Die Ökonomie der Hexerei. David Signer
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СКАЧАТЬ selbst. „Man wird mich ermüden, fertig machen.“ Das ist buchstäblich zu nehmen. All die selbst ernannten petits-frères würden den lieben langen Tag in seiner Kabine sitzen und ihn mit ihrem Gejammer an den Rand des Nervenzusammenbruchs treiben. Er kann ja nicht weg, er ist ihnen ausgeliefert! „On va gâter mon nom“, sagt er auch. „Man wird meinen Namen in den Schmutz ziehen.“ Das hieße, die Kunden blieben aus. Es gibt genug andere Kabinen in der Umgebung.

      Aber vor allem kann einen jemand, den man erzürnt hat, verhexen.

      „Die Hexen sind überall, du kannst ihnen nicht entfliehen. In Windeseile fliegen sie von hier nach Paris.“

      „Was kann man dagegen tun?“

      „Vor allem musst du freundlich sein mit allen. Wenn dich jemand um einen Gefallen bittet, solltest du ihn nicht ausschlagen. Du musst immer daran denken, dass es dir besser geht als vielen anderen. Vor allem in der Familie. Die Leute, die Angst vor Hexen haben, sind vor allem Junge, die in die Stadt gekommen sind und sich seit Jahren nicht mehr im Dorf haben blicken lassen. Jetzt schämen sie sich. Man muss für die ärmeren Verwandten sorgen, sonst tun sie dir etwas an. Ich schütze mich auch mit einem Koranvers, den mir mein Onkel gegeben hat. Manchmal schreibe ich auch Koranverse auf die Tafel, wasche sie ab und trinke das Wasser. Es ist schwierig, hier vorwärts zu kommen. Ich kenne einen Ort, wo neunzig Prozent der Jungen ausgewandert sind. Immer will jemand etwas von dir, und wenn du es ausschlägst, machen sie dir das Leben zur Hölle. In Afrika arm geboren zu werden, heißt arm zu sterben. Der Faule ist schlauer als der Fleißige, denn beide bringen es gleich wenig weit, bloß dass der eine ein leichteres Leben hat als der andere.“

      Das Schicksal Abous erinnert an jene moderne Legende, die in verschiedenen afrikanischen Ländern kursiert und von einem Mann erzählt, der Gott begegnete. Der Allmächtige versprach, ihm zu geben, was immer er begehrte – und seinem Bruder das Doppelte. Der Mann dachte an eine Frau, ein Haus, ein Auto, aber die Vorstellung, dass sein Bruder zwei davon hätte, war ihm unerträglich. Schließlich bat er Gott: „Stich mir ein Auge aus.“

      Um diese Thematik des Neids kreist – nebst anderem – die vorliegende Studie. Sie beruht auf Feldforschungen, die ich im September/Oktober 1994 in der Elfenbeinküste begann, im März/April 1996 ebenda fortführte und vom August 1997 bis Sommer 2000 in einem größeren Rahmen, der auch Mali, Burkina Faso, Guinea und Senegal umfasste, weiterverfolgte.

      Hexerei ist ein fait social total. Die sozialen, ökonomischen und zum Teil auch die politischen Aspekte lassen sich tagtäglich und überall beobachten. Die religiöse Seite nicht, denn sie hat ihre genau zugewiesenen Orte, Personen und eine abgestufte Geheimhaltungspraxis. Einen großen Teil meiner Forschungszeit verbrachte ich mit den dafür zuständigen Spezialisten: Féticheur, Heiler, Priesterin, Tradi-Practicien, Komian, Marabout oder wie immer man diese Fachleute für Hexerei, Antihexerei und Geister, aber auch für Krankheiten, Heilpflanzen und Behandlungen nennen will. Die zwei Menschen, denen ich in dieser Hinsicht am meisten zu verdanken habe, sind Tiegnouma Coulibaly und Clémentine Roger.

      Tiegnouma Coulibaly ist ein Bambara aus Mali, der in Abengourou im Osten der Elfenbeinküste wohnt und praktiziert. Ich glaube sagen zu können, dass wir im Laufe der Jahre, in denen wir uns kennen, zu Freunden geworden sind. Ich habe ihm Einblicke in meine Welt gegeben, aber vor allem er mir in seine und in jene von andern Féticheurs, die wir in der Elfenbeinküste, in Mali und Guinea zusammen besucht haben.

      Clémentine Roger ist eine Abouré in Abidjan. Durch sie habe ich zum einen viel über die traditionellen Auffassungen der Akan über diese Dinge erfahren (insbesondere auch durch die Kontakte, die sich durch sie zu ihrem Herkunftsort Bonoua ergaben, wo ich andere Féticheusen aus ihrer Verwandtschaft kennen lernte), zum andern aber auch über die besondere Perspektive einer Frau, die, wie sie, praktizierende Féticheuse ist, zugleich jedoch gebildete Angehörige eines großstädtischen Mittelstands, und größtenteils eine ebensolche Kundschaft betreut. Auch mit ihr verbindet mich zu viel, als dass ich einfach von einer Informantin (und wäre es eine „Hauptinformantin“) sprechen könnte. Einen großen Teil meiner Forschung verbrachte ich reisend, mit Coulibaly, aber auch mit andern Heilern und mit Griots (auf die ich noch zurückkommen werde). Einen Höhepunkt in dieser Hinsicht stellte eine Reise dar, die ich mit Coulibaly in sein Heimatdorf Tiengolo im Westen Malis unternahm. Neben der Bekanntschaft mit seinem Vater, ebenfalls ein bekannter Heiler, ergaben sich Kontakte mit zahlreichen andern Féticheurs und Marabouts in den umliegenden Dörfern.

      Diese Art der teilnehmenden Beobachtung – mit einem Heiler an seinen Herkunftsort zu reisen – erwies sich als äußerst fruchtbar in mehrerer Hinsicht. Erstens ist das Reisen eine zwanglose Möglichkeit, viel Zeit miteinander zu verbringen, Raum für Gespräche zu haben und Alltagsverhalten mitzuerleben. Zweitens erleichtert die Begleitung eines Heilers den Zugang zu andern Heilern (die in diesem Fall entweder mit ihm verwandt oder seine ehemaligen Lehrmeiste sind), und zudem können die beobachteten Heilmethoden nachher diskutiert werden – aufgrund der Konkurrenzsituation oft auch durchaus kritisch. Drittens stellt die Rückkehr eines Arrivierten (wie es Coulibaly gemessen an seiner Herkunft zweifellos ist) in sein Heimatdorf quasi die Verhexungssituation par excellence dar. Auf einem solchen Rückkehrer lastet die Verpflichtung, seinen gewonnenen Reichtum zu verteilen. Tut er das nicht, gilt er als Egoist, zieht Neid auf sich und also möglicherweise auch Verhexung. Viertens erlebte ich diesen sozialen Druck, der auf dem Arrivierten lastet, gewissermaßen am eigenen Leib, indem ich für diese Erwartungen als Coulibalys „Überdruckventil“ fungierte und geben musste, wenn jener nicht mehr konnte. Das eigene Involviertwerden in diese Erwartungen und die Aggressionen bei Nichterfüllung verschafften mir wohl auch manche vertieften Einsichten in die Psychodynamik von „Verhexung und Gegenmaßnahmen“. Fünftens ermöglichte die Bekanntschaft mit seiner ganzen Familie und weiteren Verwandtschaft auch eine psychologisch differenziertere Betrachtung seiner Lebensgeschichte, einer Lebensgeschichte, die von einer leidensvollen Kindheit und Jugend gezeichnet ist und die in mancher Hinsicht als typisch für viele Heilerbiografien – zumindest dieser Region – gelten kann.

      Ich wiederholte diese Methode später mit dem Griot Baba Diarrasouba, einem Bwaba, mit dem ich, nachdem ich auch ihn schon länger kannte, von seinem jetzigen Wohnort Ferkessédougou im Norden der Elfenbeinküste eine Reise in sein Dorf Koumbara im Westen von Burkina Faso unternahm, die sich wiederum als äußerst aufschlussreich erwies. Auch sein Vater ist ein bekannter Heiler, der mir Kontakte zu verschiedenen andern Heilern der Umgebung ermöglichte. Darüber hinaus ist Baba Diarrasouba als Griot für das Erzählen von Familiengeschichten, Anekdoten, politischen Ränkespielen und Gerüchten prädestiniert und verfügt über ein immenses Netz von Kontakten durch alle Schichten und Landesteile, was ihn zu einem wunderbaren Reise und Gesprächspartner macht. Aber auch bei ihm stellte sich der ganze Komplex von Rückkehr, Verteilen-Müssen, Imponieren-Wollen (aber mit dem Vater und dem größeren Bruder nicht konkurrieren zu dürfen), Angst vor dem Vorwurf, unsozial zu sein usw., als äußerst konfliktreich dar.

      Bei Erstkontakten mit Heilern und Heilerinnen realisierte ich rasch, dass es am einfachsten und ergiebigsten war, sich anstatt als Forscher (was meist bloß zu Missverständnissen führte) direkt als Klient einzuführen, um die praktizierten Methoden sogleich „von innen“ zu erleben. Das wird dadurch erleichtert, dass von einem Kunden gar nicht erwartet wird, dass er ein konkretes Problem präsentiert, sondern es am Heiler (der immer auch Wahrsager ist) liegt, den Grund des Kommens herauszufinden. Und erfindet auch immer etwas.

      Ein „Aha-Erlebnis“ stellte für mich das Recherchieren eines Falles von Hexereiverdacht in Grand-Béréby dar. Nach einer Art Schneeballprinzip suchte ich immer neue Involvierte auf, die mich dann wiederum auf andere Beteiligte verwiesen. Das Interessante an dieser Geschichte (sie findet sich im Kapitel „Es soll dir nicht besser ergehen als mir“) ist, dass sie völlig ohne Institutionalisierung vor sich ging. Der Hexereiverdacht gegen die besagte Frau wurde eines Abends – nachdem der zugrunde liegende Konflikt sich seit einigen Wochen zugespitzt hatte – in einem Restaurant vor mehreren Gästen ausgesprochen СКАЧАТЬ