Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ vor der gerechten Wut des Volkes zu verteidigen. Was Wali und Kaimakam und Bimbaschi und Jüsbaschi nicht gelungen ist, das habt ihr, die Führer und Verantwortlichen, glänzend zustande gebracht: Wir sind fertig!«

      Die Dorfschulzen sanken kleinlaut zusammen. Nur einer ließ sich nicht so leicht niederschmettern, der steinreiche Thomas Kebussjan. Pantoffelhelden, die zu Hause den Mund nicht auftun dürfen, halten sich bekanntlich oft im Männerrat schadlos. Kebussjan begann energisch zu schielen und mit dem Kopf zu wackeln. Jene glücklichen Leute, höhnte er, die nichts von Viehzucht und Wirtschaft verständen, hätten es leicht, sich wichtig zu machen. Er, ein Thomas Kebussjan, habe niemals verantwortungslos gehandelt. Jeder wisse, daß er sich bei Tag und Nacht für das Gemeinwohl aufopfere, Jahre und Jahre, seitdem er das verfluchte Kreuz der Ortsverwaltung auf sich genommen habe. Ein Ratsbeschluß und seine Ausführung, das sei zweierlei. Hätte er nicht geduldet, daß man neue Weiden finde, wären die Tiere schon vor vierzehn Tagen eingegangen, und kein Mensch müßte mehr Hunger leiden, einfach deshalb, weil alles längst schon verhungert wäre. Daß aber die neuen Weideplätze nicht durch bewaffnete Abteilungen geschützt waren, das gehe ihn nicht das geringste an, denn nicht er sei in Sachen der Verteidigung zuständig und verantwortlich. Im übrigen aber habe er nichts dulden können, weil er etwas Gewisses gar nicht gewußt habe. Und Thomas Kebussjan schloß mit folgendem stolzen, aber unlogischen Hinweis:

      »Was wollt ihr von mir? Die Hälfte der Herden war mein Besitz und meine Mühe. Ist das nicht so? Ihr habt nur wenig verloren, ich aber alles.«

      Die dreiste Großartigkeit des reichen Muchtars von Yoghonoluk machte den andern Schulzen Mut, die ihrem Kollegen nicht nachstehen wollten. Der von Azir warf Ter Haigasun, um dessen Undankbarkeit zu geißeln, frisch an den Kopf, er habe im Vorjahre bei Geburt seines zwölften Enkels der Kirche von Yoghonoluk hundert Piaster gespendet; ob diese fromme Tat schon vergessen sei? Nun hatten die Muchtars Wind in den Segeln. Ein tolles Prahlen begann. Jeder berief sich auf Opfer, Spenden, Wohltaten, die er einmal in lang verlorener Zeit gebracht und geleistet hatte. Die Ziffern der Almosen, die Zahl der Armenausspeisungen, die verschenkten Ziegen und Schafe, die Summen des für mittellose Volksgenossen entrichteten Bedels, all diese Beweise christlichen Wandels flogen tränenreich durch die Luft. So erheiternd war diese dummschlaue Abschweifung vom bitteren Gegenstand, daß Bedros Hekim, der Menschenkenner, in genießerisches Lachen ausbrach.

      Die Augen Ter Haigasuns forderten Aram Tomasian zum Wort. Dieser fühlte sich durchaus nicht wohl in seiner Haut. Obgleich er unmittelbar mit den Herden nichts zu tun hatte, so war er doch der oberste Verwalter des Lagerlebens und mithin für alles verantwortlich, was mit der Ernährung zusammenhing. Das schmale Gesicht des Pastors war äußerst blaß. Seine langen spitzen Finger spielten angelegentlich mit dem schwarzen Bärtchen, das ihm lästig zu sein schien. In dieser Sekunde zitterte zwischen dem gregorianischen Vikar und dem protestantischen Pfarrer eine stille Gegnerschaft, die sonst nie zutage trat. Aram Tomasian erhob sich:

      »Meine Meinung ist, es wäre besser, von der Schuld nicht mehr zu reden. Denn was hilft das? Geschehen ist geschehen! Ter Haigasun sagt selbst, daß wir Einigkeit zeigen müssen. Wir wollen nicht rückwärts, sondern vorwärts blicken und uns den Kopf zerbrechen, wie Ersatz zu schaffen ist.«

      Dies war eine zwar verständliche, aber unsichere Rede. Ter Haigasun zerschlug sie mit einem Fausthieb:

      »Es gibt keinen Ersatz!«

      Zu den Muchtars aber stieß plötzlich aus dem Hinterhalt unerwartet ein neuer Verbündeter. Hrand Oskanian, der sich früher um Juliettens willen täglich rasiert hatte, was bei dem Mangel an Seife ein stiller, aber redlicher Heroismus war, sah nun völlig verwahrlost aus. Der Bart wucherte ihm bis an die Nasenflügel. Die struppigen Stachelhaare umkränzten ungekämmt die kurze Stirn. Mit seiner spitz vorspringenden Hühnerbrust und den langen, tief unten rudernden Armen machte der schwarze Lehrer tatsächlich den Eindruck eines fanatisierten Affen. Vielleicht war der Schweiger von seiner Überzeugung wirklich besessen, vielleicht packte er nur die Gelegenheit beim Schopf, sich an Juliette, an Gabriel, an Ter Haigasun und allen andern Überlegenen zu rächen, aus seinem Munde jedenfalls sprudelte mit wilden Silbenexplosionen das alte Lied:

      »Wollt ihr die Wahrheit immer noch nicht sehen? Seit sieben Tagen schon predige ich sie, schreie mir die Lunge aus, um euch zu überzeugen. Da habt ihr nun endlich den Beweis! Und ihr streitet um die Schuld? Und Ter Haigasun will Volksgenossen für diese Schuld erschießen lassen?! Ich stelle hiermit die Frage an ihn, welchen Grund er hat, den Blick des Führerrates von der Wahrheit abzulenken? Warum leugnet er immer wieder, daß wir verraten worden sind? Wen will er damit schützen? Hätten die Türken von den neuen Weideplätzen ohne Verrat jemals etwas erfahren?? Nie, nie! Diese Weiden sind vollkommen abgeschlossen und zwischen den Felsen versteckt. Kein Ortsfremder konnte sie je entdecken. Gonzague Maris aber hat überall herumgeschnüffelt. Und das ist ja erst der Anfang. Nächstens werden die Türken mitten im Lager auftauchen. Der Grieche wird sie über den Steilpfad der Felsseite, die er ja genau studiert hat, auf den unbeschützten Berg führen.«

      Das ließen sich die Muchtars nicht zweimal sagen. Diese neuartige Deutung der Ereignisse gab ihnen alle Würde zurück, obgleich sie keinen Augenblick daran glaubten. Thomas Kebussjan himmelte sorgenvoll im Kreise herum. Er habe den jungen Mann nicht näher gekannt – der Anfang blieb diplomatisch –, doch sei die Aufnahme in der Familie Bagradian Gewähr für ihn gewesen, daß es sich um einen ehrenhaften Menschen handle. Nach dem Geschehenen müsse er freilich dem Lehrer Oskanian beipflichten, daß Maris wahrscheinlich ein Verräter oder sogar ein von den Türken bezahlter Spitzel war. Anders lasse sich das Unglück gar nicht erklären. Der Chor der Muchtars fiel dumpf ein. Sieben Männer können auch in einem größeren Raum, als ihn die Regierungsbaracke bot, ein gewaltiges Gemurmel erzeugen. Hrand Oskanian rührte den Stimmenbrei mit seiner knatternden Heiserkeit immer wieder auf. Ist jemand von einer fixen Idee besessen, so hat er auch die Fähigkeit, diese auf andre, ja selbst auf größere Versammlungen zu übertragen. Darauf beruht die Hauptwirkung politischer Propagandisten, die nichts andres besitzen als einen beschränkten Phrasenschatz und dämonische Eindringlichkeit der Stimme. Die Muchtars und einige andre noch gaben sich bereitwillig der von Oskanians Eindringlichkeit erzeugten Spannung hin, die zu ihrem Vorteil gereichte. Lehrer Hapeth Schatakhian konnte sich kaum vernehmlich machen. Er glühte vor Zorn gegen seinen alten Rivalen, den er schon acht Jahre an seiner Seite erdulden mußte:

      »Oskanian«, schrie er, »ich kenne dich! Du bist ein Schwindler und Gaukler! Immer warst du das, in jeder Stunde deines anmaßenden Lebens! Du willst nur Unschuldige bespeien und bedrecken. Du speist Gonzague Maris an, weil er ein gebildeter, kultivierter Mensch und fast ein Franzose ist, nicht wie du und ich in einem schmutzigen Dorf geboren und lebenslänglich dahin verurteilt. Nun, ich habe wenigstens durch die Güte von Gabriel Bagradians Bruder eine Zeitlang in der Schweiz studieren dürfen, während du dessen nicht wert warst und deine Nase nicht weiter als bis nach Marasch gesteckt hast. Ich werde es nicht gestatten, daß sich gemeine Mäuler an der Familie Bagradian wetzen, der wir alle soviel zu danken haben. Doch jetzt zu dir, Oskanian: Du bespeist nicht nur den Griechen, sondern auch Madame Juliette, weil sie dich lächerlich gefunden hat mit deinem großartigen Dasitzen, du Zwergnarr, samt deinen Gedichten und deiner Kalligraphie ...«

      Das war ungerecht. Oskanian hatte niemals seine Wünsche zu Juliette erhoben. Die Bewunderung für ihre strahlende Höhe, die schmachtende Resignation in deren Gefolge, sie war das heiligste Gefühl gewesen, zu dem sich sein eitles, unbefriedigtes Leben gegen die eigene Natur aufgeschwungen hatte. Und in diesem reinen Minne- und Madonnendienst war er geradezu mit gesetzmäßiger Tücke tödlich verwundet worden. Jetzt kreischte er nicht, sondern entgegnete mit dunkler Würde:

      »Ich brauche die Achtung deiner Französin nicht. Sie braucht vielmehr meine Achtung. Wir haben ja mit eigenen Augen sehen müssen, was das für Menschen sind, bei Gott ...«

      Und vollendet demagogisch wandte sich der Knirps an die Muchtars:

      »Ich segne unsre СКАЧАТЬ