Die Seeweite. Albert T. Fischer
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Название: Die Seeweite

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783907301012

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СКАЧАТЬ Schneider ihren Sohn Rolf um Hilfe bat, Ilse Pfister in der Vergangenheit wühlte und Susanne Amrein einen eher traurigen Geburtstag verbrachte, war Jakob Amrein, Susannes Vater, nach der Heimkehr vom See schlechter Laune. Irgendwie hatte ihn der Selbstmord des Gretlersohnes unerwartet betroffen.

      Nicht einmal fernsehen mochte er. Er kannte die Gretlers von zufälligen und flüchtigen Kontakten, ohne ihnen je näher gekommen zu sein. Lange, bevor er die Schmiede aufgegeben hatte, in den Jahren während und nach dem Krieg, als sein Vater noch lebte und es viele Pferde zum Beschlagen gab, kam manchmal eines der Kinder, ein Bub mit krausen Haaren, vermutlich dieser Waldemar, der Älteste, um etwaige Rossbollen, wie man den Pferdemist damals nannte, zu sammeln. Die Rosse entleerten sich oft, während sie vor der Schmiede auf ihre neuen Eisen warteten. Er liebte es überhaupt nicht, wenn da Kinder herumstanden oder gar rannten. Die Vorstellung, ein Tier könnte erschrecken und mit seinem Huf ein Kind treten oder gar erschlagen, war ihm entsetzlich. Es gab immer wieder Unfälle mit Pferden. Manchmal reagierten sie unverständlich störrisch, und dann konnten sie eine ungeheure Kraft entwickeln.

      Aber jetzt, brütete Jakob vor sich hin, wo die Kavallerie abgeschafft war, gab es fast nur noch Luxuspferde. Die Bauern hatten Traktoren zum Ziehen der Wagen und Pflügen der Felder. Die Fuhrleute von damals nannten sich jetzt Camioneure, fuhren kleine und grosse Lastwagen. Nur die Brauerei hielt noch ein paar Gespanne – sie machten sich gut, als Werbeträger, sozusagen. Und die Wirte, zu denen sie die Fässer auf Brückenwagen brachten, nannten ihre Wirtschaften immer häufiger «Restaurant». Restaurant tönte moderner, liess höhere Preise zu. Die Lastwagen machten mehr Lärm, aber sie waren schneller und frassen, wenn sie in der Garage standen, kein Heu. So war eben der Rossmist von den Strassen verschwunden, und im Sommer gab es auch keine rauchenden und beissend stinkenden Kessel gegen die unersättlich Blut saugenden Bremsen mehr. Er war gewiss kein Weichling, aber manchmal taten ihm die Tiere Leid, und zudem hatte der Rauch aus dem Kessel an der Deichsel ihnen wenig geholfen, vielleicht sogar das Atmen erschwert, was kaum jemand bemerkt hätte. Seit die Pferde verschwunden waren, waren auch die Bremsen weg, wenigstens die fast fingergrossen und die grosse Menge.

      Mehr und mehr hielten sich nur noch reiche Leute ein Pferd. Oder eben Pferdenarren, die versuchten, sich mit einem kleinen Gestüt wenigstens die Kosten zu decken, indem sie die Tiere ausmieteten an Hobbyreiter und vor allem an Mädchen, die die Rosse, vermutlich ohne es zu wissen, als eine Art erste Liebe erleben, mit einem Wesen, das sie zu meistern glaubten. Die oft noch kleinen Debütantinnen sahen niedlich aus, und waren sie schon ein bisschen grösser, sogar sehr hübsch da oben im hohen Sattel. Immer wieder aber packte ihn das Grauen, wenn er dachte, eines der Tiere könnte mit dem Kind wirklich durchbrennen. Die Leute hatten keine Ahnung, wie schnell das gehen konnte, dass aus dem Ritt ein Rasen wurde und die Zügel in den kleinen schwachen Händen wirkungslos blieben. Noch Glück hatte die kleine Reiterin, wenn sie schon früh vom Sattel fiel und nicht im Bügel hängen blieb, wenn sie nicht weggefegt wurde von einem Ast oder zerdrückt an einem Baumstamm oder einer Mauer.

      Jakob verscheuchte die Bilder. Er hatte immer Respekt vor den starken Biestern gehabt. Er hatte Hunderte, wenn nicht Tausende beschlagen. Vor allem während des Krieges. Schon sein Vater hatte ihn vor ihnen gewarnt, obwohl sie für ihn tägliches Brot waren.

      «Stell dich nie hinter sie», hatte er dem Buben immer wieder gesagt. Während Jakobs Lehre gab es einmal einen Unfall. Der Schlag war hart, der Oberschenkel des Bauern gebrochen, das glühende Eisen flog auf die Strasse. Wenigstens war das Pferd angebunden. Jakobs Vater war überzeugt, dass die Tiere oft ganz bewusst den Richtigen trafen. Sie vergässen Quälereien nie, und nicht alle Bauern seien tierliebend, auch Sonntagsreiter nicht, hatte ihm sein Vater eingebläut. Immer wieder erzählte er die Geschichte eines Jockeys, den sein Rennpferd im Stall an die Seitenwand gedrückt hatte, bis er tot war. Später zweifelte Jakob an ihrer Wahrheit. Vor allem, fand er, musste man sich hüten zu glauben, Pferde schlügen nur nach Schuldigen. Das war selbst bei den Menschen nicht so, war Jakob überzeugt.

      Noch immer stand der Gretlerbub mit dem Wuschelkopf und seinem traurigen Gesicht, seinem Kessel und der kleinen Schaufel vor ihm, wie er nach Rossmist Ausschau hielt. Vielleicht war er sechs oder sieben. Er erinnerte sich, dass dessen Vater ihn gesucht hatte und ihm eine Ohrfeige gab. Das war nichts Besonderes. Ohrfeigen waren damals allseits als Mittel zur Erziehung anerkannt. Auch er hatte einige eingezogen und ausgeteilt. Man war nicht allzu zimperlich bei den Amreins. Aber gerecht mussten sie sein, und er hatte immer versucht, gerecht zu sein. Sein Vater und für schwierigere Fälle der biblische Salomon waren seine Vorbilder. Da hatte sich viel verändert in den letzten vielleicht zehn Jahren, dachte Jakob.

      Seine beiden Söhne hatten offensichtlich andere Vorbilder. Sie sprachen hin und wieder, wenn sie kamen, über antiautoritäre Erziehung. Er hielt nichts davon. Monster würde das geben, die keine Grenzen kennen, fürchtete Jakob. Marcel hatte ihm von dem Experiment einer Internatsschule in Amerika erzählt, von Summerhill. Jakob konnte sich nicht vorstellen, dass daraus etwas Gutes würde. Aber die ganze Bewegung genügte, um die jungen Leute, die jetzt die Verantwortung hatten, zu verunsichern – und das war seiner Meinung nach schlechter als eine konsequente Haltung mit Strafe oder Belohnung dank klarer Unterscheidung zwischen richtig und falsch, gut und böse oder Recht und Unrecht. Heute strafen, morgen nicht, aber übermorgen …, das konnte doch nicht gut gehen.

      Nun, beim geschiedenen Sohn Marcel war das alles jetzt ohnehin schwierig. Seine beiden Kinder lebten bei der Mutter. Sie wurden ihr zugesprochen, und die kehrte mit ihnen zurück an den Bielersee. Jakob sah die beiden Enkel nur noch selten. Denise war jetzt 14 und Romain 12 Jahre alt. So verging die Zeit.

      Er holte sich in der Küche ein Bier und sah wieder den jungen Gretler vor sich, der heulend mit seinem Vater, seinem leeren Kessel und der Schaufel davontrappelte. Warum konnte er diese Szene nicht vergessen und warum warfen die Jungen gleich die Flinte ins Korn, wenn’s in ihren Ehen nicht klappt? Als er Martina geheiratet hatte, liess sich noch kaum jemand scheiden. Jetzt aber wurden je nach Gegend bereits zehn von hundert Ehen geschieden! Das konnte nicht gut gehen, vor allem auch der Kinder wegen. Dabei hatte bei Marcel und Charlotte alles so wunderbar begonnen.

      Jahre später, erinnerte er sich, war der junge Gretler noch einmal in die Schmiede gekommen. Er wollte Schmied werden. Jakob hielt den Jungen dafür nicht stark genug, er war ihm zu schmächtig für den harten Beruf, und zudem hatte Waldemars Vater ohnehin andere Pläne mit dem Jungen. Der Gretler Kari verschaffte ihm im «Fürstlichen Walzwerk» eine Lehrstelle als Mechaniker oder Werkzeugmacher. Und wieder war da das enttäuschte, beinahe traurige Gesicht, an das sich Jakob erinnerte.

      Martina war vor dem Fernseher eingenickt. Er rief ihr zu, er gehe schlafen.

      Jakob schlief lange nicht ein und wachte danach immer wieder auf. Dem Frühling und dem Alter gab er die Schuld. Immer wieder waren es Erinnerungen, die ihn wach hielten, zum Beispiel an seinen Vater, der ihn ab und zu noch immer in Träumen bedrängte, ihn mit dem Schmiedehammer verfolgte, Jakobs Hand in der Esse zum Glühen brachte und danach auf dem Amboss die offenbar stählernen Finger schmiedete, der ihn verfluchte, weil er das edle Gewerbe aufgegeben und die väterliche Schmiede verkauft hatte.

      Da war auch Susanne, der es nicht gelingen wollte, einen Mann zu finden, was ihn wach hielt. Allerdings grämte er sich ihretwegen weniger als Martina. Vielleicht hatte es auch sein Gutes, dass Susanne nicht verheiratet war. Vielleicht ersparte sie sich damit eine Scheidung. Auch um Aldo, seinen zweiten Sohn, machte er sich Sorgen, weil Aldo so viel reiste und arbeitete und nur wenig Zeit für seine Familie hatte. Dabei waren die Zwillinge Sibylle und Sophie die reine Freude, gesund, hübsch, fröhlich, klug und gut erzogen. Vielleicht war Miriam nicht immer einfach, aber welche Frau war das schon?

      Es waren keine zusammenhängenden Bilder, die ihn bedrängten, eher von Blitzen erhellte Augenblicke mit Kindern, Mädchen, Susanne, Pferden, Frauen, Cecile.

      Seit 15 Jahren beherrschte und begleitete ihn Cecile in seinen Tagen und Nächten. Nicht immer – auch nicht mehr immer so leidenschaftlich СКАЧАТЬ