Schweizer Tobak. Albert T. Fischer
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Название: Schweizer Tobak

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783907301005

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СКАЧАТЬ führte schliesslich im Zweiten Weltkrieg zum Massenmord an Männern, Frauen und Kindern aus ganz SEuropa.

      Wer Krieg will, befeuert den Hass durch Hetze. Hass ist ein Feuer, das sich oft an kleinen Unzulänglichkeiten entzündet, im Alltag Nahrung findet, anfänglich in Nischen schmort, im Gespräch in kleinen Gruppen aufglüht, in Vereinen, vermeintlich harmlos, oft launisch, oft mutwillig angefacht, auflodert, aus Misstrauen, aus Angst vor Unbekanntem, Andersartigem, Undurchschaubarem, aber auch aus Neid und Missgunst und das schliesslich ausartet in wütende Tiraden, die sich erst gegen Einzelne, dann gegen Gruppen, Völker und Rassen richten und sich schliesslich zu Kriegen ausweiten.

      Die Gier nach Macht oder Reichtum ist die Mutter aller Kriege. Wer den Hass kennt und die Hetze beherrscht, bekommt seinen Krieg.

      All diese Zusammenhänge kannte André, doch konnte er sie nicht auf den Punkt bringen. Man würde ihn als Schulmeister disqualifizieren, fürchtete er, vermutlich zu Recht.

      Warum, fragte er sich, gelang es ihm nicht, diesem dummen Geschwätz angemessen, inhaltlich korrekt, aber humorvoll und überzeugend zu begegnen? Hatte er durch all die Jahre die Schlagfertigkeit in seiner Muttersprache verloren? Konnte er mit diesen Leuten keinen gemeinsamen Nenner mehr finden? Er war doch zurückgekommen, um wieder in seiner Heimat zu leben, aber das hier war nicht oder nicht mehr seine Heimat. War sie es allenfalls gar nie gewesen? Wo war sie denn dann, seine Heimat?

      Die Frage konnte er nur sich selbst stellen, nicht den Leuten, die ihn so furchtbar enttäuschten. Sie würden nur sagen: «Geh doch wieder dorthin, wo du die Menschen so hast, wie du sie haben möchtest! Bist du nur hergekommen, um uns zu sagen, was wir denken sollen, oder um uns zu kritisieren? Du machst dich in unseren Augen zum Verräter, zum Nestbeschmutzer. Du missachtest das Erbe unserer Ahnen!»

      Nie hatte er sich in den letzten 30 Jahren Gedanken über die politische Kultur und die Denkweise in diesem Land gemacht, welches er nach wie vor und jetzt erst recht als seine Heimat erleben wollte.

      Doch was er sich später am Abend über die Streikkultur der weniger Privilegierten anhören musste, raubte ihm beinahe den Atem. Als er vor Jahrzehnten als Student erstmals nach dem Ende des Algerienkriegs nach Frankreich gekommen war, begann er zu begreifen, worin der Unterschied lag zwischen einem Land, das sich nach zwei Jahrzehnten Krieg aus den Zerstörungen, nicht nur den materiellen, sondern auch gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und geistigen Trümmern herauswinden und teilweise aus schrecklichster unverschuldeter Armut herausarbeiten musste und seiner Schweiz, die durch die Jahrhunderte von vielen Kriegen verschont geblieben war.

      Er hatte die Wut der Leute erlebt, die um ihr kleines Auskommen kämpften. Millionen von Francs flossen täglich in die sinnlosen Kriege einer politischen Klasse von Reichen und Mächtigen und einer Kaste von Militärs, während die Menschen in unerträglichen Verhältnissen leben mussten.

      Er hatte ein Zimmer in der Wohnung einer damals noch üblichen Concierge, Madame Arnaud, gefunden. Sie wusste alles über die Leute im Haus und immer wieder hämmerte sie ihm ein, wie wichtig für sie das Wort «discrétion» war.

      Ihr Mann war früh an der vor allem im Winter oft durch Rauch, Russ und Nebel beinahe undurchdringlich verschmutzten Luft gestorben, erklärte sie ihm. Tausende von Cheminées wurden noch immer mit Kohle befeuert, ihr schwarzer Dreck, der über die Dächer stieg, legte sich als Mischung mit dem Staub der Strasse und dem Schmutz der Fabriken vor allem auf die östlichen Bezirke, in denen neben den Krämern und wenigen Handwerkern mehrheitlich die meist ungebildeten Armen und Unterprivilegierten der Stadt wohnten. Wer konnte, entfloh dieser Gegend, die gekennzeichnet war durch Mangel an Arbeit, Einkommen, Nahrung, Hygiene, aber auch durch verschmutzte Luft, Alkohol, Drogen und zahlreiche Krankheiten und in der Kleinkriminelle, Taschendiebe und Zuhälter, die sich auch der Ausbeutung Halbwüchsiger nicht schämten, ihr Unwesen trieben.

      Es gab aber selbst dort Aus- und Aufsteiger. Edith Piaf hatte hier ihre Kindheit verbracht und versuchte, als Mädchen in den Strassen mit ihren kleinen Liedern den Lebensunterhalt zu verdienen und wurde später vor ihrem tragischen Ende zum grossen Star, der Triumphe feierte.

      Der Mann der Concierge hatte es geschafft, mit ihr zusammen der üblen Entourage zu entfliehen. Er brachte es zum Hauswart in einem Haus am Rand der Wüste, am Boulevard Voltaire. Doch seine Kindheit liess ihn nicht los. Die Lunge war krank und seine Leber wurde es später auch. Irgendwann begann er zu trinken und überliess die Arbeit zunehmend seiner Frau, dem Mädchen aus der miserablen Nachbarschaft seiner Jugend. Auch sie war, vor allem in den ersten Jahren, glücklich, mit ihm zusammen dem Elend entronnen zu sein. Über Jahre hielten sie das Haus gemeinsam in Ordnung, putzten die Treppen, fingen im Keller die Ratten und Mäuse und achteten aus ihrer kleinen Loge beinahe Tag und Nacht mit der üblichen unaufdringlichen «discrétion» darauf, wer im Hause ein- und ausging. Sie hatten zwei Kinder, brave Kinder, wie Madame immer wieder betonte, die sich, längst irgendwo in der Stadt verheiratet, nie blicken liessen. Sie waren ihrem masslos trinkenden Vater und der unermüdlich schaffenden und lauthals schimpfenden Mutter entflohen.

      Nach dem Tod ihres Mannes konnte sie das kleine Glück einer Concierge behalten. Alleine schaffte sie es leichter als zuvor. Selbstverständlich kürzte der Hausbesitzer ihr Gehalt, aber es reichte für sie allein noch immer und sie durfte einen Mieter einziehen lassen. Einen Mann wollte sie nicht mehr, einer hatte ihr genügt, meinte Madame.

      In all den Jahren hatte sie viele Leute, meistens Familien, ein. und ausziehen sehen. Als die Sozialisten in den 30er Jahren an die Macht kamen, wurden die Mieten eingefroren und der Wohnungsmarkt reguliert. Opfer des Krieges und kinderreiche Familien wurden bevorzugt. Für viele war das ein Segen gewesen, berichtete sie. Andererseits waren die Besitzer so auch nicht mehr in der Lage, die Häuser zu unterhalten. Treppenhäuser ohne Licht mit knarrenden oder gar gefährlichen Stufen, Wohnungen mit zerschlissenen Tapeten, bröckelndem Putz, tropfenden Hähnen und zerbrochenen Scheiben waren keine Seltenheit. Tausende und Abertausende von Wohnungen hatten weder eine moderne Heizung noch warmes Wasser oder gar ein Badezimmer. Die Anlagen für Strom und Gas wurden vernachlässigt. Letztere wurden da und dort zu gefährlichen Zeitbomben. Mangels Aussicht auf eine erträgliche Rendite wurden viel zu wenig neue Wohnungen gebaut, dabei nahm die Zahl der Einwohner ständig zu. Nicht nur drängten Tausende in der Hoffnung auf Arbeit aus der Provinz in die Stadt, sondern es strömten auch immer mehr Menschen aus Frankreichs ehemaligen Kolonien, meist völlig ungebildete Farbige mit französischem Pass, ins Land.

      Familien mit vier oder fünf Kindern in einer Wohnung mit zwei Zimmern waren keine Seltenheit. Für viele Paare wurde das Leben unter diesen Umständen zur Hölle, sagte Madame Arnoud und sie musste es wissen. Frauen und Kinder in Not flüchteten bisweilen in ihre Loge. Wutentbrannte Männer drohten ihr mit Fäusten. Sie erinnerte sich an hässliche Szenen, an Geschrei und Tränen, aber auch an gegenseitige Hilfe, an Krankenpflege, Lebensmittel, Kleider, Geschenke, sogar an bares Geld. Ja, bares Geld war überall Mangelware. Die Löhne waren klein, Anstellungen alles andere als sicher. Wer konnte, versuchte, das kleine Einkommen mit Überstunden oder Schwarzarbeit aufzubessern. Viele Männer hatten einen weiten Weg zur Arbeit mit Metro, Bus oder Zug hin und zurück, sie waren sechs Tage von früh bis spät unterwegs. Nur wenige Frauen fanden ein zusätzliches Einkommen. Es gab noch keine Krippen oder Ganztagsschulen. Zudem fanden die meisten Franzosen, die Frau gehöre an den Herd, Simone Beauvoir zum Trotz.

      Das Leben in Paris wurde eng.

      Was sollten die lohnabhängigen Leute tun, ausser wütend auf die Strasse zu gehen? Viele glaubten, nach dem Sieg über die Nazis würde sich alles ändern. Doch die Kriege gingen weiter, Stadt und Land wurden ausgezehrt. Die Wunden aus dem Ersten Weltkrieg waren kaum ausgeheilt gewesen. Durch die Misere der kleinen Leute fanden die Sozialisten und Kommunisten schon damals ihre Anhänger.

      Immer wieder zogen unzufriedene wütende Pariser durch den Boulevard Voltaire von der Place de la République zur Place СКАЧАТЬ