Schweizer Tobak. Albert T. Fischer
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Название: Schweizer Tobak

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783907301005

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СКАЧАТЬ Mann auf dem Schlachtfeld von Verdun im Ersten Weltkrieg gefallen war. Sie waren ein Jahr verheiratet gewesen, als er – für ein paar Tage oder höchstens wenige Wochen – eingezogen wurde. Sie sah ihn zum letzten Mal auf dem Bahnsteig des Gare de l’Est, winkte ihm nach und weinte, denn sie erwartete ihr erstes Bébé. Schon damals lebte sie im gleichen Haus, erhielt als Soldatenwitwe mit Kind eine Rente und arbeitete als Verkäuferin in der Samaritaine, während ihre eigene bereits betagte Mutter, im Gegensatz zum Vater von der grossen Grippe verschont, zu ihr zog und das Mädchen hütete.

      Die ersten Jahre nach dem Krieg waren in der Erinnerung von Mutter und Tochter trotz aller Trauer gute Jahre gewesen. Irgendwelche geerbte Aktien trugen mit ihren Dividenden zum Unterhalt bei. Doch mit dem Zusammenbruch der Banken und dem Zerfall der Währung in den 30er Jahren waren die Aktien nicht einmal mehr ihr Papier wert, die ohnehin nicht üppige Rente verkam zur Lächerlichkeit. Die Samaritaine entliess einen grossen Teil der Angestellten, nicht zuletzt jene, die durch eine Rente privilegiert waren. Auch das alltägliche bescheidene Essen wurde zum Luxus. Die Grossmutter starb nicht nur an ihrem Alter, sondern einer zermürbenden depressiven Verzweiflung. Madame Janvier und das inzwischen pubertierende Mädchen blieben ohne grosse Hoffnung auf ein besseres Leben zurück.

      Trotz des angeblich gewonnenen Krieges, den die Franzosen nicht angezettelt hatten, breiteten sich in Frankreich Armut und Not aus. Die Sozialisten kamen an die Macht, verstaatlichten die Industrie und versuchten mit ihren Methoden, die Verhältnisse zu verbessern. Die Mieten wurden eingefroren. Dank ihres Status› als Kriegswitwe und ihrer Tochter konnte Madame Janvier in der Wohnung bleiben. Ihre Rente wurde aufgebessert und sie fand wieder Arbeit. Die Tochter wurde Verkäuferin in einer Apotheke und verliebte sich in einen jungen Mann aus dem Quartier. Sie waren beide 23, als die deutsche Wehrmacht über Frankreich herfiel und seine Armeen vor sich her gegen Westen trieb. Das Land war auf diesen Krieg nicht vorbereitet.

      Ja, das war eine Schande, grübelte André in seiner Einsamkeit an diesem Abend nach der Generalversammlung der Segler. Die Erinnerungen trieben weiter.

      Madame Janviers Schwiegersohn war in Dünkirchen bei der Übersetzung der französischen Restarmee nach Grossbritannien ertrunken, die Tochter starb während der deutschen Besatzung an Diphtherie. Es gab in dieser Zeit für die Zivilbevölkerung kaum Medikamente. Madame Janvier konnte nach der Befreiung der Stadt in der Wohnung bleiben, weil sie bereit war, Flüchtlinge und Obdachlose aufzunehmen. Auch dafür bekam sie vom Staat eine Unterstützung. Der Staat half überall, wo Not sichtbar wurde und letztlich immer auf Kosten der Währung. Der Franc blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf Talfahrt.

      Als die Flüchtlingswelle vorbei war, vermietete Madame Janvier weiterhin ihr zweites Zimmer und fristete so ein einigermassen erträgliches kleines Leben.

      Als André und Miriam über ihr einzogen, war sie bereits ziemlich gebrechlich. Die fünf Treppen wurden zur Qual. Man begegnete sich ab und zu im Treppenhaus und Miriam bot ihr an, wenn sie ohnehin Einkäufe machte, ihr den einen oder anderen Gang zu ersparen. Madame andererseits hütete ab und zu ihre erstgeborene Tochter Corinne. Sie wurde mit ihren über achtzig Jahren so etwas wie eine zweite Grossmutter. Der Kleinen erzählte sie Kindergeschichten und den Eltern ihr eigenes Leben. Madame Janvier starb nach einer Gallensteinoperation in einem Erholungsheim in Rambouillet. Sie hatte keine Angehörigen in Paris, Freundinnen und Bekannte aus ihren aktiven Jahren waren längst gestorben. Ausser ein paar Leuten aus dem Haus kam niemand zum Begräbnis auf dem Cimetière de Montmartre. Corinne war sehr traurig, dass es Madame nicht mehr gab und für Miriam war mit ihr das alte Frankreich gestorben. Im neuen Frankreich trank man Cola, ass Pizza und Spaghetti und es gab McDonalds. Anglizismen hatten Einzug gehalten. Aus der Cassecroute war ein Sandwich geworden, aus der Revue eine Show – grässlich.

      Zum Begräbnis von Madame Janvier war ebenfalls das Paar von nebenan gekommen. Sie waren etwas älter als André und Miriam und lebten mit ihren drei Kindern schon länger in der Wohnung mit drei Zimmern. Das war für jene Jahre ganz komfortabel. Grössere Wohnungen waren noch immer Mangelware und daher meistens unverhältnismässig teuer.

      Der Mann, ein angelernter Elektrozeichner, arbeitete anfänglich als Ingenieur in den Laboren für Nukleartechnik von Châtillon im Süden der Stadt. Den Job verdankte er seiner Dienstzeit als Soldat in Deutschland und Algerien, er liess ihm genügend Zeit für eine Ausbildung zum Elektroingenieur an einer Abend- und Wochenendschule. Nach seinem Abschluss, als das Paar sein erstes Kind erwartete, wechselte er in eine private Installationsfirma, weil er da bis zu sechzig Stunden die Woche arbeiten konnte und durch die Überstunden auf ein weit höheres Einkommen kam.

      Was für Jean-Noël und seine Frau so etwas wie Komfort und besseres Leben bedeutete, war für Hunderttausende von Arbeitern die einzige Möglichkeit, um über die Runden zu kommen.

      Jean-Noël erzählte von seinen Erfahrungen in der Armee. 24 Monate hatte er dort verbracht, 18 waren in jenen Jahren die obligatorische Dienstzeit, sechs davon in Deutschland, die übrigen in Algerien. Er hatte durch die verlängerte Dienstzeit die kleine Karriere eines Adjutanten geschafft. Nein, er habe niemanden getötet, Glück gehabt, doch einige seiner Kameraden waren umgekommen oder mussten mit der Last, Leben vernichtet zu haben, weiterleben. Bei weitem nicht allen war es gelungen, sich danach im zivilen Leben wieder zurechtzufinden, sich eine materielle Basis zu schaffen, zu heiraten und ein sogenanntes normales Leben zu führen. Es gab Schwerverletzte an Körper, Geist und Seele, viele blieben arbeitslos, waren ge- oder zerbrochen.

      Das Paar kam aus dem Limousin und es dauerte eine Weile, bis Jean-Noël sich dazu überwinden konnte, seinen Geburtsort zu nennen, denn das alte Dorf Oradour gab es nicht mehr. Seine Grosseltern, seine Mutter und seine beiden Brüder waren mit allen Einwohnern von einer SS-Truppe in die Kirche getrieben, das Dorf in Trümmer gelegt und die Kirche angezündet worden. Nur Wenige überlebten die grauenhafte Tragödie, weil sie zufällig nicht im Ort waren, als das geschah.

      Eine Tante hatte Jean-Noël für ein paar Tage nach Limoges mitgenommen, um seiner Mutter etwas Erholung zu verschaffen. Diese versuchte, sich und ihre drei Buben so gut es ging durchzubringen. Es gab im Ort ausser Hilfeleistungen an Alten und Gebrechlichen, Putzen und Waschen keine Arbeit und kein Einkommen von irgendwoher. Die Grosseltern im gleichen Haus bedurften selbst der Pflege. Aber wenigstens gehörte ihnen das Haus und es gab einen Garten mit etwas Gemüse. Das Leben unter der Besatzung war zermürbend. Jean-Noëls Vater kämpfte in der Résistance. Immer wieder wurde nach ihm gesucht, letztlich wurde er verraten, aufgegriffen, erhängt und später auf einer Gedenktafel als Held gefeiert. Davon konnte man nicht leben. Überall war Armut, war Hunger. Nach der Zerstörung Oradours war Jean-Noël Waise, er hatte auch seine zwei Brüder verloren und konnte bei der Tante in Limoges bleiben.

      Nur langsam erholte sich die Wirtschaft im Limousin. Für das berühmte Porzellan aus Limoges gab es wenig Nachfrage. Kaum besserte sich die Lage ein wenig, da zehrte Indochina an der Substanz. Keiner im Volk wollte diesen Krieg gegen die Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha.

      Als die französische Armee einbrach, sprangen die Amerikaner ebenso erfolglos in die Bresche. Das etablierte Frankreich versuchte sich inzwischen mit enormem Aufwand auf Kosten der Wohlfahrt im eigenen Land in Nordafrika festzukrallen.

      Drei Generationen von Männern und Frauen waren geprägt von diesen auszehrenden Weltkriegen, der Schlächterei in Indochina und zuletzt diesem Befreiungskrieg der Algerier. Sie bekamen ihren Marschbefehl oder trugen im Land die traurigen Folgen. Es war nicht nur vaterländische Pflicht, dem Befehl zu folgen, sondern Verrat, es nicht zu tun. Die Wehrpflicht der Bürger war seit der französischen Revolution für alle Nationen des durch die Jahrhunderte geschundenen Kontinents zur Regel geworden. Nur die Sozialisten und Kommunisten rannten schon seit der Jahrhundertwende dagegen an. Für alle anderen war Krieg eine unvermeidliche Realität, ein grosses Geschäft und für viele die Basis einer kleinen oder grossen Karriere.

      Frankreichs Bevölkerung war ausgeblutet, durch die Niederlagen gedemütigt, politisch zermürbt СКАЧАТЬ