Название: Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis
Автор: Max Bernhard Weinstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 4064066113001
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Auch fremde Seelen vermag der Kundige zu senden, wohin er will. Die Könige von Dahome, so oft sie den Rat eines Gottes einholen wollten, töteten einen Menschen, dessen Seele zum Gott ziehen und von ihm das Nötige in Erfahrung bringen sollte, um es dem Zauberer dann zu offenbaren. Ähnliches erzählt bekanntlich Herodot von den thrakischen Goten: „Alle fünf Jahre wählen sie einen von ihnen durch das Los, den schicken sie als Boten an Zalmoxis und tragen ihm ihr jedesmaliges Anliegen auf.“ Die Entsendung geschieht, indem drei Leute Wurfspieße halten und der zu Sendende hochgeworfen wird, daß er auf die Spieße fällt. Ist er gleich tot, so wird das als gnädiges Zeichen des Gottes betrachtet, sonst wird ein anderer Bote in gleicher Weise entsandt. Herodot fügt hinzu: „Sie geben ihm aber den Auftrag, wenn er noch lebt“. So gleichen sich Anschauungen in voneinander so fernen Landen und so weit abstehenden Zeiten, zum Beweise wie gleichartig die Menschen denken, schließen und handeln!
Die Anerkennung der Obergewalt mancher Menschen über sich führt dazu, daß deren Seelen besonders hoch bewertet werden. An den Seelenglauben knüpft sich so der Ahnenglaube als das Natürliche und der Übergeordnetenglaube als das oft Aufgezwungene. Den Ahnenglauben finden wir fast auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten verbreitet. Vielleicht mangelt er selbst denjenigen Völkern nicht, die ihre alten Väter und Mütter aussetzen oder gar töten. Es liegt ja nahe, daß der Ernährer der Familie eine eigene Stellung einnimmt und seine Seele besonders geachtet wird. Offenbar wird sie besonders geneigt sein, den Zurückgebliebenen die gleichen und mehr Wohltaten zu erweisen wie im Leben. Da der Wilde absoluter Realist ist, sucht er sich ihre Zuneigung zu wahren. Und dieses hat zu einem eigenartigen Seelen- und Ahnenkultus geführt, der sich überall vorfindet und, wie zu anmutenden Gebräuchen, so auf der Wildenstufe zu den schändlichsten Grausamkeiten geführt hat, die in den merkwürdigsten Formen vertreten sind. Alles dieses steigert sich ins Ungemessene, wenn es sich um die Seele eines mächtigen Zauberers oder eines Häuptlings handelt, so daß hier deren Tod ein wahrer Jammer in des Wortes bösester Bedeutung für ein ganzes Volk werden kann. Wir haben schauerliche Funde aus prähistorischen Zeiten, und entsetzenvolle Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Indessen ist es nicht meine Aufgabe, die Kulte zu besprechen, nur die Anschauungen gehören hierher. Diese aber führen, wie man sieht, zu einer Stufung in den Seelen. Der niedrige Sklave hat eine niedrige Seele, die nichts vermag, der Ahne, Priester und Häuptling besitzen bedeutende Seelen. Und je höher der Rang, je größer die Gewalt, desto mächtiger auch die Seele im Guten und namentlich im Bösen. Diese Differenzierung ist von großer Wichtigkeit; sie hat zu Theorien geführt, wonach die Religionen überhaupt aus Seelen- und Ahnenglaube (wenn wir unter Ahnen allgemein Übergeordnete verstehen) hervorgegangen seien. Ich komme darauf später zu sprechen.
Die Tiere erachtet der Naturmensch als von sich nicht verschieden, er verleiht ihnen Seelen, der seinigen gleich. Sprechen doch manche afrikanische Stämme davon, daß gewisse Menschen beliebig als Menschen oder als wilde Tiere leben können. Und wenn Polynesier von Leuten erzählen, die sich beliebig in Raubtiere, Vögel, Fische oder Schlangen verwandeln, so meinen sie das nicht nach Art unserer Sagen und Fabeln, sondern rein reell. So hat sich neben einem Menschenseelenglauben auch ein Tierseelenglaube ausgebildet und daran ein Tierseelenkult angeschlossen, der Totemismus. Und wunderlich berührt es, wenn als Ahnenseelen auch Tierseelen angenommen werden, wie das namentlich bei den Indianern der Fall ist, wo nicht bloß Familien, sondern auch ganze Stämme irgendein Tier: Bär, Rabe, Schlange, Schildkröte, Spinne usf. als Urahnen bezeichnen. Wenn ich Lippert recht verstehe, will er freilich nicht die Tierseele als die Ahnenseele anerkennen, sondern eine Menschenahnenseele annehmen, die in das Tier gefahren ist, in ihm ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Damit würde übereinstimmen, daß Ahnentiere in der Regel nicht getötet und nicht gegessen werden dürfen, aber wiederum nicht dazu passen, daß bei gewissen Festen gerade solche Tiere verzehrt werden müssen. Indessen besteht über den Totemismus überhaupt keine rechte Sicherheit. Manche wollen in den Ahnentieren nichts weiter als Wappenbilder sehen, und zweifellos machen solche auch vielfach diesen Eindruck. Oder sie erklären sie lediglich durch Tiernamen menschlicher Ahnen, die durch Mißverstand zur Annahme von Tieren als Ahnen geführt haben. Das eine oder das andere wird in vielen Fällen zutreffen. Sicher aber ist, daß Tierseelen mitunter nicht mindere Bedeutung haben wie Menschenseelen und gleichfalls Verehrung genießen. Familie und Stamm halten ihr Totem (der Name stammt von den Algonkinindianern her, „Dodaim“) hoch und nennen sich nach ihm Bär, Wolf, Hirsch usf.
11. Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst.
Ein unmittelbares Kind des Seelenglaubens ist der Geister- und Dämonenglaube. Geister und Dämonen sind die Seelen abgeschiedener Menschen oder Tiere. Ist es gelungen, diese Seelen an Gegenstände, tote oder Lebewesen, zu bannen, so hat man die Fetische, die um so wichtiger sind, je bedeutender die Seele. Häuptlinge und Priester können erklären, in den und den Gegenstand sei eine besonders wichtige Seele gefahren oder gebannt. Der Gegenstand ist dann Tabu, unberührbar und unnahbar, die bekannte Plage der ozeanischen Stämme. Gegenstände, namentlich menschliche Figuren, aber auch Tiere und tierische Figuren, werden besonders gerne zum Sitz einer Seele genommen, und ist die Seele von einiger Bedeutung, so haben wir ein Götzenbild als Fetisch. Götzenbilder sind räumlich und zeitlich außerordentlich verbreitet und finden sich selbst gegenwärtig sogar bei den Kulturnationen. Sie entstammen aber der menschlichen Eigenheit, alles materiell zu fassen. Und es mag noch so oft gesagt werden, Männer und Frauen in katholischen Ländern sollen durch bekleidete und gekrönte Marien- und Heiligenbilder nur an die hohe Gottesmutter und an Menschen frommsten Lebenswandels erinnert werden, so faßt das einfache Volk die Sache doch anders auf, wenn auch nicht so wie der Neger oder der Gesellschaftsinsulaner, der sein Götzenbild absolut sich dienstbar erachtet und es mit einer rohen Seele versieht, die unter Umständen gezwungen werden muß, Dienste zu leisten, aber doch immerhin beseelt. Wie sollten sonst die Wunderbilder, die als solche Wunder tun oder die gar Lebensäußerungen von sich geben, wie Weinen, Zunicken, Blutschwitzen zu erklären sein, von den Hostien, deren Lebensäußerungen so unendlich vielen unschuldigen Menschen den qualvollsten Tod gebracht haben, zu schweigen, die nicht einmal menschliche Figur nachahmen. Es kann kaum anderes angenommen werden, als daß für den Unaufgeklärten in allen diesen Dingen sich mindestens die Kraft der Gottheit oder des Heiligen kundgibt, zumal es sich ja immer um besondere solche Dinge handelt, nicht um alle. Anhänger der Lehre, daß alle Religion aus dem Seelenkult in Verbindung mit Fetischglaube hervorgegangen ist, würden sogar sagen, daß angenommen wird, die Kraft stecke in den betreffenden Dingen. Das geht sicher zu weit, selbst für das Mittelalter; es handelt sich nur um eine Manifestation, nicht um Götzendienst im Sinne des Naturmenschen. Ob aber der Molochdienst der Phönizier und Karthager, der Çiva- und Kalidienst der Indier, der ursprüngliche Götterdienst der Griechen und Römer, der Tierdienst der alten Ägypter, der Baum- und Bilderdienst der alten Germanen, Kelten, Littauer, Preußen, Slawen von jenem Götzendienst sehr weit entfernt gewesen ist, darf mit Recht bezweifelt werden. Tylor macht darauf aufmerksam, wie trotz der allgemeinen Verbreitung der Götzendienst doch manchen Völkern fehlt, während die ganze Umgebung ihm huldigt. Das bekannteste Beispiel ist das der Hebräer, denen ja selbst die Anfertigung eines Götzenbildes verboten war. Aber wie sehr Fetischgötzendienst im Blute des Menschen liegt, sehen wir ja gerade an den Hebräern. Was haben die gewaltigen Seher und Propheten predigen und eifern müssen, um das Volk vom Götzendienst abzuhalten, und wie viele Rückfälle in diesen Dienst sind zu verzeichnen! Die lebhafteste Schilderung haben wir im Buch der Richter vom Götzendienst im Hause des Micha, der sogar einen Leviten zum Priester der Götzenbilder anstellt, sodann in der Anbetung des goldenen Kalbes mit ihrem so verhängnisvollen Ergebnis für das Volk. Aber nach dem Exil finden wir keine Spur von Götzendienst mehr vor, und wie zuwider und verhaßt dieser Dienst dem Volke war, sehen wir an der Heldenzeit der Makkabäer in der Empörung selbst gegen den veredelten Bilderdienst СКАЧАТЬ