Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien. Otto Ernst Schmidt
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien - Otto Ernst Schmidt страница 6

Название: Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien

Автор: Otto Ernst Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066113445

isbn:

СКАЧАТЬ nicht?«

      »Ja!«

      »Da machen wir einfach 'ne Tür hinein, und denn ist das 'n Ziegenstall.«

      Da riß mir die Geduld.

      »Roswitha,« sagte ich ernst, »nun hörst du endlich auf mit deiner Ziege, nun hab' ich's satt. Du bekommst keine Ziege, und damit basta. Schrumm!«

      »Schrumm« hätte ich vielleicht nicht sagen sollen; es paßt nicht in den Ernst eines Ultimatums.

      Aber die Absage wirkte. Roswitha sprach weder von Stall noch Ziege mehr, nicht einmal andeutungsweise, nicht einmal zu den Geschwistern. Sie ging fortan still einher, aber nicht etwa traurig, nicht etwa gedrückt, nein, nur mit der stolz zusammengerafften Kraft eines Entsagenden, der das Unvermeidliche trägt, weil es getragen werden muß, und sich für die verlorenen Freuden der Welt durch gesteigertes Innenleben entschädigt.

      Es war ja vielleicht etwas hart von mir, ihr die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches zu versagen. Aber meine Frau sowohl wie ich haben nach Begabung und Lebensgang so entsetzlich wenig mit Viehzucht gemein, daß wir uns geradezu davor fürchteten, uns so ein Geschöpf auf den Hals zu laden. Und schließlich soll man seinen Kindern doch auch nicht jeden Wunsch erfüllen. Sie werden ja schon ohnedies viel zu sehr verwöhnt. Es kann ihnen gar nichts schaden, wenn sie einmal mit ungestümer Nase gegen eine verschlossene Tür rennen. Das Leben wird ihnen mehr solcher Türen zeigen. Roswitha schien durch ihren Verzicht gesetzter, ihre Augen, ihr ganzes Gesicht schien seelenvoller geworden zu sein.

      Meine Frau und ich kamen spät in der Nacht aus fröhlicher Gesellschaft heim und wollten uns eben zur Ruhe begeben, da sahen wir auf dem Nachttischchen einen Brief liegen. Auf dem Umschlag stand: »An Mammi und Pappi« von Roswithens Hand. Wir öffneten und lasen gemeinsam:

      »Meine süßen geliebten Wonne-Eltern bitte bitte schenkt mir doch eine ganz kleine Ziege, ich will auch gar nichts zu meinem Geburztag und zu Weinachten haben und ich will mir auch schrecklich Mühe in der Ortografi geben, Du sollst sehen, Mammi, wenn ich groß bin, schreib' ich gans richtich, und ich will auch ein guter Mensch werden und garnicht mehr heftig und jezornig sein. Ich bitte euch so schrecklich, schenkt mir 'ne Ziege, wenn Mutti mich unterrichtet denk ich immer blos an die Ziege. Tausend Billionen Küsse von eurer

      Roswitha.«

      Was soll ich weiter sagen – am nächsten Morgen bewilligten wir die Ziege. Die Wirkung war von ungeahnter Art. Roswitha wollte auf uns zueilen; aber plötzlich warf sie sich auf einen Stuhl und brach in ein herzbrechendes Schluchzen und Wimmern aus.

      Entsetzt liefen wir hinzu: »Was ist denn? Was fehlt dir, Kind?«

      »Uuhuhuhuu, ich freu' mich so – ich freu' mich so, uuhuhuhuuu!«

      Solange sie um ihre Ziege gerungen hatte, hatte sie nie – das mußte man ihr lassen – hatte sie nie versucht, durch Tränen auf meine Stimmung zu drücken. Jetzt brach die aufgestaute Flut mit Allgewalt hervor.

      Sobald sie sich beruhigt hatte, machte sie sich auf den Weg, um den Jungen mit der Fünfzehn-Groschen-Ziege zu suchen. Sie fand ihn auch, und er verpflichtete sich hoch und heilig, am folgenden Tage die Ziege zu liefern. Wenn die folgende Nacht ihr die Wiesen des Traumes zeigte, so waren sie gewiß alle, alle voll Ziegen.

      Der folgende Tag kam, aber mit ihm kein Junge und keine Ziege. Sie harrte geduldig bis in den sinkenden Abend und sagte dann: »Na, er hat wohl keine Zeit gehabt: er kommt morgen gewiß; er hat es mir ganz fest versprochen.«

      Allein der meineidige Bube kam auch am folgenden Tage nicht. Roswitha suchte ihn durchs ganze Dorf, viele Stunden lang, aber vergebens; nach seiner Wohnung hatte sie im Taumel der Freude nicht gefragt. Sie ging schweigend zu Bett; aber als meine Frau sie in der Frühe weckte, war ihr Kopfkissen naß von Tränen.

      »Hast du heute nacht geweint, Kind?« fragte die Mutter.

      »Ich weiß nicht,« antwortete Roswitha. Sie wußte es wirklich nicht.

      Inzwischen war ein provisorischer Stall gezimmert worden, und es war die Nachricht eingetroffen, ein Bauer im Dorfe habe Ziegen zu verkaufen. Da zogen Herta, Roswitha und Männe mit einem Blockwagen aus, um eine Ziege zu suchen, und fanden ein Königreich. Eine gute halbe Stunde später – Männe als Läufer mit fliegender Zunge vorauf – hielt Höppli (so wurde er der Kürze wegen genannt), von den beiden Mädeln gezogen, im Triumphblockwagen seinen Einzug. Seinen Einzug; Höppli war nämlich ein kleiner Bock.

      Ich muß gestehen, daß mich bald ein Reuegefühl über meine lange, hartnäckige Weigerung ergriff. Es war ein schneeweißes und wirklich allerliebstes Tierchen; Roswitha hängte ihm ein seit Jahren bereit gehaltenes, gesticktes Halsband mit einem Glöckchen um, und in seinen Sprüngen war der ganze, entzückend ahnungslose Humor eines jungen Mannes. Und wenn Roswitha das Tierlein auf den Schoß nahm und ihm die Saugflasche gab, und Männe die vorbeifließenden Tropfen leckte, dann versammelte sich nicht nur die ganze Familie zu dieser feierlichen Handlung, nein, die Leute auf der Straße blieben staunend stehen und riefen: »Nein, wie ist das reizend!« Dann sprang Roswithas Herz genau wie das Böcklein.

      Wenn aber Höppli durch die Straßen spazieren sprang, dann folgte ihm ein Ehrengeleite von 23 Nachbarskindern, ganz wie bei einem Kaiser oder König, und besonders dekorativ wirkte Peter Petersen in Helm und Panzer der Gardekürassiere und mit dem Daumen im Munde. Höppli war die Sensation der Straße, war der Clou der Saison, und als das 23er-Kollegium erklärte, Höppli sei noch viel schöner als jene Nachbarsziege, die inzwischen eine alte Ziege geworden war, da stand Roswitha auf dem Gipfel ihres Glückes.

      Indessen: Roswitha hatte täglich drei oder vier Stunden Unterricht bei der Mutter, mußte außerdem Klavier spielen, gelegentlich zum Turnen oder Zeichnen gehen und auch sonst allerlei außer dem Hause besorgen. Es fiel Höppli nicht im Traume ein, sich das stillschweigend gefallen zu lassen; er verlangte Gesellschaft. Zwar widmete Männe sich ihm mit der weisen Nachsicht und Güte eines gereiften Pädagogen; aber Höppli verlangte Damengesellschaft. Und wenn die nicht da war, so begann er augenblicklich in Zwischenräumen von vier Sekunden zu meckern. Das fanden wir während der ersten zehn Minuten furchtbar komisch, während der zweiten langweilig, während der dritten lästig und während der vierten zum Rasendwerden. Und Höppli wuchs, und mit ihm wuchs seine Stimme. An der Hand meines Chronometers stellte ich fest, daß er 15 mal in einer Minute meckerte, das macht in der Stunde 900; wenn man täglich nur sechs Stunden des Alleinseins rechnete, für den Tag 5400, für die Woche 37 800 mal.

      Die Klavierstunden mußten abgebrochen werden; ein Musizieren war natürlich nicht möglich. Meine Frau mußte mit ihrer Schülerin in den bombenfesten Vorratskeller flüchten. Ich zog mich, um arbeiten zu können, ins hintere Turmzimmer zurück, allein vergeblich; wenn ich auch physisch kein Meckern vernahm, mein inneres Ohr hörte pünktlich jede vierte Sekunde ein deutlich vernehmbares »Mäh!« Drei lyrische Produkte dieser Zeit kamen tot zur Welt; ein Roman starb als Embryo, ein Trauerspiel bereits im Keime. Nicht jeder Bocksgesang wird zur Tragödie: das hatte ich schon vorher an der erotischen Dramatik unserer Tage wahrgenommen.

      Aber das alles war noch Kinderspiel. Hübsch wurde es erst, als die Nachbarschaft – und mit Recht – sich empörte. Der Nachbar zu unserer Linken holte sein Grammophon, das er mir zu Gefallen eingewickelt hatte, wieder hervor, stellte es ans offene Fenster und ließ es zehnmal stündlich »Das Herz am Rhein« singen. Ein anderer brannte allabendlich Kanonenschläge ab, die sehr gut gearbeitet sein mußten. Ein dritter, der ein fabelhaft stimmbegabtes Baby hatte, stellte es in seinem Kinderwagen hart an den Zaun meines Gartens. Es schrie etwas abwechslungsvoller als der Ziegenbock, und das erfrischte vorübergehend; aber auf die Dauer wurde es doch eintönig und so lästig, daß ich verzweiflungsvoll СКАЧАТЬ