Die Ökonomie der Hexerei. David Signer
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СКАЧАТЬ lassen. Paradox: Gerade die Extremform von Übertragung und Irrationalität als Erkenntnisinstrument, als Möglichkeit, die eigenen ewigen Übertragungen zu überschreiten und etwas Neues zu sehen. Sich verlieben als Aufweichung des Eigenen, das dem Nicht-Eigenen den Eintritt ermöglicht. Sich verlieben, nicht nur in eine Frau oder in einen Mann, sondern in eine ganze neue Welt. Sich verausgaben, sich ausliefern, nicht aus Schwäche, sondern als Stärke, wie der heidnische Bischof, der sich verschenkt, wie der Agronomiestudent, der sich verwickeln ließ ohne es eigentlich zu wollen, einfach indem er da war. Teilnehmende, Anteil nehmende Beobachtung.

      Coulibaly pflegte gerne zu sagen: „Pour gagner des connaissances et des secrets, il faut se déplacer.“ Mir gefällt das Wort „deplatzieren“, weil es Assoziationen wachruft an (inneres und äußeres) Deplatziert-Sein, Fehl-am-Platz-Sein, Durcheinanderbringen, Versetzung, Versetzt-Werden oder sogar Entsetzen. Es erinnert daran, dass Erkenntnis immer auch etwas mit Umbau zu tun hat und nicht ohne eine Phase der Bewegung, des Bröckelns, des Schlitterns, ja des Chaos oder der Zerstörung eintreten kann. Kurz: Dass keine Verschiebung im Übertragungsgefüge (ein bescheideneres Wort für Erkenntnis), kein Übergang, kein Übertritt ohne Übertretung, ohne Fehler, ohne faux pas eintritt. Insofern muss man aus Übertragung und Übertretung nicht eine eigene Methode machen. Übertragungen und Übertretungen ergeben sich, sobald eine Beziehung da ist, sie sind die Beziehung. Aber es ist etwas anderes als Beobachtung, die eine saubere Trennung von Subjekt und Objekt voraussetzt, ein Subjekt, das seine Unkontaminiertheit durch das Objekt zur Voraussetzung der Objektivität macht. Demgegenüber würde ich eher eine Radikalisierung und Generalisierung der Erkenntnistheorie vorschlagen, die in gewisser Weise in der Psychoanalyse impliziert ist: Ich erkenne das Objekt nur insofern, als es Subjekt – also Teil von mir selber – wird.

      Denn letztlich sind wir blind; wir haben keinen unmittelbaren Zugang zu einem Außen. Die Psyche kann nur Psychisches wahrnehmen und verarbeiten. Die Realität ist nur als psychisch konstruierte zugänglich. Insofern finde ich eine Passage zum Andern letztlich nur durch Introspektion und nur in dem Maße, indem der Andere in mir selber gegenwärtig, vertreten, anwesend, wirksam wird. In dem Maße, in dem ich selber zum Erkenntnisinstrument werde, an mir selber etwas ablesen kann, indem ich mich zum Objekt des Objekts machen lasse. Psychoanalytisch würde man von Gegenübertragung sprechen, von Introjektion und Projektion, von Identifikation oder auch von projektiver Identifizierung. In Afrika würde man es Besessenheit oder Verhexung nennen, im Falle eines Heilers und seines Patienten Hellsichtigkeit, double vue oder Telepathie. Indem ich mich – zumindest partiell – fernsteuern lasse, bekomme ich eine Ahnung von den Umrissen und Kräften des andern – und er von den meinen: Denn Übertragung, Übertretung, Verliebtheit, Verführung, Beziehung ganz allgemein bedeuten ja, dass „Mein“ und „Dein“ sich ineinander falten.

      Sich aber auch gegenseitig begrenzen, stören oder sogar zerstören: Jede Wahrnehmung ist in gewisser Hinsicht „projektive Identifizierung“, in dem Sinne, als ich das Andere nur identifizieren kann, indem ich Bilder von schon Bekanntem darüber lege, darauf projiziere. Insofern wird das Nicht-Eigene immer dem Eigenen assimiliert. Auf der andern Seite werde ich selber zum Objekt von Übertragungen, Projektionen, Zuschreibungen, die nicht ohne Folgen bleiben: Das Eigene wird immer wieder von Fremdem aufgeraut, durchkreuzt, aufgestört. Damit wird meiner Aneignung des Andern eine oft verwirrende, manchmal gewalttätige Grenze gesetzt; Unübertragbarkeit wird signalisiert.

      Diese gegenseitigen Übertragungen sind immer Übergriffe und Übertretungen von Grenzen zwischen dir und mir. Sie sind nicht einfach ein Film, der auf den Körper des andern projiziert wird, ohne diesen zu affizieren. Der Film macht nicht Halt auf der Haut; er brennt sich ein, dringt ein. Mit andern Worten: Das Übertragungsgeschehen ist kein phantasmatisches Theater auf einem Schauplatz fern der „objektiven Realität“ oder ein innerpsychisches Spiel, das sich einer an sich übertragungslosen Wirklichkeit hinzugesellte. Es gibt keine Wirklichkeit vor der Übertragung; die Übertragung hat immer schon stattgefunden, und damit auch der Übergriff und die Übertretung. Kein Eigenes vor dem andern. Wir sind immer schon verführt, verhext, verstört, um nicht zu sagen vergewaltigt.

      Oder: Immer schon erregt und infiziert.

      Denn vergessen wir nicht: Die „Übertragung“ ist selbst von weither übertragen – sie trägt die Geschichte von Ansteckung, Seuche, Sterben und Eros mit sich. Vielleicht ist die sexuelle Übertragbarkeit als altes, ja archaisches Modell nicht am schlechtesten geeignet, die Übertragung radikal zu denken: Als zugleich reales und phantasmatisches Geschehen, wo sich Leben und Tod, Hoffnung und Angst, Liebe und Zerstörung fortpflanzen, als Risiko und Chance der lebensgefährlichen Berührung und Ansteckung mit Krankheits-, aber auch andern Erregern.

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