Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier страница 14

Название: Wem gehört die Zukunft?

Автор: Jaron Lanier

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783455851137

isbn:

СКАЧАТЬ benutzte.

      Absicherungen wie unsere Deiche sollen Algorithmen in die Schranken weisen und den menschlichen Willen in den Kapitalstrom einbringen. Doch die Einmischung des Menschen öffnet auch allen menschlichen Fehlern Tür und Tor. Allerdings haben die Absicherungen trotz ihrer groben und problematischen Struktur vor den Zeiten der Cloud immerhin so gut funktioniert, dass die Mittelschicht Überschwemmungen, Stürme, Erdbeben und Dürren in einer Welt überstanden hat, die von den Finanzmärkten geprägt ist. Ohne unser Deichsystem, das sich mit seinen terrassierten Hängen wie eine schimmernde glockenförmige Anhöhe erhebt, wäre der Kapitalismus wahrscheinlich zu dem von Marx gefürchteten dynamischen System verkommen, bei dem die Märkte zwangsläufig zur Plutokratie führen.

      Nach uns die Sintflut

      Die Deiche haben über viele Jahrzehnte allen möglichen Stürmen standgehalten. Bevor alles vernetzt war, bestand ein Kräftegleichgewicht zwischen Sicherungssystemen und Kapital, zwischen Arbeit und Management. Die Legitimation der Absicherungen für die Mittelschicht verstärkte die Legitimation der Absicherungen für die Reichen. Ein ausgeglichener Gesellschaftsvertrag zwischen Nichtgleichgestellten ermöglichte die Moderne.

      Allerdings erhielten die Stürme des Kapitals eine ganz neue Wucht, als Computer in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so billig wurden, dass die Finanzmärkte weltweit vernetzt werden konnten. Darauf werde ich später noch genauer eingehen. Einstweilen genügt es, darauf hinzuweisen, dass mit Enron, mit Long-Term Capital Management (LTCM) und ähnlichen Unternehmen der Fluss des Kapitals im neuen Jahrtausend zum Superfluss wurde. Wie das reale Klima wurde auch das Klima in der Finanzwelt durch die moderne Technologie aufgeheizt. Extreme wurden extremer.

      Schließlich brachen die Deiche der Mittelschicht. Einer nach dem anderen gab dem wachsenden Druck der Superströme aus Informationen und Kapital nach. Musiker zum Beispiel verloren viele praktische Vorteile, weil Absicherungen wie der Urheberschutz oder Kopiergebühren nicht mehr griffen. Die Gewerkschaften konnten nicht verhindern, dass Arbeitsplätze an immer billigere Produktionsstandorte weltweit verlagert wurden, so schnell, wie die Wellen des Kapitals sie trugen. Kreditnehmer waren überschuldet, Ersparnisse verloren an Wert, und Regierungen wurden zu einer strengen Sparpolitik gezwungen.

      Die alten Gegner der Deiche waren zufrieden. Wall-Street-Mogule und die jungen Wähler der Piratenpartei stießen alle ins selbe Horn. Alles muss fließen. Selbst die Opfer freuten sich oft über das Unglück von Menschen, denen es genauso erging wie ihnen.

      Weil so viele Menschen von oben und unten die Absicherungen ohnehin nie gemocht hatten, wurde gejubelt, wenn ein weiterer Deich brach. Wir jubelten, als Musiker vom alten System befreit wurden, weil sie jetzt ihren Lebensunterhalt mit Livekonzerten verdienen konnten. Bis heute tanzen wir auf dem Grab der Musikindustrie und sprechen davon, dass »Musiker jetzt endlich von ihren Plattenfirmen unabhängig sind«.[4] Wir jubelten, als die Gewerkschaften der Beschäftigten im öffentlichen Dienst durch die staatlichen Sparmaßnahmen geschwächt wurden, weil die Steuerzahler von nun an nicht mehr länger für die Renten anderer Leute aufkommen mussten.

      Hausbesitzer hatten das Schicksal ihrer eigenen Hypothek nicht mehr länger selbst in der Hand, weil jeder Kredit endlos weiterverkauft werden konnte. Hier wurde nach dem Motto gejubelt: Ist es nicht großartig, dass die Leute die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass es im Leben nicht gerecht zugeht?

      Neue, ungebremste Ströme brandeten gegen die Anhöhe aus Deichen, die die Mittelschicht sichern sollten, und zerstörten sie. Die großen Ozeane des Kapitals türmten sich zu einer steilen, schmalen »The winner takes it all«-Spitze auf, gefolgt von einem unendlich langen niedrigen Ausläufer.

      Kann man Musik mit Hypotheken vergleichen?

      Ein unvorteilhaft gestaltetes, mächtiges digitales Netzwerk ebnet Deiche ein, indem es das Kopieren von Daten ermöglicht.17 Beispielsweise kann man Spiele oder Apps, die sich nicht so leicht kopieren lassen, weil sie vielleicht in ein Hardware-Ökosystem eingebunden sind, online normalerweise zu einem höheren Preis verkaufen als eine Datei mit Musik, weil die sich viel einfacher kopieren lässt. Wenn das Kopieren einfach ist, gibt es im Grunde nie Knappheit, und dadurch bricht der Marktwert ein.

      Es gibt endlose Debatten darüber, ob Tauschbörsen im Netz »Diebstahl« sind. Ich möchte diese Diskussion gern vermeiden, weil ich eigentlich keinen Wert darauf lege, eine moralische Position zu einer Softwarefunktion zu beziehen. Abstrakt betrachtet ist Kopieren nichtssagend und neutral.

      Ich bin gegen Raubkopien von Daten, es wäre aber verfrüht, die Menschen, die das heute machen, dafür zu verurteilen. Außerdem kann man nicht verlangen, dass die Leute aufhören, Daten zu tauschen und Raubkopien zu machen, solange sie nicht für ihre Beteiligung an sehr lukrativen Netzwerken bezahlt werden. Gewöhnliche Menschen werden gnadenlos ausspioniert und nicht für die Informationen bezahlt, die sie unwissentlich liefern. Ich hätte es zwar gern, wenn irgendwann alle für Musik und Ähnliches bezahlen, ich würde das aber erst verlangen, wenn allgemein ein gegenseitiges Geben und Nehmen besteht.

      Am wichtigsten ist die Frage, ob wir zu einem System beitragen, von dem wir langfristig alle profitieren. Wenn man die Musikindustrie, wie sie früher war, nie kennengelernt hat, erscheint der Verlust einer Branche, die damals massenhaft Arbeitsplätze für die Mittelschicht bot, vielleicht gar nicht so gravierend. Ich werde jedoch zeigen, dass diese Entwicklung uns allen eine Warnung sein sollte.

      Kopiert man Musik, nimmt man einem Musiker die wirtschaftliche Würde. Er verliert zwar nicht zwangsläufig jedes Einkommen, ist jedoch darauf angewiesen, sein Einkommen in Echtzeit zu verdienen. Das heißt, dass er für Live-Auftritte bezahlt wird, aber nicht für die Musik, die er in der Vergangenheit aufgenommen hat. Man kann ja ab und zu durchaus für sein Abendessen singen, aber wenn man das für jede Mahlzeit machen muss, gerät man in eine wirtschaftliche Zwangslage.

      Diese Zwangslage besteht darin, dass man keinen Puffer hat. Ein Musiker, der alt oder krank ist oder ein krankes Kind hat, kann nicht auftreten und verdient dann auch nichts. Einige wenige Musiker, aber wirklich eine verschwindend geringe Zahl, werden trotzdem gut leben, doch selbst die erfolgreichsten Karrieren können jäh enden, wenn sie nur auf Live-Auftritten basieren, da genügt ein bisschen Pech zur falschen Zeit. Dieses Pech lässt sich im realen Leben nicht vermeiden, daher macht fast jeder, der von der Hand in den Mund leben muss, schwere Zeiten durch.

      »Spionagedienste« wie beispielsweise ein soziales Netzwerk oder Suchmaschinen ziehen dagegen ein dauerhaftes Vermögen aus den Informationen, die kopiert werden, in unserem Fall also den Musikaufnahmen. Ein Musiker, der sein Geld in Echtzeit verdienen muss und nicht mehr die üblichen Absicherungen wie Lizenz- und Kopiergebühren hat,18 kann zwar durchaus bekannt werden und sogar Geld verdienen (über Live-Auftritte, den Verkauf von T-Shirts usw.), aber reich wird er damit nicht. Das große Geld verdient der zentrale Server.

      Musik und Kredite sind sich sehr ähnlich. Wenn eine Hypothek weiterverkauft und durch eine dritte Partei über ein Netzwerk zusammen mit anderen zu einem komplizierten undurchschaubaren Wertpapierpaket verschnürt wird, verringern sich die Aussichten des Hausbesitzers, irgendwann einmal vermögend zu sein. Das Versprechen des Hausbesitzers, seine Schulden zurückzuzahlen, wird vielfach kopiert, wie die Musikdatei des Musikers.

      Es werden so viele Kopien vom vermögenschaffenden Versprechen des Hausbesitzers gemacht, dass der Wert des Originals gemindert wird. Das Kopieren verringert die langfristigen Aussichten des Hausbesitzers auf ein Vermögen.

      Anders ausgedrückt, das Versprechen des Hausbesitzers, seinen Kredit zurückzuzahlen, kann nur einmal abgegeben werden, doch entgegengenommen wird dieses Versprechen und damit auch das Risiko, dass der Kredit nicht zurückgezahlt wird, unzählige Male. Am Ende wird СКАЧАТЬ