Schweizer Tobak. Albert T. Fischer
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Название: Schweizer Tobak

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783907301005

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СКАЧАТЬ Davoser «Gauleitung» einen Hinweis bekommen. Die Frau sei jetzt geheilt, hiess es, aber warum fuhr sie nicht zurück ins Reich? Die Frau war nie krank gewesen, war die nächste Entdeckung. Der Arzt in München wurde eingezogen, unter Druck gesetzt und Lothar Werth jetzt überwacht. Man gab ihm Zeit, doch als Irmas Brief kam, war alles klar. Die ungebetenen Leser durchschauten Irmas etwas hilflosen Trick. Lothar und der Arzt gehörten zu den letzten Opfern der Nazis in München. Nur wenig später kamen die Amerikaner in die Stadt.

      Die braunen Machtbesessenen hatten auch versucht, die Bundesbehörden der Schweiz auf die irreguläre Situation der vier «Reichsangehörigen» im Schmauchtal aufmerksam zu machen und ihre Auslieferung zu erwirken. Die Sache wurde in Bern schon im Hinblick auf die Kriegssituation auf die lange Bank geschoben und die Gemeinde hatte inzwischen für Irma und ihre Kinder in aller Eile die Anerkennung als Flüchtlinge beantragt. Auch dieses Gesuch wurde auf die lange Bank geschoben. Als Witwe konnte Irma in einem vermutlich beschleunigten Verfahren wieder Schweizerin werden und damit wurden auch ihre Kinder Bürger des Landes.

      Lothar Werth war kein Münchner gewesen. Er kam aus dem badischen Brühl. Dort hatte 1932 ein verheerendes Feuer einen grossen Teil einer Zigarrenfabrik zerstört. Um die 50 Leute mussten entlassen werden, darunter auch der als Betriebsleiter ausgebildete Lothar Werth. Jetzt war auch klar, warum Mutter Irma nie etwas über Lothars Familie erzählt hatte, als ob es sie nicht gegeben hätte. In einem Album fanden sich zwar Bilder von Irmas und Lothars Hochzeit mit den beiderseitigen Eltern, und auch zur Taufe der beiden älteren Kinder waren sie angereist, aber sonst traf man sich kaum. Man reiste nicht so viel damals.

      Lothars Eltern waren während des Krieges verstorben und seine beiden Brüder kamen «auf dem Feld der Ehre» um. Warum er selbst sich von der Wehrmacht fernhalten konnte, war nicht herauszufinden. Vielleicht war Rauchzeug kriegswichtiges Gut und eventuell wussten die Brands in der Schweiz mehr darüber, argwöhnte Elisabeth.

      Während Stunden unterhielten sie sich über ihre Kindheit und lachten über Szenen mit ihrer Grossmutter.

      65 Jahre alt war sie gewesen, als ihr Mann unter entsetzlichen Schmerzen starb. Er bekam zwar Morphium, der Arzt hatte ihr beigebracht, ihm die Spritzen zu geben. Sie litt jedes Mal dabei, fürchtete sich, einen vielleicht tödlichen Fehler zu begehen und musste sich doch dazu zwingen, sich an die vorgegebenen Dosen und Abstände zu halten, um ihm die unausweichlichen Schübe zu ersparen oder wenigstens zu verkürzen. Hin und wieder bat er sie, den tödlichen Fehler mit der Spritze zu machen und ihn so von seinen Qualen zu erlösen. Sie wusste, dass im «Reich» leidende Menschen mit Methode umgebracht wurden, aber auch, dass sie damit nicht in Ruhe würde weiterleben können. Es war für sie ein Albtraum, Zeugin seines Leids zu sein, und doch wollte sie seinen unbedingten Willen, zu Hause und keinesfalls im Spital zu sterben, respektieren. Im Gegensatz zu Irma, die in der Fabrik arbeitete und damit den Tag ausser Haus verbringen konnte, war sie immer da, nicht nur seinetwegen, sondern auch, um die Kinder zu betreuen. Elisabeth war jetzt zehn, Konrad sieben und Andreas nicht einmal jährig.

      Die kleine, fast scheu wirkende, bescheidene und vor allem sparsame Frau aus Ravensburg, die so liebenswürdig schwäbelte, war unsäglich dankbar, ihre beiden Kinder und die drei Enkel endlich in der Schweiz zu haben und mit ihnen zusammenleben zu können. Jetzt, da ihr Mann im Sterben lag, konnte sie verstehen, warum er in den 20er Jahren alles daran gesetzt hatte, ihren Sohn Ernst zur weiteren Ausbildung in ein Schweizer Institut zu bringen. Hilde war nicht sehr religiös, aber sie glaubte an so etwas wie die Vorsehung. Vielleicht hatte Sebastian eine innere Ahnung vom kommenden Unheil gehabt? Auch sein Entschluss, nach der Reichskristallnacht die Führung der Niederlassung in München abzugeben und in der Schweiz in Rente zu gehen, konnte sie anfänglich nicht verstehen. Er war doch damals noch voll dabei, jeden Tag!

      «Er hat einfach alles hingeschmissen und ist abgehauen, werden sie sagen», hatte sie ihm vorgeworfen. «Sollen sie» war alles, was er darauf erwiderte. Seine innersten Motive hatte er nie verraten.

      Vermutlich wollte er sich keinesfalls in die Nähe der entfesselten Nazihorden gerückt sehen, von Anfang an nicht. Aber vieles liess sich nicht vermeiden. Schon als Hitler an die Macht kam, war er verunsichert gewesen. ‚Kommt Zeit, kommt Rat›, dachte er damals und wurde dabei durch die Mitarbeit von Marcel Brand, der mit seiner jungen Frau, ihrem kleinen Heinz und dem ängstlichen Kindermädchen nach München kam, gestützt.

      In jenen Jahren hatte Marcels Mama als eigentliche Chefin und Seele des Unternehmens noch immer in allen Belangen das Sagen. Auch sie, die sich seit 30 Jahren voll auf Sebastian verlassen hatte, mahnte zur Geduld. Nichts würde so heiss gegessen wie angerichtet, meinte sie. Und doch nagten die Zweifel unerbittlich. Es kam der Tag, an dem die Nazis ihr Hakenkreuz auf den Schachteln und den Zigarrenringen sehen wollten. Es gab dagegen zwar irgendwelche politisch-ideologischen Gründe, aber doch für die Mehrheit der Deutschen keinen sachlichen Anhaltspunkt. Er gab auch zu, seine Meinung sei noch immer, dass die deutschen Brand-Cigars in Wirklichkeit ein Schweizer Produkt seien, doch das Stammhaus gab nach und Sebastian lenkte ein. Aber nach seinem Gusto war das alles nicht. Und jetzt, 1938, war auch die Zeit der Mama Brand vorbei. Vielleicht war dieses Motiv stärker als die Kristallnacht. Hilde wusste es nicht. Vermutlich dachte Sebastian, seinem Nachfolger und Schwiegersohn Lothar Werth würde dies alles leichter fallen.

      Die Oma genoss die Enkelkinder. Daneben hielt sie ein gutes Dutzend Hühner und zwei Katzen. Sie hätschelte einen Gemüsegarten, zog Himbeeren und Brombeeren und nutzte die Früchte von drei Obstbäumen, die ebenfalls im Garten standen. Sie war und fühlte sich nach wie vor als Besitzerin des Hauses, dafür hatte Sebastian gesorgt und Irma war damit zufrieden. Sie beschaffte zwar mit ihrer Arbeit weitgehend die laufenden Lebenskosten, doch hin und wieder steuerte Hilde vom Angesparten etwas bei, vor allem für die Kinder. Sie bezahlte die damals noch nicht selbstverständlichen Musikstunden und Instrumente, kam im Sommer und im Winter für die Kosten von Lagerferien in den Bergen auf, gab Geld für die vielen Bücher, die die jungen Leute lasen, weil die Oma sie dazu anhielt und schon mit zwölf bekamen sie ein Radio.

      Im Alltag war die Oma sparsam bis geizig, denn, so argumentierte sie, es war ja nicht ihr Geld, das sie ausgab, sondern das von Irma. Sie trug haarklein jede Ausgabe in ein Buch ein, kochte so spärlich, dass es kaum Reste gab, und wenn, machte sie anderntags daraus eine Suppe. Sie streute böse Blicke, wenn jemand seinen Teller nicht leer ass und es gab böse Worte, wenn jemand auch nur einen Krumen Brot liegen liess. Die schwäbische Gemütlichkeit hatte eben zwei Seiten.

      Anfänglich nähte sie den beiden grösseren Kindern Röcke und Hosen, später nutzte sie die Zeit, während sie Radio hörte, mit Stricken: Socken, Pullover und Mützen. Alles, was sich flicken liess, wurde auch geflickt, mit Garn, Nadel und Strumpfkugel.

      Auf der Rückfahrt ins Haus seiner Kindheit erinnerte sich André an diese kleinen und doch so prägenden Erlebnisse der Vergangenheit. Eigentlich hatte Oma in all den Jahren die Arbeit seiner Mutter gemacht, fiel ihm auf.

      Doch das war nicht die ganze Wahrheit. Irma machte sehr wohl ihren Teil. Am Abend arbeitete sie mit den Kindern die Schulaufgaben durch, übte mit Elisabeth die langweiligen Etüden auf dem Klavier, auch vierhändig, begleitete Konrads Querflötenspiel und forderte den noch kleinen André mit der Blockflöte heraus. Im Sommer begleitete sie die Kinder zum Schwimmen an den See. Sie war selbst eine gute Schwimmerin und hatte den Kindern dieses Können so früh wie möglich beigebracht. Im Winter besuchte sie mit ihnen Museen und kleine Theater in Stadt und Land, ging sogar ins Kino, wenn es Filme gab, die für sie zugelassen waren oder die sie für zuträglich hielt. Sie verwickelte sie auch in Gespräche über Gott und die Welt. Sie war selbst kaum gläubig, hielt aber darauf, dass sie die Stunden mit den Konfirmanden besuchten. Das war bei Elisabeth kein Problem, jedoch bei Konrad schon. Bei André hatte sie resigniert.

      Und jetzt, da er älter war, fragte er sich auch, wie wohl seine Mutter damit fertig geworden war, so ganz ohne Mann zu leben. Er war sich sicher: Da gab es nichts und niemanden. Dabei war sie doch erst 37 gewesen, als sie ihn verlassen hatte, СКАЧАТЬ