Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ diese surrende Hornisse zu verscheuchen:

      »Ich glaube, zu diesem Fall ist kein weiteres Wort zu verlieren.«

      Oskanian schäumte auf:

      »Also der Führerrat will den Halunken mit Segenswünschen entlassen, damit er uns bereits morgen an die Türken verrät?«

      Ter Haigasun blickte gepeinigt zum Laubdach der Hütte empor, das im Winde raschelte:

      »Selbst wenn er uns verraten will, was könnte er verraten?«

      »Was er verraten kann? Alles! Die Lage der Stadtmulde! Die Weideplätze! Die Stellungen! Den schlechten Stand unserer Vorräte. Die Krankheit ...«

      Ter Haigasun schnitt diese Aufzählung mit einer müden Handbewegung ab:

      »Mit solchen Neuigkeiten wird sich niemand bei den Türken einschmeicheln. Glaubst du wirklich, daß sie so dumm sind und diese Dinge nicht alle schon wissen? Ihre Kundschafter haben nicht vergeblich jeden Winkel abgesucht ... Und außerdem ist der junge Mensch kein Verräter.«

      Die Worte des Priesters fanden volle Zustimmung in der Runde. Hrand Oskanian aber schleuderte seine Fäuste verzweifelt vor, als wollte er das entwischende Opfer an einem Zipfel festhalten:

      »Ich habe einen Antrag gestellt«, krähte er, »und ich fordere, daß du diesen Antrag ordnungsgemäß abstimmen läßt.«

      »Anträge kann jeder Schwätzer und Dummkopf stellen. Es ist aber einzig und allein meine Sache, diese Anträge zur Abstimmung zuzulassen, überflüssige Anträge lasse ich nicht zur Abstimmung zu. Merk dir das, Lehrer! Es sitzt hier übrigens niemand, der deinen Antrag nicht für niederträchtig und verrückt hält. Wer andrer Ansicht ist, erhebe die Hand!«

      Nicht eine Hand rührte sich. Der Priester nickte abschließend:

      »Und damit ist es ein für allemal genug. Du hast mich verstanden.«

      Der Durchgefallene erhob sich stolz zu seiner geringen Höhe und wies in die Richtung des Platzes:

      »Unser Volk dort draußen hat eine andre Meinung als ihr ...«

      Hatte das Benehmen Oskanians den Ekel und Unwillen Ter Haigasuns erregt, so entfachte diese demagogische Bemerkung seinen Jähzorn. Seine Augen flammten auf. Doch er beherrschte sich schnell wieder:

      »Die Pflicht des Führerrates ist es, die Gefühle des Volkes zu lenken, nicht aber sich von ihnen lenken zu lassen!«

      Hrand Oskanian nickte mit entsagender Kassandramiene:

      »Ihr werdet an meine Worte noch zurückdenken ...«

      Ter Haigasun hielt die Augen wieder gesenkt. Seine Stimme war sehr ruhig:

      »Ich würde dir dringend raten, Lehrer Oskanian, nicht uns, sondern dich selbst zu warnen.«

      In unerquicklichster Stimmung mußte man endlose Zeit auf die Rückkehr der Gesandten warten. Der kranke Apotheker kam noch früher als der Arzt. Er war völlig erschöpft und mußte sich stöhnend auf Ter Haigasuns Diwan ausstrecken. Erst als ihn der Priester mit zwei tiefen Zügen aus einer Rakiflasche gelabt hatte, fand er die Kraft, zu berichten. Gonzague Maris hatte ihm seine Mission dadurch erleichtert, daß er auch ohne feierliche Aufforderung längst schon bereit war, den armenischen Berg in dieser Nacht zu verlassen. Er würde mit dem Aufbruch nur bis zu einer verabredeten Stunde warten, um seiner Geliebten die Möglichkeit zu geben, sich zu retten. Der Apotheker konnte nicht umhin, die vornehme Haltung seines Gastfreundes zu loben, der ihm nicht nur alles Gedruckte, was er besaß, zum Geschenk gemacht, sondern überdies noch versprochen hatte, wohin immer er auch komme, für die Verfolgten des Musa Dagh wirksam zu sein. Dieses Versprechen des Sünders aber lehnte Ter Haigasun mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Es war schon Abend geworden, ehe der andre Botschafter, Bedros Hekim, in die Pfarrhütte trat. Auch er ließ sich erschöpft niederfallen und rieb stöhnend seine krummen und verbrauchten Beine. Wortlos starrte der Alte vor sich hin, und Ter Haigasun hatte Mühe, ihn zum Reden zu bringen. Vorerst aber war das Ergebnis nicht sehr befriedigend, denn der Arzt bewegte nur brummend die Lippen, und seine schartige Stimme war kaum zu hören.

      »Die arme Frau ...«

      Diese drei Worte setzten den Muchtar Kebussjan in nicht geringes Erstaunen. Seiner eifernden Gattin eingedenk, geriet der spiegelnde Glatzkopf ins Schlingern:

      »Was heißt das? Warum ist sie eine arme Frau, diese Reiche?«

      Bedros Hekim musterte den Muchtar mit menschenfresserischen Blicken:

      »Warum? Weil sie seit mindestens drei Tagen hoch fiebert. Weil sie bewußtlos ist. Weil sie wohl sterben wird. Weil ihr niemand helfen kann. Weil sie sich im Lazarettschuppen angesteckt hat. Weil sie mir leid tut. Weil nicht sie, der Teufel soll mich holen, sondern die Krankheit schuld ist. Weil ...«

      Er schnappte ab und versank wieder in sich. Wie konnte er, ein ungelehrter Hekim, der nur fünf Jahre lang an der Wissenschaft gerochen hatte, diesen Bauern Erkenntnisahnungen begreiflich machen, die er selbst nicht verstand? Er seufzte tief auf. Lauter Nuniks, Wartuks, Manuschaks ringsumher! Und er selbst samt seinem verpfuschten Leben und dem toten Handbuch für Mediziner nichts Besseres.

      Den letzten Teil des Weges hatte Gabriel seine Frau halb geschleppt und halb getragen. Im Zelte angekommen, fiel sie aufs Bett, mit verdrehten Augen, bewußtlos. Er versuchte, sie ins Leben zurückzurufen. Was er auf dem kleinen Spiegeltisch an alkoholischen Wässern – traurig bewahrten und gesparten Resten – in die Hand bekam, schüttete er ihr auf Stirn und Lippen. Er rieb ihr Gesicht, er rüttelte ihren Körper auf. Vergeblich! Die glückliche Seele verbarg sich in der fernsten Landschaft ihrer Selbstvergessenheit. Das Fieber hatte tagelang in Juliettens Blut geschwelt. In der letzten Stunde aber mußte es hochgeschossen sein wie eine tropische Zauberpflanze. Die Haut war rauh und rot. Wie verbrannte Erde hatte sie jeden Tropfen Feuchtigkeit in sich gesaugt. Der Atem ging immer rascher und kürzer. Dieses Leben schien unwiderruflich seinem Ende entgegenzurasen.

      Da er sie nicht wecken konnte, beugte sich Gabriel über Juliette und begann sie zu entkleiden, um durch diese Erleichterung die Ohnmacht zu bannen. Er hantierte mit männlicher Ungeschicklichkeit. Dabei zerriß er Kleid und Wäsche. Dann ließ er sich auf dem Fußende des Bettes nieder und nahm ihre Beine auf den Schoß. Sie waren so schwer und geschwollen, daß er Schuhe und Strümpfe kaum von den Füßen bekam. Er bedachte es gar nicht, daß kein einziges jener Gefühle ihn erfüllte, die ein solches Erlebnis zu erwecken pflegt. Weder der schneidende Schmerz des gekränkten Selbstgefühls noch die Vorstellung, daß diese kranken Glieder vor kaum einer Stunde einem fremden Mann gehört hatten, noch auch das eisstarre Bewußtsein, die treue Bindung eines ganzen Lebens sei nun zerrissen für immer. Auf dem Grunde seiner eigenen Betäubung wohnte nur Kummer, und zwar Kummer um Juliette. Gabriel wunderte sich nicht. Ihm war's, als habe er dieses Schicksal selbst begünstigt. So unglaubwürdig dies auch klingen mag, erst Juliettens Betrug und ihr Zusammenbruch brachten ihm die längst Entfremdete wieder näher. Erst jetzt, da dieser arme Leib ihn bis an die Grenze feindseligster Wollust verlassen hatte, erinnerte er sich wehmütig seiner. Voll ängstlicher Hingabe zerrten und nestelten seine unbeholfenen Finger an den Kleidungsstücken, die so strengen Widerstand leisteten. Dann starrte er regungslos auf den großen weißen Leib, während hundert Empfindungen und Gedanken aufschossen und unausgebildet in nichts zergingen. Was war geschehen? Im Zeltwinkel sah er den Eimer voll frischen Wassers, der dort immer stand. Er tauchte Handtücher ein, um der Kranken Wickel anzulegen. Dies war kein einfaches Werk. Der Körper lag steif, und er vermochte ihn kaum aufzuheben. Gabriel dachte daran, eines von Juliettens Mädchen zu rufen, die übrigens СКАЧАТЬ