Größer als der Schmerz. Alex Tresniowski
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Название: Größer als der Schmerz

Автор: Alex Tresniowski

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 9783961223299

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СКАЧАТЬ kann dir nicht helfen“, antwortete mein Vater barsch. Er sagte nicht, warum.

      „Aber ich brauche sie“, sagte ich. Doch er ließ nicht mit sich reden. Er versagte mir die Binden nicht etwa als eine Art Strafe. Ich interessierte ihn einfach nicht genug, um mir zu helfen, sie zu bekommen.

      „Du bist gemein zu diesem Kind“, warnte ihn an diesem Tag seine Mutter – meine Oma. „Denke daran, wenn du sie schlecht behandelst. Sie wird eines Tages diejenige sein, die dich unter die Erde bringt, wenn du alt bist.“ Als Antwort grunzte mein Vater nur. Und er war weiterhin gemein zu uns. Es war, als ob Timmy, John und ich seine Stiefkinder wären und die Kinder seiner zweiten Frau seine richtigen. Und weil diese genau wussten und spürten, dass sie bevorzugt wurden, verhielten sich die Mädchen schrecklich uns gegenüber – insbesondere mir gegenüber.

      „Aus dir wird niemals jemand“, sagte eine von ihnen. „Du wirst eine Herumtreiberin.“

      „Ja, du bist ein Niemand“, sagte eine andere. „Du bist nichts und aus dir wird nichts.“

      Selbst die zweite Frau meines Vaters gewöhnte sich an, mich mit ihren Töchtern zu vergleichen, und das nicht auf schmeichelhafte Weise. Wenn es nach ihr ging, waren sie klüger, hübscher und insgesamt bessere Menschen als ich. Selbstverständlich hatten sie auch eine verheißungsvollere Zukunft. Ich glaube, manchmal habe ich gehofft und mir gewünscht, mein Vater würde für mich in die Bresche springen, doch das tat er nie. Das ständige Schikanieren hörte einfach nicht auf.

      Das einzig Gnädige in diesem Sommer war die Zeit, die ich mit meiner Oma – ihr gehörte das weitläufige Anwesen, auf dem das Haus meiner Tante stand – und mit meinen Tanten verbrachte: Tante Bee, Tante Katie und Tante Joann. Sie alle mochten mich anscheinend mehr als mein Vater. Oma lebte in einem großen Haus, das einen Fußweg vom Haus meiner Tante entfernt lag. Nachdem ich wusste, wie ich dorthin gelangen konnte, ging ich fast jeden Tag hin. Ich kannte meine Oma nicht wirklich und anfangs redeten wir nicht viel miteinander. Doch ich denke, nachdem der Sommer vorüber war, gefiel es ihr, mich um sich zu haben. Meine Brüder und ich halfen ihr dabei, ihre Hühner und Schweine zu füttern. Es machte uns Spaß, ihre dreckig-braunen Schweine in ihrem Stall herumzujagen und sie am Schwanz zu ziehen, damit wir hören konnten, wie sie quiekten, und dann selbst wegzurennen, wenn sie uns jagten. Manchmal jagten wir ihre Ferkel herum, sodass die Säue böse wurden und uns noch ein bisschen länger jagten. Wir alle dachten, das wäre das Witzigste auf der Welt – schreiend und lachend nur einen Schritt vor diesen wütenden Schweinen zu flüchten.

      Wenn wir früh bei Oma waren, bereitete sie uns ein gutes Frühstück zu: Schinken und selbst gemachte Kekse mit zuckersüßem Ahornsirup. An vielen Nachmittagen ernteten Oma und ich Gemüse in ihrem zwanzig Hektar großen Garten. Er war so groß, dass wir es nie von einem Ende zum anderen geschafft haben. Wir ernteten gemeinsam Kürbisse, Tomaten und Blaubeeren, brachten sie in die Küche, kochten sie ein oder aßen sie an Ort und Stelle. Diese Nachmittage im Garten mit Oma waren mit die schönste Zeit meiner Kindheit.

      Eines Tages, als wir Gemüse in einem ausgesprochen dicht bewachsenen Teil des Gartens ernteten, hörte ich ein zischendes Geräusch, sah nach unten und erblickte eine Klapperschlange, die direkt auf mich zukam. Ich ließ das Gemüse fallen, schrie laut auf und wollte sogleich wegrennen, doch Oma hielt mich am Arm fest.

      „Nein, mein Kind, renn nicht weg“, sagte sie. „Du darfst dich von einer Schlange nicht erschrecken lassen. Du erschreckst die Schlange!“

      Im selben Moment stampfte Oma fest mit ihrem Fuß auf und die Klapperschlange schlich davon. Danach ging Oma wieder zurück und pflückte weiter, so als wäre nichts gewesen.

      „Lass dich nie von etwas erschrecken“, sagte sie, als sie eine dicke reife Tomate vom Strauch pflückte. „Und hör nicht darauf, was diese Kinder dir sagen. Die sind einfach nur gemein.“ Ich machte mich auch wieder ans Pflücken und hielt dabei immer mit einem Auge Ausschau nach Schlangen auf dem Boden und wiederholte im Kopf die Worte meiner Oma, damit ich sie nicht vergaß.

      ***

      Meine Mutter kämpfte drei Jahre lang gegen den Krebs, deswegen wurden wir für insgesamt drei Sommer zu unserem Vater geschickt. Während des dritten Aufenthalts, als ich dreizehn war, verschlimmerte sich die Lage drastisch. Mein Vater und ich waren uns über die drei Jahre kein Stück nähergekommen, wir hatten uns nur noch weiter voneinander entfernt, und als ich älter wurde, wurden unsere Auseinandersetzungen noch schlimmer. Ich hatte zu allem eine Meinung, und obwohl es klar war, dass sich niemand darum scherte, was ich dachte, sagte ich sie trotzdem. Und während jeder den Eindruck hatte, er hätte das Recht, mir zu sagen, was ich tun sollte, hörte ich auf niemanden und tat nur das, was ich wollte. Das gefiel meinem Vater nicht. Doch soweit es mich anging: Wer war er, dass er überhaupt irgendeine Autorität über mich haben sollte? Er wusste nicht, was für mich das Beste war, schließlich war er nicht wirklich Teil meines Lebens. Und überhaupt, er kümmerte sich nicht um mich. Also war ich auch nicht bereit, mich von ihm herumkommandieren zu lassen.

      Eines Abends forderte mein Vater mich auf, ich solle das Haar von einer der Töchter seiner Frau flechten. Ich konnte wirklich gut flechten, und ich machte das für alle meine Freundinnen und ein paar meiner Cousinen, die in der Nähe wohnten. Aber keinesfalls würde ich es für eines seiner bösen Stiefkinder tun.

      „Nein“, erwiderte ich. „Lass sie es doch selber flechten.“

      „Du tust, was ich dir sage“, sagte mein Vater, mit mehr Zorn in der Stimme, als ich gewohnt war.

      „Mach du es doch selbst, wenn du es so sehr willst.“

      Darauf stand mein Vater von seinem Stuhl auf und ging zu einem Schrank. Er zog einen hölzernen Besenstil heraus und kam direkt auf mich zu. Er zog mich auf den Flur hinaus und schlug mir mit dem Besenstil quer über die Beine. Ich schrie vor Schmerz. Er schlug mich wieder und wieder, manche der Schläge landeten auf meinen Armen und meinem Rücken, als ich versuchte, mich davor zu schützen. Andere trafen mich, wo sie sollten. Es gelang mir, wieder auf die Füße zu kommen. Ich rannte zur Tür. Ich riss sie auf, doch ich war viel zu wütend, um zu gehen, ohne etwas zu sagen. Ich glaube, ich war in meinem Leben nie über irgendetwas wütender gewesen als über diese Schläge.

      „Ich werde nie wieder mit dir sprechen!“, schrie ich meinen Vater an, der mit dem Besenstil in der Hand dastand und heftig atmete. „Ich werde auf dein Grab spucken!“

      Ich schlug die Tür hinter mir zu und rannte den ganzen Weg zum Haus von Tante Bee und blieb den Rest des Sommers bei ihr und Oma. Was ich damals noch nicht wusste: Für die nächsten sechs Jahre sollte ich kein einziges Wort mehr mit meinem Vater sprechen.

      Als der Sommer vorüber war, reiste ich zurück nach Alexandria, um bei meiner Mutter zu sein. Aber als ich ankam, erfuhr ich, dass es kein Zuhause mehr gab, zu dem ich hätte zurückkehren können. Meine Mutter hatte unser Haus verloren. Gesundheitlich ging es ihr jetzt zwar besser, aber die vielen Arztrechnungen waren zu hoch gewesen, sie konnte die Miete einfach nicht mehr bezahlen. Daher mussten meine beiden Brüder jetzt das ganze Jahr über bei meinem Vater in York bleiben.

      Und meine Mutter und ich sollten für die nächsten dreizehn Monate obdachlos sein.

      Dabei hilft uns der Geist Gottes

      in all unseren Schwächen und Nöten.

      Wissen wir doch nicht einmal,

      wie wir beten sollen,

      damit es Gott gefällt!

      Deshalb tritt Gottes Geist für uns ein,

      er СКАЧАТЬ