Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
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СКАЧАТЬ anzuerkennen. Eine wirkliche „Philosophie der Religion“ müßte alle Momente in Betracht ziehen und ihren Einfluß in den einzelnen Religionen verfolgen. Aber dazu mangeln uns nur allzusehr die Kenntnisse, sobald wir aus der geschichtlichen Kulturwelt heraustreten. Es ist nicht Aufgabe dieses Buches, hierauf genauer einzugehen, auf einzelnes und auf andere Theorien wird jedoch noch oft genug hingewiesen werden.

      8. Allgemeine Belebung.

      Wenn der Mensch unter solchen Anschauungen seine Meinung bestimmter zu fassen lernt, so wird er in dem in den Gegenständen Handelnden etwas Lebendes sehen, sei es, daß die Gegenstände selbst leben, sei es, daß etwas in ihnen vorhanden ist, das lebt. Beides finden wir, aber das erstere kann offenbar nicht von weitem Umfange sein, da Lebloses von Lebendem zu unterscheiden selbst dem Tiere leicht fällt. Max Müller hat ein sehr lehrreiches Beispiel auf das sorgfältigste untersucht, die Bedeutung Agnis in der altindischen Religion. Wie wir sahen, scheint ihm „Agni den Begriff der lebhaften Bewegung ausgedrückt zu haben. Am nächsten verwandt würde lateinisch ag-ilis sein“. Im Lateinischen haben wir ignis, im Altslawischen ogni, im Littauischen ugnì. Das würde noch auf der ersten Stufe stehen. Aber nun kommen Namen, die offenbar einen tätigen Gegenstand ausdrücken: Dahana = der Brenner, An-ala = der Blaser (mit der Wurzel An, die auch in animus, anima, ἄνεμος enthalten ist und hauchen, wehen bedeutet). Max Müller führt noch andere Namen auf, die gleichfalls einen tätigen Gegenstand betreffen. Und er sagt allgemein: „Wenn dieser Schritt einmal getan war, wenn das Wort Agni, Feuer, einmal geprägt war, so war die Versuchung groß, ja fast unwiderstehlich, wie Agni als Agens aufgefaßt worden war, so auch ihn als etwas aufzufassen, das den einzigen anderen aktiven Subjekten, die den Menschen bekannt waren, glich, als tierischen und menschlichen Agens.“ Und darin kann man ihm lediglich beistimmen. So führt er denn auch an, daß im Rigveda von der Zunge oder den Zungen Agnis gesprochen wird, von seinen Zähnen, seinen Kinnbacken, seiner brennenden Stirne, seinem flammenden Haar, seinem goldenen Bart. Diese Sprechweisen als metaphorisch aufzufassen, würde möglich sein, wenn der erste Begriff des Agni ein höherer wäre. So aber möchten sie kaum anders als ad verbum genommen werden, als Beschreibung Agnis als eines lebenden Etwas (s. jedoch S. 25). Ich habe schon erwähnt, daß die Polynesier die Sonne auch als Ungetüm betrachten, die Eskimo nehmen Sonne und Mond als Mädchen und Knaben, wie südamerikanische Völker und wie, umgekehrt, die Australier als Mann und Frau. Algonkinindianer, die den Mond für die Frau der Sonne ansehen, erklären sogar die Finsternis dadurch, daß diese Gestirne zuweilen ihr Kind (das also dunkel sein muß) in den Armen vor sich halten. Daß man die Arme nicht sieht, kommt daher, daß sie ständig einen Bogen gespannt vor sich halten. Hübsch ist eine Sage bei den Mexikanern, die Tylor in seinem vorzüglichen Buche „Die Anfänge der Kultur“ mitteilt. Die alte Sonne war ausgebrannt und die Welt in Finsternis begraben. Da sprang ein Held in ein riesiges Feuer und stieg, zum Gott geworden, als Tonatiuh strahlend im Osten als neue Sonne auf. Nach ihm sprang ein zweiter Held in das Feuer. Aber dieses war schon matt, und so kam er nur als Mond, Metztli, empor. Hier sind also Sonne und Mond zwei Männer. Doch steht diese Sage für das Gegenwärtige schon zu hoch. Mehr paßt hierher, daß bei den Alëuten der Mond mit Steinen nach denen wirft, die ihn beleidigen. Man bedenke, daß man in der Tat früher vielfach geglaubt hat, daß die Meteorsteine Auswürflinge des Mondes seien. Auch die Sterne werden für Lebewesen, Menschen oder Tiere, gehalten, wohl auch für Teile von Lebewesen. Ich will nicht die griechischen Katasterismen anführen, die in so schönen Sagen erzählt werden und noch in der so späten Zeit der Ptolemäer zu der Versetzung des prachtvollen Haares der Berenike an den Himmel geführt haben. Aber in Afrika ist die Milchstraße ein Zug Vögel. Anderweitig sind die Sterne Menschen, welche in den Himmel geklettert sind und nun nicht herabkönnen. In Ozeanien werden die Sterne auch als Augen berühmter Häuptlinge ausgegeben, so daß diese letzteren großen Wert im Leben auf möglichst glänzende Augen legen und die ihnen von Natur verliehenen dadurch zu verbessern suchen, daß sie anderen die Augen ausreißen und sie verzehren. Daß der Regenbogen ein lebendes Ungetüm ist, das sogar Menschen frißt oder sie vergiftet, wird in Polynesien erzählt. Der Gott Perkun soll in Littauen auch den Donner selbst bedeutet haben. Stürme werden personifiziert; so sind bei den Indianern, von denen Hiawatha erzählt, Wabun, Schawondasee, Kabibonda Lebewesen, die Ostwind, Südwind und Nordwind bedeuten, deren Vater, der allgemein Sturm, Mudjeekewis, heißt. Bei den Polynesiern finden wir ähnlich personifizierte Winde, die Verwandte sind von Göttern. Der Hauptwindgott Tawhiri-matea, der den Schimpf, der seinem Vater und seiner Mutter, Himmel und Erde, durch ihre gewaltsame Scheidung geschehen ist (S. 12), rächen will, läßt seine Kinder, die Stürme, auf Meer und Land los, und er selbst wütet in ihrer Mitte, so daß die Wälder, die Kinder Tane Mahutas, gestürzt, die Länder überschwemmt und die Meere durchwühlt werden. „Den niederen Menschenstämmen,“ sagt Tylor in seinem genannten Werke, „werden Sonne und Gestirne, Bäume und Flüsse, Wind und Wolken persönliche, belebte Geschöpfe, welche ein nach Analogie des menschlichen oder tierischen gedachtes Leben führen und ihre besonderen Aufgaben im Universum mit Hilfe ihrer Gliedmaßen wie Tiere erfüllen.“ Und er weist mit Recht auf das Verhalten der Kinder hin, die zuerst gleichfalls alles beleben. Wie das Kind „schlägt der Wilde Brasiliens den Stein, über den er gestolpert ist, oder den Pfeil, der ihn verwundet hat.“ Tylor teilt noch andere Beispiele mit. So wird bei gewissen südasiatischen Stämmen der Baum gefällt und zu Spänen zerhackt, von dem jemand tödlich herabgefallen ist. Entsprechende Beispiele finden sich sogar bei Kulturvölkern, ich darf an die Gerichte erinnern, die bei den Athenern über leblose Gegenstände gehalten wurden, durch die ein Mensch umgekommen war, an die Geißelung des Hellesponts durch Xerxes und an anderes aus dem Altertum und selbst aus dem Mittelalter Bekannte. Fast möchte man an die „Tücke des Objekts“ erinnern, die Friedrich Vischer in seinem Roman „Auch einer“ so launig beschreibt. Es war früher eine Sitte in Deutschland, wenn der Hausherr gestorben war, es allem im Hause mitzuteilen, selbst dem Ackergerät und den Vorräten. Wir dürfen uns darum nicht wundern, daß der Naturmensch tatsächlich Gegenstände für lebend hält, die ihm doch tot scheinen sollten, und sich so überall von Leben umgeben fühlt, dessen Natur er nicht kennt, und das ihn infolgedessen beängstigt und bedrückt. Diese Allbelebung, der wir auf niedrigster Kulturstufe begegnen, findet sich von allem Groben geklärt in höchsten philosophischen Spekulationen wieder, wie wir sehen werden. Für die Wildenstufe hat Tylor sie als „Animismus“ bezeichnet, diesem Worte jedoch noch eine weitere Bedeutung verliehen.

      9. Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus.

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