch unterstützen und seinen Einfluss und Vorsprung weiter ausbauen.)
Die perfekte Investition hält die reale Welt auf Abstand und hat daher praktisch keine Verpflichtungen. Idealerweise macht oder tut sie gar nichts. Der Plan besteht einfach darin, Informationen zu kanalisieren und zu denjenigen zu leiten, die in der Welt aktiv sind. Diese Aktiven gehen die Risiken ein, nicht die perfekte Investition.21
So zählt es beispielsweise nicht zur Aufgabe von YouTube, darauf zu achten, ob ein urheberrechtlich geschütztes Video eingestellt wurde. Falsch eingestufte Wertpapiere vergifteten zur Zeit der Finanzkrise die Fonds der Finanzinstitute, die dann vom Staat gerettet wurden, doch bisher mussten die Nutznießer dafür keine Nachteile in Kauf nehmen, die negativen Folgen wurden auf Steuerzahler und Kleinanleger abgewälzt. Die Verantwortung, die Probleme zu beheben, die durch die perfekte Investition entstehen, liegt bei den bedauernswerten Geschöpfen, die im benachteiligten Umfeld, das man auch Realität nennt, leben und handeln und Risiken eingehen müssen.
Die perfekte Investition wird bald eine unangreifbare Position erlangen und von Natur aus ein Monopol über ihren Bereich ausüben. Es kann durchaus Wettbewerb im traditionellen Sinn geben, aber er wird nie mehr als eine symbolische Funktion haben. (Ich verwende den Begriff »Monopol« nicht im rein rechtlichen Sinn, sondern wie er im Silicon Valley gebräuchlich ist. So riet beispielsweise Peter Thiel, der Gründer von PayPal und einer der ersten Investoren bei Facebook, seinen Studenten in einem Seminar zu Startup-Unternehmen in Stanford, sie sollten eine Möglichkeit finden, »Monopole« zu gründen.)
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Das Hauptgeschäft digitaler Netzwerke ist mittlerweile die Erstellung ultra-geheimer Mega-Dossiers über das Tun anderer Leute und die Nutzung dieser Informationen, um Geld und Macht zu konzentrieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich diese Konzentration soziales Netzwerk nennt oder Versicherungsgesellschaft, Derivatefonds, Suchmaschine oder Online-Kaufhaus. Welche Absicht auch immer ursprünglich dahintersteckte, das Ergebnis ist, dass die digitale Technologie dazu eingesetzt wird, die Zukunft der Mittelschicht zu zerstören.
Ich kenne einige Betreiber der größten und reichsten Server, bei denen sich Geld und Macht konzentrieren. Die meisten sind bemerkenswert anständig. Man könnte sich keine nettere Elite vorstellen. Aber das hilft leider nicht. Die einschlägigen Kult-Online-Imperien gelten als sakrosankt. Theoretisch darf man gern bemerken, dass die kostenlosen Online-Dienste nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie sie vernichten, aber in der Realität halten wir die neumodischen Unternehmen als Beispiele dafür hoch, wie Innovationen die Wirtschaft vorantreiben.
Das Problem ist umfassend, wir alle sind ein Teil davon. Unabhängig von unserer gesellschaftlichen Stellung können wir uns diesem verlockenden System nicht entziehen, selbst wenn sich dieses System auf lange Sicht selbst zerstört. Wer lehnt schon die schnelle Selbstbestätigung im Netz ab oder ein unglaubliches Schnäppchen, das ein Online-Gutschein bietet, oder auch einen einfach zu bekommenden Kredit für eine Immobilie? Auf den ersten Blick stehen diese Versuchungen in keinem Zusammenhang, aber wenn man Informationssysteme nicht in veraltete Kategorien einordnet, sondern sie als bloße Informationen betrachtet, zeigen sie ihr wahres Gesicht.
Im Grunde wird man, ohne dass man es bemerkt, quasi erpresst, als Schachfigur im Netzwerk eines anderen zu fungieren. Eine seltsame Art der getarnten Erpressung, denn nach außen hin wirkt das Geschäft verlockend, aber man sieht eben nicht alles, was man sehen sollte.
Wir waren begeistert von den unglaublich günstigen Krediten, die so einfach zu bekommen waren, aber auf einer irrsinnigen Überschuldung basierten. Wir sind begeistert von der kostenlosen Musik, die durch wahnwitziges Kopieren möglich ist. Wir sind begeistert von den günstigen Preisen im Online-Handel, die von Unternehmen angeboten werden, die früher wie ein nationaler Geheimdienst gewirkt hätten. СКАЧАТЬ