Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch) - Franz Werfel страница 143

СКАЧАТЬ waren es ein paar von den überreifen Mädchen, die sie mit ihrem schwülen Ichweißetwas herbeilockte. Andre kamen dazu. Sato zog mit Berichterstatter-Meisterschaft die prickelnde Schilderung in die Länge und genoß dabei das unbekannte Glück, Mittelpunkt zu sein. Schließlich erfuhr auch Stephan in den gemeinsten Ausdrücken und häßlichsten Bildern die Schmach seiner Mutter. Er verstand den Sinn des Geschwätzes anfangs gar nicht. Mama stand zu hoch, als daß Sato und das Gesindel sie überhaupt meinen konnten, wenn es ihren Namen in den Mund nahm. Mama (wie neuerdings auch Iskuhi) war ein verhülltes Götterbild, an dessen Beine, Schenkel, Schultern und Brüste man ohne einen fieberhaften Schauer der Entweihung selbst in tiefster Tiefe der Nacht nicht denken durfte. Immer fassungsloser stand Stephan da, während die Horde ihn selig grausam umlachte und Sato immer neue Nuancen hervorschnatterte. Sie hatte plötzlich ihren gaumigen Sprachfehler verloren und erzählte mit erfahrener Gewandtheit. Wie nämlich der Mißerfolg ein religiöses, so ist der Erfolg ein körperlich-seelisches Heilmittel. Das gesteigerte Selbstbewußtsein beseitigte in diesen Minuten Satos Sprachstörung. In Amerika und um einige Kulturgrade höher geboren, hätte sie es zweifellos zu einer angesehenen Reporterin gebracht. Stephan schwieg und seine großen Augen wurden immer größer. Dann aber war es das Werk einer Sekunde, daß er sich auf die Spionin stürzte und ihr so kräftig ins Gesicht schlug, daß ihr das Blut über Mund und Kinn zu laufen begann. Er hatte sie nicht ernstlich verletzt. Nur die Nase blutete eine Weile. Sato jedoch stieß lange gräßliche Schreie aus, als sei mindestens das Massaker über sie gekommen. Wie alle Primitiven war sie unvergleichlich wehleidiger und blutfürchtiger als ein Kulturmensch. Nun aber wandte sich das Blatt, so daß ein zynischer Beobachter seine helle Freude hätte haben können. Sato, das Randgeschöpf, der Schakal, die verjagte »Stinkerin«, wurde urplötzlich ein Gegenstand des Mitgefühls und der Achtung. Heuchlerische Stimmen erhoben sich: »Er hat ein Mädchen geschlagen.« Und die lang unterdrückte Abneigung gegen die Zugereisten, Überheblichen und Unechten brach aus. Vergessen war der Königsrang der Bagradians, den man ihnen ein paar Stunden lang nach jedem abgewehrten Angriff im stillen zubilligte. Der Urhaß gegen die anmaßenden Außenseiter blieb übrig. Mit mordgierigen Grimassen warfen sich die Buben auf Stephan und es begann teils eine Prügelei, teils eine Jagd, die sich bis zur Stadtmulde und auf den Altarplatz verzog. Hagop hielt im Gegensatz zu seinem charakterlosen Lachen während der Freiwilligenwahl jetzt sehr tapfer zu Stephan. Er hüpfte an seiner Krücke mit weiten erbitterten Sprüngen immer wieder zwischen den Freund und seine Verfolger. Haik aber war nicht da, um zu beweisen, wie er in Wahrheit zu Stephan stand. Der Aleppoläufer verbrachte die letzten Stunden auf dem Damlajik einsam mit der Witwe Schuschik, seiner Mutter. Der Bagradiansohn floh zwar vor dem Rudel, war aber dennoch stärker und größer als die meisten. Hängten sich ein paar an ihn, so schüttelte er sie ab wie der Bär die Hunde. Bekam er jedoch einen wirklich zu fassen, dann schmiß er ihn so gründlich hin, daß ihm Hören und Sehen verging. Mag es auch der allgemeinen Überzeugung widersprechen, das Stadtkind zeigte sich den Naturkindern an Körperkraft weit überlegen. Diese Verfolgung stellte den Respekt zwischen den Jägern und dem Wild wieder her. Das Geheul aber holte alle Bewohner der Stadtmulde aus den Hütten auf den Altarplatz. Nun war wieder Sato an der Reihe, mit ihren Berichten zu glänzen. Die Horde ließ von Stephan ab, der sich in Sicherheit bringen konnte. Es trieb ihn mächtig zu den Eltern. Auf dem Wege zum Dreizeltplatz aber schlug er plötzlich einen Haken und legte sich irgendwo ins Gras. Ein gräßlicher Schmerz wollte ihm die Kehle zerquetschen: Ich kann nicht mehr nach Hause.

      Die Rauferei der Halbwüchsigen vollendete nur das Werk, das die Muchtarinnen unter Führung der Kebussjan schon begonnen hatten. Ehe noch die Dämmerung da war, wußten die Gemeinden alles, und zwar um zahlreiche entrüstungfördernde Ausschmückungen vermehrt. Es war die Stunde, in der aus irgendwelchen Wettergründen der Bergbrand am dichtesten zu qualmen pflegte. In mehreren schwärzlichen Schichten lagen die Wolken über der Stadtmulde, und der ätzende Harzrauch reizte die Schleimhäute und die Herzen. Das Niesen, Schneuzen, Räuspern wurde zu einer schweren Plage. Sie steigerte die Empörung. Wie? War es wirklich möglich? Das Volk des Musa Dagh, das vor zwei Tagen knapp dem Tode entgangen war, um dem Tod über kurz oder lang nicht wieder zu entgehen, konnte sich in seiner verzweifelten Lage über diese Geschichte so tief erregen, die noch dazu unter Fremden spielte? Darauf gibt es nur eine Antwort: Gerade weil es Fremde waren, nahm die lang gehegte Mißgunst jetzt die Gelegenheit wahr, sich laut zu offenbaren. Solange in der friedlichen Talzeit Juliette ihr Haus in Yoghonoluk geführt hatte oder als strahlende Reiterin auf den holprigen Dorfwegen erschienen war, so lange hatte man sich vor der Fremden gebeugt und gerade das Fremde an ihr als das Unerreichbar-Höhere bewundert. Durch die Ereignisse aber, durch das neue Leben auf dem Musa Dagh, durch die Führerschaft Gabriel Bagradians war alles gewaltig verändert. Juliette Hanum spielte nicht mehr die unverbindliche Rolle einer unter Armenier verschlagenen Französin, sondern sie war mit dem Volke nunmehr auf Tod und Leben verbunden, sie war ihm verantwortlich. Gabriel Bagradian konnte hundertmal das Sonderschicksal und die Sonderrechte seiner Frau betonen, das Gefühl des Volkes gewährte ihr sie von Tag zu Tag weniger. Die Königin, die Gemahlin des Königs in einer Monarchie, ist stets eine Fremde, wird aber gerade deshalb mit verschärfter Strenge zur Verantwortung gezogen. Juliette hatte sich in diesem Sinne nicht nur gegen ihren Gatten vergangen, sondern auch gegen sein Volk, und zwar nicht mit einem armenischen Manne, sondern mit dem einzigen Fremden, den es hier außer ihr gab. So merkwürdig es klingen mag, diese Liebeswahl entschuldigte sie nicht nur nicht, sondern bewies sogar neuerdings kränkende Absonderung und Überheblichkeit.

      Zwei Tage nach der blutigsten der drei Schlachten, die mehr als hundert Familien in Trauer gestürzt hatte, standen die in ihrer Tugend verwundeten Gruppen voll Entrüstung auf dem Altarplatz, als gebe es für diesen todumbrandeten Stamm keine wichtigere Sorge als die Schmach des Hauses Bagradian. Es waren nicht die ganz alten Frauen und auch nicht die ganz jungen, die den Ton dieser Entrüstung angaben, sondern jene matronenhafte Altersklasse zwischen fünfunddreißig und fünfundfünfzig, die im Orient viel älter wirkt, als sie ist, und sich nur mehr an den Freuden der anderen und an übler Nachrede ergötzen darf. Die jungen Mädchen und Frauen waren ziemlich still und hörten mit nachdenklichen Mienen das Gekeife der Würdigen an. Sie hatten alle sehr blasse Gesichter, diese jungen Frauen. Ihnen bekam das Leben auf dem Damlajik am schlechtesten. Blutarm und verfallen sahen sie unter ihren Kopftüchern und Mützen aus. Die Armenierin, auch die der niederen Stände, ist zart und feingliedrig in ihrer Jugend. Angst, Leid, Entbehrung hatten die jugendlichen Frauen der Stadtmulde noch gebrechlicher gemodelt. Sie nickten ernsthaft zu den Schmähungen der Matronen und beteiligten sich dann und wann selbst mit einer Bemerkung an dem schwülen Schimpf. Dennoch konnten sie sich derzeit über eine ehebrecherische Frau nicht allzu aufrichtig entrüsten, wußten sie doch zu gut, was ihrer und aller armenischen Weiber wartete. Nicht der einfache Tod etwa, sondern der Tod durch Notzucht, wenn nicht etwa das große Glück lachte, daß ein reicher Türke sie den Saptiehs für seinen Harem abkaufte, wo sie dann damit zu rechnen hatte, von den alteingesessenen Frauen ins Jenseits gepeinigt zu werden.

      Die Fäden der moralischen Volksempörung hielt niemand andrer in der Hand als Frau Kebussjan. Nun war für sie die Stunde gekommen, der Schloßherrin von Yoghonoluk (die sich freilich immer gütig zu ihr benommen hatte) die Fülle der unbehaglichen Demütigungsgefühle während jener Empfangsabende heimzuzahlen. Und mehr als dies noch, die Stunde war für die Muchtarin gekommen, den Rang der Ersten Frau wiederzuerobern. Sie war so klug, sich nicht allein auf den unmittelbaren Anlaß der Entrüstung, auf die Ehesünde, zu beschränken, sondern sehr bald auf noch nahrhaftere Gebiete des Neides abzuschwenken. Da habe man nun die Wahrheit über die Hanum, die Französin, die hohe Herrin, die es wage, vor den Augen der Hungrigen das üppigste Leben zu führen. Sie, die Muchtarin, kenne sich in jenen luxuriösen Zelten aus, wohin man sie immer und immer wieder bis zum Überdruß einlade. Sie habe die Schränke, Koffer und Kisten des zuchtlosen Weibes mit staunenden, aber erbitterten Augen mehr als einmal geprüft. Von diesem Reichtum könne sich niemand einen Begriff machen. Unmengen von Reis, von Kaffee, von Rosinen, von Büchsenfleisch, von geräucherten und geölten Fischen, von allen Leckerbissen des Abendlandes seien in den Zelten aufgestapelt, Süßigkeiten ohne Ende, Konfekt, Schokolade, verzuckerte Früchte, und vor allem feines süßes Brot, zarter Zwieback und Kuchen. Die Milch der beiden Kühe werde sorgsam abgerahmt, damit für den Haushalt der Dame Butter und Sahne im Überfluß vorhanden sei, während sich СКАЧАТЬ